<<Zurück

 
 
 
 

Muttertag oder: Was ist eine gute Mutter?

Ja, es ist mal wieder Muttertag – von den einen als Zeichen geschätzt, von den anderen als Zumutung geächtet, ja geradezu verachtet. Was den einen die Bindung, die Erinnerung an die Mutter zu einem Schatz macht, macht sie für die anderen zu einer Last, zu einem unabwendbaren schicksalsmächtigen Umstand, den man leider nie los wird.

Ich habe schon darauf gewartet, wie denn die von mit geschätzte ZEIT in diesem Jahr einen Weg finden würde, dem Muttertag Rechnung zu tragen. Wendet man diese Erwartung schlicht in die Frage, wie werden Kindern ihren Müttern gerecht und wie wird eine Gesellschaft den Müttern gerecht, endet man flugs in der Falle danach zu fragen, was denn eine Mutter ist, was eine gute Mutter ist, wie Mütter sich selbst sehen, wie sie in der (post-)modernen Gesellschaft mit der Doppelrolle umgehen, die eigene Identität zu begründen, zu finden, sie möglicherweise mit Mutterschaft zu vereinbaren. So richtig herausfordernd gerät eine Auseinandersetzung aber erst, wenn man das generative Zusammenspiel mit dem Faktor Bildung reflektiert.

Vorbemerkung:

Die Mutter wird man nicht los, da kannst Du machen, was Du willst. Sie hat dich geboren, sie hat dich genährt, sie hat dir den Arsch gewischt, bis du denn endlich selbst nicht nur die Hand zum Maul, sondern, das was dir die Hand ins Maul gibt auch aus eigener Kraft generieren kannst. Generieren ist ein starkes Wort. Im gleichen Wortstamm stecken Generation, Generativität. Klar, der Mensch ist, weil er sich verdankt. Er hat sich nicht selbst gemacht. Beginnt er irgendwann daran zu zweifeln, es gar zu leugnen, beginnt das Sägen an den eigenen Wurzeln. Was über Generationen sozusagen den Kreislauf nährt, über den die Wurzeln dem Blattwerk, dem Stamm Nährstoffe zuführen, manifestiert sich schlichtweg in einem der Photosynthese geschuldeten Gesamtkunstwerk (das sich seine Generativität im Übrigen durch die Ausbildung überlebensfähiger Samen garantiert). Dies gelingt gleichwohl nur unter der Prämisse, dass der systemische Nexus dieses Prozessieren und Generieren auch zulässt, es nicht einschränkt und beschädigt. Freilich kann man die Axt an den Stamm legen, die Wurzeln verkümmern lassen oder sie einfach abschneiden/Kappen. Auch äußere Störfaktoren können dazu beitragen, dass das Gleichgewicht aus den Fugen gerät: Zu viel Sonne, zu wenig Wasser, zu wenig Nährstoffe – zu wenig Sonne, zu viel Wasser, zu viel Nährstoffe; die wechselwirksamen Störungen der Homöostase lassen sich auf vielfältige Weise befeuern – von allem zu wenig, von allem zu viel! Und das Beste daran: niemand und alle sind Schuld; ach Unsinn: Schuld sind natürlich immer die, die vor uns da waren! Die haben es versaut; Kriege in die Welt gebracht, für sich alleine verfrühstückt, was im generativen Zusammenspiel für alle reichen soll, nein, es soll natürlich nicht nur reichen, sondern das Besser-Haben für die, die nach uns kommen, definiert den Erwartungshorizont.

So nehmen denn viele, was ihnen gegeben wird und denken nicht daran, auch etwas zurückzugeben: Zeit und Aufmerksamkeit gegen Geld, Wertschätzung gegen die Fürsorge, die uns als Kinder und in Lebenskrisen begleitet hat. Nur das wechselwirksame Miteinander garantiert, dass von unseren Erwartungen auch etwas Wirklichkeit wird. Und liegt das Kind im Brunnen, dann zeigt sich unsere Größe im Vergeben und Verzeihen – dies umso leichter als man immer eingedenk der Tatsache lebt und agiert: Wer ohne Schuld und Makel ist, der werfe den ersten Stein. Genug – schauen wir einmal was unsere ZEIT-Autorin - Ileana Grabitz - im ZEIT-Magazin 21/24 auf immerhin fünf doppelspaltigen Seiten zu bieten hat:

„Manchmal versteht man die Botschaft hinter den Äußerungen seiner Kinder erst sehr viel später.“

Das ist der Eröffnungssatz. Wie so oft springe ich in einem Textkörper hin und her, wie es mir gefällt. Die letzte Spalte von 10 ist der eigenen Mutter gewidmet. Zuvor berichtet Ileana Grabitz (Jahrgang 1973), Mutter von drei Töchtern (18, 16 und 10) von einem Besuch bei Sabine Bode. Ihr Name steht für die erste, umfassende Wahrnehmung der Kriegs- und Nachkriegskinder. Mir ist es wichtig, dass wir hier von Kindern sprechen. Für deren Traumata und entsprechend eingeschränkte und beschädigte Kindheitsmuster hat sich in der Tat lange kaum jemand interessiert. Nur so viel aus dem Bricht Ileana Grabitzens:

„>Diese Kinder wurden zu Eltern< resümiert Bode. >Und deren Kinder wurden – aufgrund der Traumata ihrer Eltern – zu einer verunsicherten Generation<.“

Am Ende ihrer Erkundungsreise interessiert Ileana Grabitz natürlich die Meinung derjenigen, die sie entscheidend mit geprägt hat: die ihrer eigenen Mutter:

„>Mama<“, frage ich sie an einem frühlingshaften Abend vor gut einem Jahr …] >Was ist für dich eine gute Mutter?< Sie muss lange überlegen, anders als meine Generation, das denke ich oft, hat ihre Generation sich nicht ständig selbst vergewissert, sondern einfach gemacht. Schließlich sagt sie dann diesen einen Satz: >Eine, die für ihre Kinder da ist, aber auch eine, die ihr eigenes Leben darüber nicht vergisst.< Sie sei glücklich, sagt meine Mutter, wie es gelaufen sei, aber wenn es für sie einen Schmerzpunkt gebe im Rückblick, dann den, sich nicht beruflich verwirklicht zu haben. Mich berührt die Deutlichkeit, mit der sie das formuliert – dieses Hadern hatte meine Mutter uns, ihren Kindern, nie gezeigt.“

Ileana Grabitz erzählt in ihrem langen Bericht, dass sie selbst eine Sozialisation und Erziehung in einem entschieden bildungsbürgerlichen Milieu genossen hat – mit klarer Rollenaufteilung: „Und da war meine Mutter, die schöne, unzerstörbare Frau, die sich ihre Liebe zur Literatur und zur Kunst für das Alter aufhob, um mir und meinen beiden Brüdern ein Zuhause zu geben.“

Mir ist an dieser Stelle ein kleiner Ausflug in die Geschichte der eigenen Herkunftsfamilie wichtig, zeugt er doch davon, wie galaktisch die Unterschiede sind, wenn man vor allem radikal bildungsfern aufwächst. Wie tief dabei die Wurzeln in den nationalsozialistischen Sumpf hineinreichen, offenbart sich an der Geschichte der eignen, zehn Jahre älteren Schwester – all dies ist hinreichend dokumentiert.

Meine Erwartungen an diejenigen, die sich aus der erwähnten absoluten Bildungsferne heraus ihren Zugang zu Bildung und Studium erkämpft und erstritten haben, beinhalten vor allem die Hoffnung, dem eigenen erworbenen Bildungsstatus und -horizont auch gerecht zu werden. Die vor uns waren, haben nach Kräften die Voraussetzungen geschaffen, dass uns der Kraftakt einer nachhaltigen Emanzipation gelingen konnte:

Emanzipation hat seine Wurzel im lateinischen emancipatio, damit ist in erster Liene die „Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt“ gemeint. Erst in die Moderne hinein erfolgte eine Bedeutungsverschiebung: Aus dem Akt des Gewährens von Selbstständigkeit wurde eine Aktion gesellschaftlicher und insbesondere politischer Selbstbefreiung. Ziel emanzipatorischen Bestrebens ist ein Zugewinn an Freiheit oder Gleichheit, meist verbunden mit Kritik an Diskriminierung oder hegemonialen z. B. paternalistischen Strukturen. Häufig ist damit aber auch die Verringerung von z. B. seelischer und ökonomischer Abhängigkeit von den Eltern gemeint.

Die Verringerung von Abhängigkeit äußert sich in der souveränen Gestaltung eines eigenen Lebensentwurfs. Dies gelingt umso eher, als man seinen Frieden mit dem Unfrieden in der eigenen Herkunftsfamilie findet. Es gibt schlichtweg keine umfassend befriedeten Herkunftsfamilien. Dafür sind wir alle – im Sinne Kants – aus viel zu krummem Holz gemacht. Dass jemand seinen Weg findet und die Wegsuche auch den eigenen Kindern eröffnet und zugesteht, basiert auf zwei empirischen Beobachtungen: dem Wirken einer Kraft, dem Ausdruck eines Willens und dem unverbrüchlichen Motiv das Eigene zu finden und zu begründen sowie dem Respekt vor dem Weg derer, die vor uns waren – häufig genug unter ungleich eingeschränkteren Kontextbedingungen als wir sie uns überhaupt vorzustellen vermögen.

Im Kapitel zur symbolischen Ordnung der Mutter hat Eva von Redecker – ohne jede Verblümung -  diese Zusammenhänge in einen größeren Kontext gestellt. Und Ileana Grabitz weist in ihrer Not auf die Erkenntnisse des Kinder- und Jugendpsychiaters Michael Schulte-Markwort hin, „dem Experten für das Phänomen der mutlosen Mädchen:

„Seit fünf Jahren, erzählt er mir, habe er es vermehrt mit den mutlosen Töchtern hart arbeitender, oft erfolgreicher Mütter zu tun. Jahrelang laufe alles normal, die Eltern arbeiten, die Kinder funktionieren, doch plötzlich verweigern die Mädchen die Schule und ziehen sich komplett in sich zurück. >Komplett mut- und perspektivlos< seien diese Kinder, so Schulte-Markwort, oft über viele Jahre hinweg. Und vor allem die Mütter, den Kindern zugewandte, meist gut ausgebildete Frauen, die ja eigentlich alles richtig gemacht hätten, verspürten oft große Schuldgefühle. >Diese Kinder<, sagt der Psychologe voller Überzeugung, >legten ihre Finger in die Wunde von siebzig Jahren gescheiterter Emanzpation.< Mehr und Mehr Frauen arbeiteten heute ebenso viel wie Männer, sagt er, und schulterten zudem das Gros der Hausarbeit. Oft gerieten sie zusätzlich emotional unter Druck: >Denn auch wenn Väter heute vielfach ihr Bestes geben, enger an der Familie und damit auch den Töchtern zu sein<, so Schulte-Markwort, seien die Mütter aufgrund der engen, schon im Mutterleib entstandenen Bindung an ihre Kinder einfach von Natur aus viel sensibler und näher an ihren Kindern als ihre Männer.“

„Soll die Lösung wirklich darin liegen, dass wir Frauen eben alle wieder ein bisschen mehr Hausfrau werden müssen?“

Rat kommt von Frau zu Frau in Gestalt der Erziehungswissenschaftlerin Margit Stamm:

„Die Frau, die beklagt, man dürfe in Deutschland alles sein, nur keine schlechte Mutter, rät mir, ganz bewusst zu meinen mütterlichen Defiziten zu stehen: Wichtig sei, dass die Kinder wüssten, dass sie auf die Mutter zählen könnten, dass sie, wenn es darauf ankomme, die oberste Priorität ihrer Mutter seien. >Ansonsten sollen ihre Töchter ruhig mitkriegen, wenn sie mit ihrer Rolle hadern, auch wenn sie mit ihrem Mann über die Rollenverteilung im Hause streiten<, sagt Stamm …] Das gerade in Deutschland tief verankerte Bild von der perfekten Mutter muss demnach relativiert werden. Meine Generation leiste ihren Beitrag – und unsere Töchter und wiederum deren Töchter werden es weiter modifizieren.“

Klar, da bleibt uns allen ja gar nichts anderes übrig. Ileana Grabitz mag man zugestehen als 73er Jahrgang noch nicht den umfassenden Blick aufs intergenerative Ganze zu haben. Immerhin hat sie sich mit ihrer Mutter eine gemeinsame Reise nach Israel gestattet, nicht zuletzt, um sie zu fragen: „Was ist für dich eine gute Mutter?“

Wie wär’s mit der Frage: „Was ist für dich eine gute Tochter?“ Aber was soll’s. Ich bin davon überzeugt, dass Ileana Grabitzens Mutter längst einen guten Platz gefunden hat in einer der vielen luxuriösen Altersresidenzen.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund