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Vision für die Landwirtschaft der Zukunft: Benedikt Bösel, der Rebell - jetzt auch in der Rhein-Zeitung (Nr. 154 - 6. Juli 2023)

Kurzmeldung:

Benedikt Bösel gilt als Promi unter den Ökobauern - zumindest wird er von Monika Wendel in der Rhein-Zeitung vom 6.7.23 so vorgestellt. In seinem Buch: Rebellen der Erde - Wie wir den Boden retten, und damit uns selbst (München 2023) hat er seine Erfahrungen zusammengefasst. Es soll ja Menschen geben, die glauben - vereinfacht gesagt -, dass Tomaten und Äpfel, ja unser Gemüse und unsere alltäglich konsumierten Lebensmittel würden im Supermarkt wachsen. Die meisten haben den Kontakt zur Natur verloren. Viele bewegen sich in klimatisierten Autos und Arbeiträumen. Dabei könnte schon das Pflegen und Bestellen einer kleinen Gartenparzelle eine konkrete Vorstellung davon vermitteln, was eine gesunde Ernährung bereits heute radikal beeinträchtigt. Wer einmal - in den inzwischen vorherrschenden Dürresommern - eine Tomatenpflanze bis zur Ertragsreife herangezogen, gepflegt und bewässert hat, wird erstaunt sein, welch subtile Synergien und welch pflegerische Aufwand vonnöten ist, um irgendwann im Juli/August eine reife, schmackhafte Tomate verzehren zu können.

Die Visionen für die Landwirtschaft der Zukunft belegen gewiss schon gegenwärtig die vielfältigen positiven Effekte von Agroforstsystemen (die im übrigen ja nicht neu sind, sondern die uns in der Region in Gestalt der vertrauten Streuobstwiesen als eine Variante vertraut sind). Die in den Raum gestellten Kosten für eine Umgestaltung im Sinne von Agroforst-Systemen wirken gewiss gleichermaßen atemberaubend. Aber solche Rechnungen gehen ja nur auf, wenn man die langfristigen Effekte traditioneller Landwirtschaft in Relation setzt zu ihrem agroforstorientierten Umbau. Agroforst bringt nicht nur vordergründig betrachtet Lebendigkeit zurück! Mit dem Pflanzen und Säen der richtigen Artengemeinschaften lässt sich Stück für Stück die Vielfalt im Boden wieder zurück gewinnen, die durch Erosion und Überdüngung zerstört wird. Erst durch den von Benedikt Bösel und anderen erprobten Umbau kann sich die erforderliche Symbiose zwischen Wurzeln, Mikroorganismen und Bodentieren wieder ausbilden. Es ist die Biomasse der Pflanzen, die nie das Feld verlässt, sondern als Mulch auf dem Boden liegen bleibt, die den Aufbau der notwenidigen Humusschicht wieder ermöglicht. Dabei bilden oberirdische Grünstreifen jene dauerhaften Habitate aus, die auf die Artenvielfalt der Tierwelt einzahlen. Sie bieten Lebensräume und Rückzugsorte für Wild, Vögel, Amphibien, Reptilien, Spinnen und Insekten, die sich in die neu entstandenen Kreisläufe eingliedern. Wer einmal offenen Auges über das Maifeld fährt, sieht den überlebensnotwendigen Handlungsbedarf. Viele Felder sind hier - ohne die Unterbrechung durch Grünstreifen - einer fortgesetzten Erosion ausgesetzt. Hingegen sind die Vorteile der von Bösel eingeführten Agroforststreifen für die Äcker enorm. Oberhalb der Erde bremsen die Streifen den Wind und werfen Schatten.

"Damit" - so belegt Benedikt Bösel durch seine Erfahrungen - "schützen sie gerade in den Dürresommern vor Erosion und Austrocknung. Unterhalb der Erde verbessern sie die Fähigkeit des Bodens, den weniger werdenden Regen zu speichern. Die Baumwurzeln sind sogar imstande, das tief liegende Grundwasser förmlich nach oben zu pumpen und es so für das Getreide oder das Weideland verfügbar zu machen. In den niederschlagsreichen Jahreszeiten sowie bei sommerlichen Starkregen sind intakte Agroforstböden in der Lage, Wasser schnell aufzunehmen, den Oberflächenabfluss zu vermindern und die Auswaschung von Mikroorganismen und Nährstoffen zu verhindern."

Apropos Jäten und Mulchen: Neben der von Benedikt Bösel vertretenen praktischen Philosophie bietet sich mit Eva von Redecker auch eine veritable philosphische Entsprechung an. Auch sie wendet sich in ihrer Publikation: Bleibefreiheit gegen die Zerstörung einer lebendenigen Bodenstruktur: "Gänge, die sonst mehrere Generationen von Regenwürmern über Jahrzehnte bewohnen können, stürzen ein; die Mikroben, die zu Rhizosphären versammelt sind, werden durcheinandergewirbelt; organische Masse ist plötzlich nicht mehr obenauf, wo die zersetzenden Organismen sie erwarten; die Schichtung des Bodens, der eine komplexe Arbeitsteilung entspricht, gerät in Unordnung (133)." Unkrautverringerung - merkt sie an - müsse auf anderen Wegen gesichert werden, die gewiss ihre Mühen und Probleme haben: Jäten koste sehr viel menschliche Zeit, Mulchen sehr viel heranzuschaffende organische Masse (wofür Agroforst-Systeme die perfekte Lösung anbieten). Es brauche - so von Redecker - weitere Experimente: Permakultur, Agroforst, mehrjährige Kulturen. Es gehe um kleine, unscheinbare und doch omnipräsente Prozesse der Dysbiose, denen entgegengearbeitet werden müsse, um den Gezeitenkollaps zu verhindern. Einen drohenden Kollaps, der diejenigen, die ihn am stärksten verursachten, erst treffe, wenn es für alle zu spät sei.

Zur Erinnerung:

Eva von Redecker erläutert den von ihr kreierten Begriff der Bleibefreiheit folgendermaßen:

„Es gibt Momente, in denen ich mich als besonders frei empfinde, die sich in einem Modell der Bewegungsfreiheit nicht fassen lassen. Unbedroht und erfüllt an Ort und Stelle bleiben zu können. Die Welt wandelt sich, die bewohnbaren Gegenden schrumpfen, also die Orte, an denen man sicher bleiben kann. Da verliert die Reise- oder Bewegungsfreiheit ihre Bedeutung. Diese Freiheit ist darauf angewiesen, dass es Orte gibt, an die man fahren und an denen man bleiben kann.“

Eva von Redeckers Paradigmenwechsel berührt den tradierten Freiheitsbegriff in seinem ursprünglichen Kern. Sie argumentiert, unser Freiheitskonzept sei nicht mehr zeitgemäß:

„Unsere Affektstruktur hinkt der Weltgeschichte hinterher. Wir müssen aufhören, räumlich auf die Freiheit zu schauen, und es stattdessen zeitlich tun. Nicht: Wo kann ich jetzt hin? Sondern zeitlich: Wie viel Zeit steht mir zur Verfügung und wie erfüllt ist sie? [...] Die Freiheit ist in dieser Vorstellungswelt ein knappes Gut. Wenn sie beim einen wächst, schrumpft sie beim anderen. Deshalb muss man die Grenzen des anderen wahren, das wissen alle guten Liberalen. Undenkbar hingegen ist für den Liberalen, dass die Freiheit gemeinsam wachsen könnte. Der Freiheitsbegriff des Liberalen ist deshalb untauglich für das Anthropozän.“ Es habe immer schon geknirscht zwischen den großen Verfügungsspielräumen auf den einen Seite und deren Eingrenzung auf der anderen. Aber im Moment breche diese Balance auseinander: „Und das liegt nicht nur daran, dass ein paar Leute maßlos geworden sind. Es liegt auch daran, dass die Eingrenzung nicht mehr funktioniert. Wir merken plötzlich, dass es fast keine individuelle Freiheit mehr gibt, die sich nicht doch auf alle anderen auswirkt. Und zwar auf desaströse Art. Es gibt wahnsinnig viele Menschen, die eigentlich auch einen Anspruch hätten auf die Freiheit, die wir im Westen haben. Aber es gilt erst recht für die Zukunft, für nachfolgende Generationen. Was wir nicht mehr alles machen dürften, damit auch sie noch halbwegs so viel Spielraum haben wie wir heute – das ist erdrückend. Da droht der Kollaps.“

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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