Kurt Marti: Für eine Welt ohne Angst?
Nimmt man einmal die Blicke durch die bisher geöffneten sieben Kalendertürchen bzw. -fensterchen, dann überwiegt der Eindruck, dass alles, was im Ursprünglichen hier in Verbindung mit den Weihnachtsfest thematisiert worden ist, häufig einer angstbegleiteten und angstbesetzten Welt das Wort redet. Die Religion, die sich als Ideologie über die christlichen Urmotive wie erstarrte Lava gelegt hat, aber auch die Rituale, mit denen Kindern zuvorderst Schuldbewusstsein und Angst vor einer strafenden Instanz vermittelt wurde/wird, sprechen nicht für eine Welt ohne Angst.
Von großartigen Ausnahmen abgesehen - so Johann Baptist Metz - habe sich das Christentum von einer 'primär leidempfindlichen' in eine 'sündenempfindliche Religion' verwandelt. Anstatt für die Unschuldigen zu kämpfen, bete es für die Erlösung der Schuldigen (gern auch der Diktatoren). Versuchen wir es heute mit Kurt Marti einmal anders herum:
Für eine Welt ohne Angst?
Kurt Marti, ein Schweizer und evangelisch-reformierter Pfarrer sowie seines Zeichens Schriftsteller veröffentlicht 1981 einen kleinen Beitrag Für eine Welt ohne Angst, der einen anderen Blick erzwingt auf das Kindlein, das uns geboren werden soll - das uns geboren worden ist. Er übergeht den bethlehemitischen Stall und nimmt unvermittelt das Leben, das Wirken Jesu in den Blick, das er insgesamt als Wort Gottes versteht und damit als eine Aussage. Doch was für eine Aussage?
"Ich habe mir lange den Kopf darüber zerbrochen, wie die Aussage des Lebens Jesu in einen Satz gefaßt werden könnte. Schließlich bin ich auf die Formulierung gekommen: Jesus hat gelebt und gewirkt für eine Welt ohne Angst."
Marti zitiert Joh. 16,33: "In der (jetzigen) Welt habt ihr Angst, aber fasset Mut, ich habe diese Welt der Angst besiegt." Und nun ist Kurt Marti auch bereit den Stall von Bethlehem genauer anzuschauen:
"Das Licht dieser angstfreien Welt leuchtet bereits bei der Geburt im Stall auf: in der Krippe liegt dort das Kind - mitten in einer Welt der Angst ein kleines Geschöpf, das niemandem Angst macht, auf das die Anzeige gemünzt ist: 'Euch ist heute der Befreier geboren, der Messias und Herr'. Wer unter solchen Zeichen und Ankündigungen in die Welt eintritt, wir kein Angstmacher werden."
Kurt Marti ist 2017 im Alter von 96 Jahren verstorben. Er hat das Wüten der ganzen Welt von einer Insel - der Schweiz - aus beobachtet. In seinem kleinen Aufsatz 1981 beharrt er darauf, dass Jesus tatsächlich kein Angstmacher geworden sei, und dass er auch Gott nicht als großen Angstmacher verkündet habe - ganz im Gegenteil habe er den Geängsteten die Angst genommen. So tritt Jesus auf einmal aus dem Sumpf christlicher Ideologie katholischer und prostetantischer Provinienz hervor, weil er - so Marti - durch seine Haltung schon zu Lebzeiten in Konflikt geraten sei mit der traditionellen Religion,
"die immer auch eine Religion der Angst war und es unter christlichem Vorzeichen stets wieder geworden ist, denn die herrschenden brauchen zu allen Zeiten einen Angstmacher-Gott, damit die Menschen sich ducken."
Kurt Marti beharrt darauf, dass Gott in Jesus Fleisch geworden sei - unter uns gewohnt und gewirkt hat für eine Welt ohne Angst. Diese Behauptung zwingt ihn auf der anderen Seite zu der Feststellung, dass
"diese Lebens- und Sterbensaussage Jesu im Widerspruch zu unserer Welt steht, die eine Angst-Welt ist, immer noch. Gerade in der letzten Zeit ist die Angst der Menschen voreinander und vor dem, was kommen könnte, wieder angewachsen. Es gibt Regierungen, für die ist Angst ein Instrument ihrer Herrschaft."
Kurt Marti hat dies vor 40 Jahren aufgeschrieben - wüssten wir dies nicht, könnten wir annehmen, der Text sei erst heute aus seiner Feder geflossen. Die Ängste, die uns heute umtreiben, machen deutlich, wie fern uns eine Welt ohne Angst erscheint. Vor allem auch deshalb, weil wir selbst durch unsere Starrsinnigkeit, durch unsere Ignoranz und durch unsere Untätigkeit Ängsten Vorschub leisten, die längst reale Gestalt angenommen haben. Erst wenn aus diesen Ängsten ein klares Bewusstsein unserer Schuld und unserer Verantwortung erwächst, können wir bereit sein Kurt Marti in folgendem Gedanken zu folgen:
"Wie alle christlichen Feste ist aber auch Weihnachten ein Fest gegen die Angst, vergegenwärtigt es doch den Einen, der gelebt und gewirkt hat für eine Welt ohne Angst, für das Reich jenes Gottes, der kein Angstmacher, sondern ein Befreier ist."
Verdeutlichen wir uns zumindest, das unsere Welt nie zuvor unsere Welt war in einem solchen Ausmaß, das Versäumnisse genauso kennt wie Notwendigkeiten. Die Einsicht in Notwendigkeiten, die nun auch ansatzweise in konkrete Politik übersetzt werden sollen, erfährt mit dem heutigen Tag eine politische Zäsur. Vom Gelingen des verkündeten Aufbruchs wird es mit abhängen, ob die Zukunftsängste, die wir für unsere Kinder und Kindeskinder fürchten müssen, sich bewahrheiten, oder ob es uns gelingt das Ruder zu wenden. Vielleicht denken wir daran, wenn wir das Kindlein, das uns geboren werden soll in seiner Krippe betrachten.