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Wie oft denn noch?

Dr. Franz Josef Witsch-Rothmund, Am Heyerberg 11, 56072 Koblenz zu:

Miriam Lau: Gefährlich still – Keine Partei wird so brutal attackiert wie die Grünen. Die anderen Parteien sollten sich endlich klarer vor sie stellen (ZEIT 9/24 – Titelseite) und: Giovanni di Lorenzo: Vor aller Augen - Wer sich nach Alexej Nawalnys Tod noch Illusionen über Putin macht, dem ist nicht mehr zu helfen (ZEIT 9/24 - Titelseite)

Wie oft denn noch? Carl Schmitt ist längst wieder in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und ersetzt zum Beispiel bei vielen Ernst Fraenkels Pluralismustheorie durch totalitäres Freund - Feind - Denken; und dies nicht nur als Blaupause für die Despoten dieser Welt à la Putin, Xi Ji Ping, Lukaschenko, Assad…:

"Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen. Sie sind keine normativen und keine 'rein geistigen' Gegensätze. Der Liberalismus hat in einem für ihn typischen Dilemma von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geistseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht. Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner […] Ob man es aber für verwerflich hält oder nicht und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, daß die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppieren, oder hofft, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, ob es vielleicht gut und richtig ist, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, daß es überhaupt keine Feinde mehr gibt, alles das kommt hier nicht in Betracht. Hier handelt es sich nicht um Fiktionen und Normativitäten, sondern um seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung. Man kann jene Hoffnungen und erzieherischen Bestrebungen teilen oder nicht; daß die Völker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren, daß dieser Gegensatz auch heute noch wirklich und für jedes politisch existierende Volk als reale Möglicheit gegeben ist, kann man vernünftigerweise nicht leugnen.“ (Der Begriff des Politischen, Duncker&Humblot, Berlin 1932 – hier 7. Auflage, Berlin 1963, S. 28f.)

Der Text ist 92 Jahre alt. Und entscheidend ist, dass es sich bei Carl Schmitt nicht um eine deskriptive Analyse faktischer Zustände handelt. Er argumentiert selbst normativ – nicht nur hinsichtlich der faktischen Definition, dass souverän sei, wer über den Ausnahmezustand bestimmen könne. Nein, er schreibt Putin die Blaupause für die vor zwei Jahren erfolgte Invasion der Ukraine, indem er ein um’s andere Mal betont:

„Der politische Feind […] ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, das in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ (ebd. S. 27)

Carl Schmitt negiert - wie Putin in praxi - jedes international verbindliche Völkerrecht; Interventionen, wie sie heute die UN vorträgt oder der Internationale Gerichtshof in Den Haag, würde er kategorisch zurückweisen. Seine Unterscheidungen und diejenigen, die sie in praktische Politik umsetzen, zwingen uns heute selbst, wehrhafte Demokratie nicht nur metaphorisch und symbolisch zu begreifen. Leider bedeuten die uns aufgezwungenen Konflikte – sowohl auf internationaler Ebene wie innenpolitisch – Wehrhaftigkeit ganz unmittelbar konkret und praktisch zu definieren.

Nachbemerkung:

Eine Rehabilitierung (oder sprechen wir milder von einer Relativierung der Positionen) Carl Schmitts, wie sie immer wieder versucht wird, kann nicht hingenommen werden. Wolfgang Schuller als Herausgeber der Tagebücher 1930-1934 Carl Schmitts (Akademie-Verlag, Berlin 2010) sieht sich beispielsweise immer wieder in dieser Versuchung. Sieht man einmal ab von den in der Tat Ekel erregenden Eintragungen Schmitts insbesondere zur "Judenfrage", stößt man natürlich unablässsig auf die tiefe Verstrickung Schmitts in die nazionalsozialistische Führerideologie. Dabei spielt es keine Rolle, dass Schmitt selbst zwischen die Fronten gerät, bleibt er doch bis zuletzt insbesondere Protegé Hermann Görings. Wie weit sich ein Gelehrter von Schmitts Zuschnitt zu versteigen mag, zeigt insbesondere sein 1934 im Kontext des Röhm-Putschs veröffentlichter Artikel "Der Führer schützt das Recht", in dem Hitler als die höchste Rechtsquelle hingestellt wurde - Verbrecher wie Putin werden solche Rechtskonstruktionen und -phantasien mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und man mag sich nicht ausmalen, wie weit Trumps Versuche gehen werden, den Rechtsstaat zu unterminieren wenn er tatsächlich noch einmal in das Amt des amerikanischen Präsidenten gewählt wird. Wolfgang Schuller schreibt in seinem Nachwort auf Seite 467: "Begeisterung für Hitler - etwa nach dessen Rede auf dem Leipziger Juristentag (3.10.33) - wird zwar gelegentlich zur Ironie relativiert [...], aber fast tragikomisch ist die Beteuerung, dass und wie begeistert er alle drei Strophen des Horst-Wessel-Liedes gesungen habe."

Nein, Wolfgang Schuller! Das ist nicht "tragikomisch"!!! Das ist und bleibt ekelhaft. Es ist und bleibt deshalb ekelhaft, weil Sie - Wolfgang Schuller - eine Seite zuvor (S.466) notieren: "Und dann die Juden [...] das ist der düsterste Aspekt des Tagebuches. Gerade in Bezug auf die Juden spielt das Adjektiv 'eklig' eine besonders große Rolle und auch sonst sind abschätzige und sogar hasserfüllte Äußerungen Legion."

Carl Schmitt hat bis zuletzt - er ist 97 Jahre alt geworden, keinen Abstand genommen von einem tief verankerten Antisemitismus. Umso unverständlicher erscheint mir, dass z.B. Hans Kosselek diesem Widerling bis zuletzt verbunden blieb.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund