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Es gibt im Menü meines Blogs ein neues Schlagwort: Politik
In den letzten Monaten ist mir klar geworden, dass viele Kontroversen innerhalb des Geltungsbereiches der Bundesrepublik Deutschland, vor allem aber mit Blick auf internationale Krisen und Konflikte nicht angemessen diskutiert bzw. beobachtet werden können, ohne den Politikbegriff zu diskutieren, der hinter diesen Konflikten sichtbar wird bzw. der ihnen zugrundeliegt. Am offenkundigsten zeigt sich dies im Vergleich von Funktionsweisen, wie sie demokratisch verfassten Gesellschaften einerseits und autokratisch ausgerichteten Gesellschaftssystemen zugrunde liegen. Unter der Rubrik Politik sollen künftig sowohl theoretische als auch praktische Aspekte erörtert werden. Der nachstehende Beitrag bildet dabei ein Beispiel für grundlegende theoretische Unterschiede, die im Politikverständnis sich demokratisch verstehender Gesellschaften auf der einen und autokratisch organisierter Gesellschaftssysteme auf der anderen Seite sichtbar werden:
Die Politik der Gesellschaft
Eine Skizze mit der Absicht Demokratien von Autokratien abzugrenzen – fußend auf einem knappen Aufriss, das politische System als eines der Funktionssysteme in einer funktional differenzierten Gesellschaft zu verstehen (alle Zitate sind einem von Kai-Uwe Hellmann verantworteten Beitrag entnommen: Die Politik der Gesellschaft, in: Oliver Jahraus/Armin Nassehi u.a. (Hrsg.), Luhmann Handbuch Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2012, S. 241-246)
Mit Blick auf die aktuellen innergesellschaftlichen und außenpolitischen Konfliktlagen und –potentiale stellt sich immer wieder neu die Frage:
„Wie gelingt es Ego, Alter zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen, wenn Alter ebenso gut anders handeln könnte?“
Nicht erst Niklas Luhmann gelangte hinsichtlich dieser Ausgangslage zu der Erkenntnis, dass es in einer solchen Situation Macht erfordere, damit die Absicht von Ego zur verbindlichen Entscheidungs- und Handlungsvorgabe von Alter werde. Luhmann antwortet auf diese Ausgangslage mit den Mechanismen sogenannter symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. Er betrachtet symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien als evolutionäre Errungenschaften. Die Besonderheit bei gesellschaftlichen Funktionssystemen wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Recht sieht er darin, dass ihre Leitdifferenz binär codiert ist. Dies hört sich alles sehr abstrakt an. Am Beispiel der genannten Funktionssysteme wird aber sehr schnell und konkret deutlich, was Luhmann meint, wenn er davon ausgeht, dass mittels solcher binärer Codierungen eine vollständige Erfassung der Welt möglich wird, weil alles, was geschehe, entweder auf der einen oder der anderen Seite vorkomme, tertium non datur, wie der Lateiner sagt – eine dritte Möglichkeit gibt es nicht: „So lautet der Code des Wirtschaftssystems Zahlen/Nicht-Zahlen; der Code des Rechtssystems Recht/Unrecht und der Code des Wissenschaftssystems Wahrheit/Unwahrheit.“ Mit Blick auf das politische System lautet Luhmanns Unterscheidung Regierung/Opposition (Ämter innehaben/keine Ämter innehaben):
„Die Besonderheit der politischen Codierung Regierung/Opposition, die die (gespaltene) Spitze des politischen Systems besetzt, besteht in ihrer evolutionär einzigartigen Leistungsfähigkeit. Denn während die Regierung und die ihr nachgeordnete politische Verwaltung weiterhin die Funktion des kollektiv bindenden Entscheidens wahrnehmen, fungiert die Opposition als >Pufferzone zwischen Regierung und Volk< und erreicht damit eine ungleich höhere Einbeziehung der politischen Peripherie, als dies je zuvor möglich war. Die Opposition sorgt gewissermaßen für eine Verminderung und Vermittlung des Machtgefälles, das zwischen dem Zentrum und der Peripherie der Politik herrscht […] Was in diesem Zusammenhang unbedingt noch Erwähnung finden sollte, sind Luhmanns Beiträge zur öffentlichen Meinung. Denn der öffentlichen Meinung kommt in der Vermittlung von Politik und innergesellschaftlicher Umwelt die wesentliche Aufgabe der Reduktion von Komplexität zu – anders würde das politische System gar nicht fähig sein, seiner Funktion nachzukommen. Obendrein unterstützen soziale Bewegungen und politische Parteien diesen Selektions- und Rationalisierungsprozess.“
Die hier en passent eingeführte Dimension einer Zivilgesellschaft – Peripherie in Relation zum Zentrum – offenbart eine entscheidende normative Vorgabe, die hinsichtlich der Legitimation von Macht ein entscheidendes Merkmal definiert. Max Weber hatte Macht definiert als jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruhe. Wir kommen also zurück auf die Frage, wie es Ego gelingen kann, Alter zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen. Man kommt dann unter Umständen zu Kurzschlüssen – wie Carl Schmitt – indem man schlicht definiert, souverän sei derjenige, der über den Ausnahmezustand bestimmen könne. Carl Schmitt gilt nicht von ungefähr als Kronjurist der Nazis, der sich auch nicht entblödete, 1934 im Kontext des sogenannten Röhm-Putschs mit seinem Beitrag: Der Führer schützt das Recht, Hitler nicht nur als die höchste Rechtsquelle zu setzen, sondern – wie wir auch fortan sehen werden – als denjenigen, der Max Webers Definition radikal in eine verbrecherische Praxis umsetzte.
Luhmann grenzt Macht ein und versteht sie als eine soziale Technologie, die nur dann zum Einsatz komme, wenn eine Situation mehr als eine Handlungsmöglichkeit aufweise. Wahlmöglichkeiten auf beiden Seiten – sowohl Ego als auch Alter betreffend – führen zu einer doppelten Kontingenz (jeder könnte auch andere Handlungsoptionen erwägen). Und dieses Kontingenzmoment führt dazu, dass Freiheit zur unverzichtbaren Bezugsgröße von Macht gerät. Bei Luhmann ist es für das Medium Macht daher unerlässlich, dass sie diese Bedingung ihrer Möglichkeit nicht beschädigt. Gleichwohl:
„Wenn man von Macht spricht, darf man von Gewalt nicht schweigen. Denn Gewalt, genauer: physische Gewalt, ist dasjenige Drohmittel, auf das Macht bei ihrer Anwendung als Ultima Ratio am häufigsten Bezug nimmt.“
Entscheidend ist nun, „dass allein das politische System das Recht zur legitimen Anwendung von Gewalt, sprich: das Gewaltmonopol beansprucht“. Bei diesem Monopol gehe es um die Möglichkeit von Entscheidungen darüber, wie alle, die als Staatsbürger betrachtet werden, sich mit Blick auf bestimmte Sachverhalte, die für alle als relevant erachtet würden, auf verbindliche Art und Weise zu verhalten hätten: „Erst diese Konzentration von Macht, soweit es die Regelung von Angelegenheiten betrifft, die alle angehen, konstituiert das politische System.“ In der Bundesrepublik Deutschland hat zuletzt die Covid-19-Pandemie zu einem umfassenden Ernstfall in der Umsetzung entsprechender Regelungen geführt. Ihre Umsetzung führt aktuell zwischen Legalitäts- und Legitimitätszuschreibungen zu dem, was Beobachter die Spaltung der Gesellschaft nennen.
Grundlegend lassen sich die an Freiheit gekoppelten Voraussetzungen – auch für die Akzeptanz des Gewaltmonopols, wie bereits Immanuel Kant forderte, nur auf der Grundlage einer republikanischen Verfasstheit benennen: Und hier geht es um die nicht verhandelbaren Prinzipien der Gewaltenteilung und Rechtstaatlichkeit, die vorbehaltlos auf dem Gleichheitsgrundsatz (aller Staatsbürger) gründen.
Im Wettbewerb der Systeme ist damit die rote Linie gezogen, die Demokratien von autokratischen Systemen unterscheidet, die sich einen Politikbegriff zu eigen machen, wie er von Carl Schmitt mit der binären Logik von Freund-Feind-Bildern begründet worden ist.