Du musst dein Leben ändern!
Du musst dein Leben ändern!
Gebrauche niemals den Imperativ! Dieses imperativische Paradoxon hat Peter Sloterdijk mit der Assoziation eines absoluten Imperativs auf die Spitze getrieben. Seriös weist er auf Seite 708 des Buch gewordenen Imperativs Du mußt dein Leben ändern (Suhrkamp – Frankfurt 2009) auf die Umformung des Kantschen kategorischen Imperativs in einen ökologischen Imperativ durch Hans Jonas hin:
„Handle so, daß die Wirkungen deines Handelns verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Für den Daueraufenthalt im Überforderungsfeld enormer Unwahrscheinlichkeiten gibt er uns ebenso unwahrscheinlich einlösbare Handlungsanleitungen. Dies zeigen die Reaktionen auf Eva von Redecker, die mit ihrer Bleibefreiheit perspektivisch über die bloße Haltung eines imperativischen: Du mußt Dein Leben ändern! hinausgeht. So klingt Peter Sloterdijks Interpretation des ökologischen Imperativs wie das Balancieren auf des Messers Schneide – zwischen Absturz ins Bodenlose und einem nur um den Preis einschneidenden Verzichts möglichen Überlebens:
„Ich soll die Wirkungen meines Handelns in jedem Augenblick auf die Ökologie der Weltgesellschaft hochrechnen. Mir schein sogar, ich solle mich lächerlich machen, indem ich mich als Mitglied eines Sieben-Milliarden-Volks verstehe – obwohl mir schon die eigene Nation zuviel ist. Ich soll als Weltbürger meinen Mann stehen, selbst wenn ich meine Nachbarn kaum kenne und meine Freunde vernachlässige. Mögen die meisten neuen Volksgenossen für mich auch unerreichbar bleiben, weil >Menschheit< weder eine gültige Adresse noch eine begegnungsfähige Größe darstellt: Ich habe dennoch den Auftrag, ihre reale Gegenwart bei jeder eigenen Operation mitzubedenken. Ich soll mich zu einem Fakir der Koexistenz mit allem und allen entwickeln und meinen Fußabdruck in der Umwelt auf die Spur einer Feder reduzieren.“ (Seite 709)
Wirken Selbstbesinnung und Selbstbegrenzung, die doch – wie oben angedeutet mit Eva von Redecker (trotz allen liberalen Gejammers) – l e d i g l i c h eine Umstellung unserer Freiheitsvorstellungen von einem räumlichen Primat auf ein zeitliches Primat zur Folge hätte, nicht nachhaltig, sieht die Prognose düster aus. Dazu brauchen wir nicht einmal einen Weltklimarat. Sloterdijk malt die Perspektive wie ein Menetekel an die Wand:
„Während sich die biologische Immunität auf die Ebene des Einzelorganismus bezieht (u.U. – wie sich gut zehn Jahre später zeigt mit extremen Eingriffen in den sozialen Organismus, Anm. FJWR), betreffen die beiden sozialen Immunsysteme die überorganismischen, sprich die kooperativen, transaktionalen, konvivialen Dimensionen menschlicher Existenz: Das solidarische System garantiert Rechtssicherheit*, Daseinsvorsorge und Verwandtschaftsgefühle jenseits der jeweils eigenen Familien; das symbolische gewährt Weltbildsicherheit, Kompensation der Todesgewißheit und generationenübergreifende Normenkonstanz. Auch auf dieser Ebene gilt die Definition: >Leben< ist die Erfolgsphase eines Immunsystems. Wie die biologischen Immunsysteme können auch das solidarische und das symbolische Phasen der Schwäche, ja sogar der Beinahe-Erfolglosigkeit durchlaufen. Solche äußern sich in Selbst- und Welterfahrung der Menschen als Labilität des Wertbewußtseins und als Ungewißheit hinsichtlich der Belastbarkeit unserer Solidaritäten. Ihr Zusammenbruch ist mit dem Kollektivtod gleichbedeutend.“ (Seite 709f.)
Du musst dein Leben ändern!
*Wir gelangen hier einmal mehr zu der unverzichtbaren Bedeutung eines zivilisatorischen Minimums - z.B. in Gestalt des zivilisatorischen Hexagons, wie es Dieter Senghaas definiert hat -, und wie es sich in den Vorstellungen Immanuel Kants zum ewigen Frieden manifestiert. Der Misanthrop Kant setzt alles auf vertragsbasierte Koexistenz ansonsten eineinander misstrauender Menschen. Carl Schmitt hingegen beansprucht einen realitätsbasierten Blick auf die Menschheitsgeschichte, die allein durch Freund-Feind-Konfigurationen für letztlich geopolitische Verhältnisse sorgt, die dem Recht des Stärkeren die normative Kraft faktisch geschaffener Verhältnisse zubilligen. Adolf Hitler, Stalin und Putin orientieren sich an Carl Schmitt. Und auch die israelische Staatdoktrin ist nicht interessiert an einer vertragsbasierten Zwei-Staaten-Lösung, sondern knüpft ihr gegenwärtiges Handeln an das Recht des Stärkeren auf einer klaren Freund-Feind-Konfiguration ihres Weltbildes.