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Eine Weihnachtsbotschaft mitten im Jahr?

Es ist eigentlich nicht die Zeit, sich an Weihnachten zu erinnern – mitten im Jahr, wo das Weihnachtsfest so weit hinter uns liegt, wie es zu erwarten ist. Aber vor einem guten halben Jahr veröffentlichte Nils Husmann im Dezemberheft (12/22) von chrismon (DAS EVANGELISCHE MAGAZIN) einen Beitrag mit der Überschrift „Frohe Weihnachten, Mama und Papa!“ Mama und Papa waren im Januar bzw. März 2022 verstorben, kurz nacheinander, und Nils Husmann fragt sich, wie das erste Fest ohne seine Eltern sein wird. Er erwähnt seine Geschwister und dass er mit seiner Familie 521 Kilometer weiter im Süden der Republik wohnt. Er erinnert sich – wie ich es auch zu tun pflege – daran, was er mit dem Weihnachtsfest in seiner Kindheit und Jugend verbindet. Dabei erwähnt er, dass er den Stress der anderen übersah: „Meine Eltern sackten abends müde in sich zusammen und waren – glaube ich – froh, wenn der Fernseher die Erwartungen begrub, dass sich alle noch besinnlich was erzählen sollten. Fragen kann ich sie nicht mehr, wie sie das damals alles empfanden.“ Und er bemerkt weiter, dass er an manchen Tagen die Fotos aufmerksam betrachtet, die sie von seinen Eltern auf ein Stehpult gestellt haben, daneben die Trauerbriefe, oft auch Blumen und manchmal auch eine brennende Kerze. Und dann schreibt er seine Eindrücke, Erinnerungen und Bedrängnisse auf. Ich möchte sie im Wortlaut hier wiedergeben:

„Ich weine eigentlich nicht mehr um meine Eltern – nicht mit Tränen jedenfalls -, aber es gibt drei Dinge, die ich bedauere: Dass ich nicht weiß, ob mein Vater hat leiden müssen, als er starb. Dass ich nicht dabei war, als meine Mutter ging. Und dass ich sie nichts mehr fragen kann. Und ich will ehrlich sein: Ich habe meine Eltern lieb, aber ich redete selten mit ihnen über ihr Leben, ihre Gefühle. Ich glaube, sie signalisierten uns Kindern unbewusst, dass man vieles mit sich selbst ausmachen muss. Das ist vielleicht das Schicksal der Menschen, die in den 30er und 40er Jahren geboren wurden. Freunde mit jüngeren Eltern, die zu Hause über alles reden konnten, beneidete ich. Aber auch als meine Eltern älter und ein bisschen gesprächiger wurden, brachte ich selten die Geduld auf, ihnen in Ruhe zuzuhören. Das gehört zur Wahrheit.“

Sprachlosigkeit ist einer der größten Geiseln der Menschheit. Ich lese das evangelische Magazin chrismon regelmäßig. Im Weihnachtsheft 2022 schreibt Claudia Keller (stellvertretende Chefredakteurin):

„Es fällt auch Licht in die größte Düsternis: Vier geflüchtete Journalistinnen aus der Ukraine haben aufgeschrieben, wo ihnen in diesem Jahr Gutes begegnet ist. Tamriko Sholi zum Beispiel ging auf, wie oft sie sich in ihrem Kiewer Leben bei ihrer Familie und Freunden beklagt hat. Ihre neue Regel: ihren Nächsten ganz viel Freundliches sagen, einfach so. Nicht warten auf den perfekten Moment, der nicht kommt.“

Ich habe mich in den letzten Jahren, die meine Schwiegermutter in einem örtlichen Pflegeheim verbracht hat, fast jeden Tag für ein bis zwei Stunden mit ihr dort getroffen. Für das Geburtstagsbuch anlässlich ihres 95sten Geburtstages am 27. September 2018 hat Dietrich Bonhoeffer das Motto geliefert:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen
Erwarten wir getrost was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Dietrich Bonhoeffer fühl(t)e ich mich – ohne es zu wissen – mein Leben lang tief verbunden. In seinem Geist erfüllt sich die tiefe Weisheit, dass es nicht auf den Weg ankommt, den wir gehen, sondern vielmehr mit wem wir ihn gehen. Er hat mich vor mehr als 25 Jahren zu einer tiefen Besinnung gebracht, die mir bis heute Wegweiser und Wegzehrung zugleich ist.

Darüber möchte ich gerne reden.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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