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Danke für Ihren Hinweis, Herr Witsch-Rothmund, es lohnt sich sicher, noch einmal einen Blick in die Schriften Schmitts zu werfen.Beste Grüße,Mariam LauMariam LauDIE ZEITSchöneberger Str. 21A10963 Berlin030 590048 640
Von: leserbrief-bot <Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!;
Gesendet: Monday, March 18, 2024 8:06:12 AM
An: Lau, Mariam <Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!;
Betreff: 1. Erinnerung: Fwd: Miriam Lau und Giovanni di Lorenzo 9/24 - Titelseite (9/2024)Immerhin nimmt Miriam Lau sich die ZEIT - bei über 300 Leserbriefen zu ihrem Leitartikel vom 22. Februar Gefährlich still mit einem Satz zu reagieren, dass es sich in der Tat lohnen könne, in Carl Schmitts Monographie Der Begriff des Politischen einen Blick zu werfen (folgende Belegstellen sind der 7. Auflage von 1962 <Duncker und Humblot, Berlin> entnommen). In der aktuellen Auseinandersetzung um die Unterstützung der Ukraine ist er deshalb hilfreich, weil er auch denjenigen bei einem Verständnis der Vorgehensweise Putins helfen könnte, die mit dem "Einfrieren" des Konflikts auf eine absehbare Verhandlungslösung setzen. So sehr eine Verhandlungslösung auch Not tut und erstrebenswert ist, um endlich einer nicht enden wollenden Eskalationsspirale zu entkommen, so sehr ist erkennbar, dass Wladimir Putin seinerseits vollends der Logik Carl Schmitts folgt. Mit Putins gebetsmühlenartig vorgetragenen Feindstilisierungen bleibt kein Zweifel, dass er den binären Freund-Feind-Code Carl Schmitts in seinem Sinne - ebenso wie er - als "seinsmäßige Wirklichkeit" versteht. So liest sich dann in der Tat Schmitts Rechtfertigung auch nach 92 Jahren noch, wie eine höchst aktuelle Beschreibung des russisschen Vorgehens:
"Ob man es aber für verwerflich hält oder nicht und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, daß die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppieren, oder hofft, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, ob es vielleicht gut und richtig ist, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, daß es überhaupt keine Feinde mehr gibt, alles das kommt hier (und für Wladimir Putin, Anm. Verf.) nicht in Betracht. Hier handelt es sich [nämlich] nicht um Fiktionen und Normativitäten, sondern um seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung. Man kann jene Hoffnungen und erzieherischen Bestrebungen teilen oder nicht; daß die Völker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren, daß dieser Gegensatz auch heute noch wirklich und für jedes politisch existierende Volk als reale Möglicheit gegeben ist, kann man vernünftigerweise nicht leugnen." (S. 28)Ist man möglicherweise geneigt, dies für eine pure Deskription gegebener Verhältnisse zu halten, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Putin es, wie sein Pate, auch als Handlungsanleitung versteht - denn:„Der politische Feind […] ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, das er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ (ebd. S. 27)Der Feind kristallisiert sich heraus als eine der"realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht" (S. 29)Und noch konkreter:"Der Krieg als das extremste politische Mittel offenbart die jeder politischen Vorstellung zugrunde liegende Möglichkeit dieser Unterscheidung von Freund und Feind und ist deshalb nur so lange sinnvoll, als diese Unterscheidung in der Menschheit real vorhanden oder wenigstens real möglich ist [...] Die Frage ist dann immer nur, ob eine solche Freund- Feindgruppierung als reale Möglichkeit oder Wirklichkeit vorhanden ist oder nicht, gleichgültig, welche menschlichen Motive stark genug sind, sie zu bewirken. (S. 36)Conclusio:"An der Möglichkeit solcher (intensiver, unmenschlicher) Kriege zeigt sich aber besonders deutlich, daß der Krieg als reale Möglichkeit heute noch vorhanden ist, worauf es für die Unterscheidung von Freund und Feind und für die Erkenntnis des Politischen allein ankommt [...] Das Politische liegt nicht im Kampf selbst [...], sondern wie gesagt, in einem von dieser realen Möglichkeit bestimmten Verhalten, in der klaren Erkenntnis der eignen, dadurch bestimmten Situation und in der Aufgabe, Freund und Feind richtig zu unterscheiden." (S. 37)Veröffentlicht: 24. Februar 2024
Wie oft denn noch?
Dr. Franz Josef Witsch-Rothmund, Am Heyerberg 11, 56072 Koblenz zu:
Miriam Lau: Gefährlich still – Keine Partei wird so brutal attackiert wie die Grünen. Die anderen Parteien sollten sich endlich klarer vor sie stellen (ZEIT 9/24 – Titelseite) und: Giovanni di Lorenzo: Vor aller Augen - Wer sich nach Alexej Nawalnys Tod noch Illusionen über Putin macht, dem ist nicht mehr zu helfen (ZEIT 9/24 - Titelseite)
Wie oft denn noch? Carl Schmitt ist längst wieder in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und ersetzt zum Beispiel bei vielen Ernst Fraenkels Pluralismustheorie durch totalitäres Freund - Feind - Denken; und dies nicht nur als Blaupause für die Despoten dieser Welt à la Putin, Xi Ji Ping, Lukaschenko, Assad…:
"Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen. Sie sind keine normativen und keine 'rein geistigen' Gegensätze. Der Liberalismus hat in einem für ihn typischen Dilemma von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geistseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht. Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner […] Ob man es aber für verwerflich hält oder nicht und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, daß die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppieren, oder hofft, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, ob es vielleicht gut und richtig ist, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, daß es überhaupt keine Feinde mehr gibt, alles das kommt hier nicht in Betracht. Hier handelt es sich nicht um Fiktionen und Normativitäten, sondern um seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung. Man kann jene Hoffnungen und erzieherischen Bestrebungen teilen oder nicht; daß die Völker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren, daß dieser Gegensatz auch heute noch wirklich und für jedes politisch existierende Volk als reale Möglicheit gegeben ist, kann man vernünftigerweise nicht leugnen.“ (Der Begriff des Politischen, Duncker&Humblot, Berlin 1932 – hier 7. Auflage, Berlin 1963, S. 28f.)
Der Text ist 92 Jahre alt. Und entscheidend ist, dass es sich bei Carl Schmitt nicht um eine deskriptive Analyse faktischer Zustände handelt. Er argumentiert selbst normativ – nicht nur hinsichtlich der faktischen Definition, dass souverän sei, wer über den Ausnahmezustand bestimmen könne. Nein, er schreibt Putin die Blaupause für die vor zwei Jahren erfolgte Invasion der Ukraine, indem er ein um’s andere Mal betont:
„Der politische Feind […] ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, das in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ (ebd. S. 27)
Carl Schmitt negiert - wie Putin in praxi - jedes international verbindliche Völkerrecht; Interventionen, wie sie heute die UN vorträgt oder der Internationale Gerichtshof in Den Haag, würde er kategorisch zurückweisen. Seine Unterscheidungen und diejenigen, die sie in praktische Politik umsetzen, zwingen uns heute selbst, wehrhafte Demokratie nicht nur metaphorisch und symbolisch zu begreifen. Leider bedeuten die uns aufgezwungenen Konflikte – sowohl auf internationaler Ebene wie innenpolitisch – Wehrhaftigkeit ganz unmittelbar konkret und praktisch zu definieren.
Nachbemerkung:
Eine Rehabilitierung (oder sprechen wir milder von einer Relativierung der Positionen) Carl Schmitts, wie sie immer wieder versucht wird, kann nicht hingenommen werden. Wolfgang Schuller als Herausgeber der Tagebücher 1930-1934 Carl Schmitts (Akademie-Verlag, Berlin 2010) sieht sich beispielsweise immer wieder in dieser Versuchung. Sieht man einmal ab von den in der Tat Ekel erregenden Eintragungen Schmitts insbesondere zur "Judenfrage", stößt man natürlich unablässsig auf die tiefe Verstrickung Schmitts in die nazionalsozialistische Führerideologie. Dabei spielt es keine Rolle, dass Schmitt selbst zwischen die Fronten gerät, bleibt er doch bis zuletzt insbesondere Protegé Hermann Görings. Wie weit sich ein Gelehrter von Schmitts Zuschnitt zu versteigen mag, zeigt insbesondere sein 1934 im Kontext des Röhm-Putschs veröffentlichter Artikel "Der Führer schützt das Recht", in dem Hitler als die höchste Rechtsquelle hingestellt wurde - Verbrecher wie Putin werden solche Rechtskonstruktionen und -phantasien mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und man mag sich nicht ausmalen, wie weit Trumps Versuche gehen werden, den Rechtsstaat zu unterminieren, wenn er tatsächlich noch einmal in das Amt des amerikanischen Präsidenten gewählt wird. Wolfgang Schuller schreibt in seinem Nachwort auf Seite 467: "Begeisterung für Hitler - etwa nach dessen Rede auf dem Leipziger Juristentag (3.10.33) - wird zwar gelegentlich zur Ironie relativiert [...], aber fast tragikomisch ist die Beteuerung, dass und wie begeistert er alle drei Strophen des Horst-Wessel-Liedes gesungen habe."
Nein, Wolfgang Schuller! Das ist nicht "tragikomisch"!!! Das ist und bleibt ekelhaft. Es ist und bleibt deshalb ekelhaft, weil Sie - Wolfgang Schuller - eine Seite zuvor (S.466) notieren: "Und dann die Juden [...] das ist der düsterste Aspekt des Tagebuches. Gerade in Bezug auf die Juden spielt das Adjektiv 'eklig' eine besonders große Rolle und auch sonst sind abschätzige und sogar hasserfüllte Äußerungen Legion."
Carl Schmitt hat bis zuletzt - er ist 97 Jahre alt geworden, keinen Abstand genommen von einem tief verankerten Antisemitismus. Umso unverständlicher erscheint mir, dass z.B. Hans Kosselek diesem Widerling bis zuletzt verbunden blieb.