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Für Winfried

Vor mir liegt Kästner für Erwachsene – Ausgewählte Schriften, Band vier (Atrium Verlag, Zürich 1983). Es handelt sich um Winfried Röslers Handexemplar, vielfach kommentiert und markiert; eine seiner Fundgruben zur inhaltlichen Gestaltung seiner Soirées und Vorträge. Ostern 2022 – vor einem knappen Jahr ist Winfried Rösler verstorben. Im Sinne Helga Schuberts möchte ich heute an ihn erinnern. Diese Vorstellung vom doppelten Weiterleben, wie es Volker Weidermann nennt (die Toten in uns und wir, nach unserem Tod, in den Lebenden), soll hier Gestalt annehmen, indem ich eine handgeschriebene Aufzeichnung Winfrieds wiedergebe. Ich übernehme sie originalgetreu aus einer seiner Kladden (und hoffe auf Nachsicht des einzigen Alemannen, den ich kenne – er beherrscht jenes Idiom, dem Winfried Rösler hier versucht die Ehre zu geben). Der zweite Text ist jenem erwähnten Handexemplar entnommen – aus Kästners Nachwort zu seinen biographischen Aufzeichnungen Als ich ein kleiner Junge war. Damit möchte ich beginnen (Hervorhebungen, FJWR) – und ich weiß, Winfried wird es gefallen:

„Während ich am Fenster saß und an meinem Buche schrieb, gingen die Jahreszeiten und die Monate durch den Garten. Manchmal klopften sie an die Scheibe, dann trat ich hinaus und unterhielt mich mit ihnen. Wir sprachen übers Wetter. Die Jahreszeiten lieben das Thema. Wir sprachen über die Schneeglöckchen und den späten Frost, über die erfrorenen Stachelbeeren und den dürftig blühenden Flieder, über die Rosen und den Regen, Gesprächsstoff gab es immer.
Gestern klopfte der August ans Fenster. Er war vergnügt, schimpfte ein bißchen über den Juli, das tut er fast jedes Jahr, und hatte es eilig. Während er ein Radieschen aus dem Beete zog, bemäkelte er meine Bohnenblüten, seine Schuld sei es nicht, und lobte die Dahlien und die Tomaten. Dann biß er herzhaft in sein Radieschen und spuckte es wieder aus. Es war holzig. ‚Probieren Sie ein andres!‘ sagte ich. Doch da sprang er schon über den Zaun, und ich hörte nur noch, wie er rief: ‚Grüßen Sie den September! Er soll mich nicht blamieren!‘ ‚Ich wird’s ausrichten!‘ rief ich zurück. Die Monate haben es eilig. Die Jahre haben es noch eiliger. Und die Jahrzehnte habe es am eiligsten. Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns. Besonders dann, wenn wir mit ihnen Geduld haben.

Es gibt Erinnerungen, die man, wie einen Schatz in Kriegszeiten, so gut vergräbt, daß man selber sie nicht wiederfindet. Und es gibt andere Erinnerungen, die man wie Glückspfennige immer bei sich trägt. Sie haben ihren Wert nur für uns. Und wem wir sie, stolz und verstohlen, zeigen, der sagt womöglich: ‚Herrje, ein Pfennig! Sowas heben Sie sich auf? Warum sammeln Sie Grünspan?‘ Zwischen unseren Erinnerungen und fremden Ohren sind mancherlei Mißverständnisse möglich (Seite 144).“

 

Hans im Schnoogeloch – Ein alemannischer Narr und Denker - aufgezeichnet aus der SDR-Kinderfunkreihe von
Winfried Rösler

 

Hier ist der Hutzelmann
              und wer noch?
Der Hans im Schnoogeloch

Jetzt, was hockst du da in deim Schoogeloch
ich denk vor und ich denk nach
              Ein alemannischer Denker
Mach du dich nur lustig
Und was denkt unser Meister vom Schnoogeloch?

Damals ist eine Dürre gewesen
und ich bin in meinem Schnoogeloch gesesse -
da kummet e vornehmer Herr vorbei und fragt:
He du – Einsiedler – man sagt, du seist ein weiser Mann.

Wenn das so stimmt, dann sage an:
Wie wird morgen das Wetter sein?
Kannst du es richtig vorhersagen
will ich dich schon -
wenn du aber irrst,
dann sieh dich vor.
Dann werd ich dein Ankläger sein
und dich als Scharlatan mit dem Scheiterhaufen belohnen.

Da hab ich gedacht:
Vorsicht – des isch ein hoher Herr;
und mancher hohe Herr hat schon einen Narren
auf den Scheiterhaufen gebracht.
Was tun?

Do henn mir die Schnooge geholfe,
die ware bissig un sind in Schwärme
ganz unte im Schnoogeloch gestande.
Do hab ich gewißt -
Morge gibt’s Gewitter
Des hab ich dem hohe Herr au gsagt.
Wir werden sehen – antwortete der, wir werden sehen.

Am andere Morge – net ein einzigs Wölkle am Himmel
Au net gege Mittag – nix.
Und dann kam der hohe Herr,
der brachte Söldner mit – ein wilder Haufen,
Griechen, Italiener, Franzosen und Deutsche.
Die henn mich us menem Schnoogeloch getroge,
die henn mir die Händ uff em Rücke gebunde,
ein Bettelmönch hat ei Gebet gemurmelt
und die Söllner henn en Pfohl uffgericht.
Um der Pfohl herum henn se en Scheiterhaufe gericht,
mich obe an der Pfohl gebunde.
Dann haben die Schergen mit Fackeln
Feuer an den Scheiterhaufen gelegt,
der begann unter meinen Füßen zu brennen.

Da aber zogen dunkle Wolken auf,
un ein schwerer Gewitterregen ging nieder,
der löschte den Scheiterhaufen aus.
Wenigstens die Schnooge henn mich net betroge gehat.
Da hat sich der hohe Herr vor mir auf die Knie geworfen un mich angebetet:

Heiliger Hans vom Schnoogeloch,
un sine Söldner sind auf die Knie gefallen
Und die Franzosen haben gerufen Saint Jean
Und die Italiener haben gerufen San Giovanni
Und die Griechen riefen Agios Janis.

Do bin i aber verschrocke.
Als ich wieder losgebunde bin sin
hab i gsagt:
San Giovanni oder Saint Jean oder alles -
i bin der Hans im Schnoogeloch,
a alemannischer Narr und Denker!
I will nit euer Herrgöttle sin
und au net euer Lenker!
Wer sinne Narre verbrenne will,
der verbrennt au sine Heilige.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund