Miriam Lau und Sabine Rückert trennen ein Jahr und eine Zierpalme (ZEIT 10/2016, S. 56)
Die Auseinandersetzung mit Sabine Rückerts Putzerfischen hat sich aus meiner Sicht gelohnt. Dass Frauen sich auf sich selbst besinnen müssen und dass die Erfüllung von Liebesträumen nicht wie Kokosnüsse auf den Palmen wächst, hat sich bis auf die letzte Alm und die kleinste Hallige herumgesprochen. Dass man genau aus diesem Grund Sabine Rückerts platonischem Gesamtverriss mit Vorbehalten begegnen muss, versteht sich von selbst. Wir haben einfach einen anderen Erfahrungsschatz und vor allem andere Instrumentarien, diesen Erfahrungen auch gerecht zu werden.
Warum ist Miriam Lau dennoch sehr viel näher bei Sabine Rückert als sie vorgibt, und welche Anregungen lassen sich aus ihrer Replik beziehen - und schließlich: Warum taugt ihre Position nicht annähernd dazu, meiner Nichte - wie sie annimmt - die ersehnte Munition bereitzustellen?
- Wie Miriam Lau bin ich der Meinung, dass Sabine Rückert die massenmediale Dimension sozialisationsrelevanter Geschlechterprägung verkennt. Ich hatte "Sex in the City" und "Desperate Houswives" angeführt. Miriam Lau ergänzt um die Lieblingserie ihrer drei Töchter: Girls - dafür bin ich in der Tat zu alt. Aber meine These, dass wir selbst die wirksamsten Mythenzertrümmerer sind, wird dadurch ja nur untermauert: "Nolens volens sind wir es ja ohnehin - und dies in der Regel nicht, ohne uns (manchmal - auch moralisch) unerträglich zu verstricken! Und ganz im Vertrauen: vielen der Girlis, die mit Girls-Serien groß werden, sind doch die Desperate houswives ebenso vertraut, wie den Müttergenerationen Sex in the City oder ähnliche Mythenkiller. Ich bin nach wie vor der Meinung, das wir als lebendige Produzenten vielfältigster Beziehungswüsten - der unvermeidbaren Beobachtung der Nachwachsenden ausgesetzt - die effektivsten Mythenzertrümmerer sind, die man sich vorstellen kann."
- Miriam Lau buchstabiert die Rückertschen Forderungen zu Ende: "Ich glaube, dass Rückerts Forderung nach Autonomie um jeden Preis längst traurige Wirklichkeit ist. Die Zahl der Singlehaushalte steigt und steigt, ebenso die Zahl derjenigen, die ihr Kind allein erziehen wollen oder müssen [...] Wenn dich in deinem Einzimmerappartment in der Kastanienallee der Katzenjammer überkommt, dann kannst du das nicht der Männerwelt in die Schuhe schieben." Miriam Lau entfernt sich von der alten feministischen Demarkationslinie und stellt ebenso wie alle Demoskopen - insbesondere die fleißigen Fliegenbeinzähler der Shell-Jugend-Studie - fest, "dass die Sehnsucht bleibt - und sie springt einem aus jedem Knopfloch entgegen.
Sie ist das Resultat eines gigantischen Fehlschlusses, den junge wie ältere Frauen aus dem Feminismus gezogen haben. Es lautet: Liebe schafft Abhängigkeit.
- Miriam Laus Konter ist allumfassend und trifft den solar plexus. Die Frage, warum denn Frauen so sehr auf Liebe stehen, beantwortet sie mit entwaffnender Schlichtheit: "Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem auch Männer 'drauf stehen'. Es ist eine ziemlich herrliche, befreiende, beängstigende, betrübende und beglückende Angelegenheit; es ist eine Erfahrung, die unser ganzes Leben rockt."
- Aber das Rock Around The Clock ist ja nur die eine Seite. Und auch andere Träume Miriam Laus signalisieren auch nur, dass sie eher gut gemeint sind, als dass sie realitätmächtig wären. Natürlich wäre es schöner, "Frauen und Männer sähen sich als Teamplayer, nicht als Einzelkämpfer auf feindlichem Terrain". Und die Frage, ob das Männer- oder das Frauenbild Sabine Rückerts deprimierender sei, sollte ja nicht dazu führen, dass wir unsere Wünsche mit Realitäten verwechseln, die in der Tat - da attackiert Frau Lau ebenso überzeugend wie Sabine Rückert - häufig mit einer Externalisierung von Verantwortlichkeiten verleugnet werden. Wie stellt Miriam Lau so treffend fest: "Die Glückserfahrung ist selbst gemacht, das Unglück kommt von außen."
- Ich möchte mit Miriam Lau die Hymne auf unsere westlichen Errungenschaften singen: "Wir sollten nicht vergessen, wie neu das alles ist: das die Geschlechter sich eine Arbeitssphäre teilen, dass sie um dieselben Trophäen ringen [...] Wenn man sich dann noch zu schönen Umgangsformen aufrappeln kann, sind wir dem Himmel schon sehr nah. Wie sehr uns Frauen in Afghanistan oder Saudi-Arabien um diese Dinge beneiden!"
Und dann möchte ich mit Miriam Lau und Sabine Rückert ein Apfelbäumchen, nein, eine Riesenpalme pflanzen; vielleicht lassen sie mich ja der Dritte im Bunde sein.
Liebe Kathrin, die Miriam Lau kannst Du nicht zu Deiner Kronzeugin erheben. Ich möchte Dir nicht zu nahe treten - weder Dir noch Sabine Rückert noch Miriam Lau. Letztere ist auch nicht bereit, das Schisma zu sehen, das Menschen trennt, die Kinder haben und die keine haben; und noch viel mehr Frauen, die Kinder geboren haben und die, die keine geboren haben. Ich werde hier nicht behaupten, dass diese die schlechteren und jene die besseren Menschen seien. Aber l u s t i g e r w e i s e finden sich Miriam Lau (drei Kinder - Töchter) und Sabine Rückert (ein Kind - Tochter) just an jenem Punkt, wo auch Miriam Lau nur "begeistert nicken" kann:
"'Ich wollte nie ein Kind', mit diesem Bekenntnis beginnt es. Sie hat dann, weil ihr Mann nicht nachließ, doch eine Tochter bekommen, die heute 19 Jahre alt ist. In dieser Zeit musste sie sich 'von sich selbst verabschieden', Verantwortung für andere übernehmen - ein echter Paradigmenwechsel. Eine Befreiung aus der Nabelschau. Man nennt es auch erwachsen sein. Warum soll das nicht schon mit 25 drin sein? Ich habe keine Ratschläge für junge Frauen. Werdet erwachsen, wie immer ihr lustig seid. Man braucht nicht einmal Kinder dazu. Obwohl sie das Ganze natürlich sehr versüßen."
Das mit dem Versüßen sehe ich Miriam Lau nach - obwohl es ganz bestimmt zutrifft. Sie hat auch den richtigen Begriff gewählt, um das Schisma zu markieren. Sie spricht von einem P a r a d i g m e n w e c h s e l !!! Das ist ein großes Wort. Ja, liebe Katrhin, Du bist erwachsen - und dies auf beeindruckende Weise. Aber was Miriam Lau und Sabine Rückert mit Paradigmenwechsel meinen, darüber werden wir vielleicht und hoffentlich in 10 Jahren noch einmal reden. Hinsichtlich der Bedeutung dieses Paradigmenwechsels unterscheiden sich erwachsene Frauen und Männer nur noch graduell.