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(M)Ein Adventskalender (2022) - Heute öffenen wir das neunzehnte Türchen (19)

Die Anregung dazu kommt aus Einem Generationengespräch über wütende Gläubige und Tempo 100 für Bischöfe. In Berlin trafen sich die Pfarrerin Corinna Zisselsberger, der Jesuit Klaus Mertes und der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse – das Ganze wurde moderiert von Evelyn Finger (ZEIT Nr. 52/2022, Seite 66)

Ich diskutiere einfach mal mit, denn – ich wundere mich selbst – immer noch Mitglied der Katholischen Kirche zu sein. Aber für jede Form der Bequemlichkeit bzw. der Gewohnheit ist die Zeit längst abgelaufen. Der Titel unter der übergeordneten Frage, ob man ohne Kirche Christ sein könne, lautet im Übrigen „Schluss mit der Angst vor Austritten“ – Arroganz gepaart mit der Hybris, die nächsten Jahre bzw. Jahrzehnte weiterhin auf des Messers Schneide balancieren und sich als Amtskirche irgendwann selbst genügen zu können.

Corinna Zisselsberger (37) ist Pfarrerin an der ältesten Kirche der Hauptstadt, Sankt Marien; Wolfgang Thierse (79) war Präsident des Bundestages. Der SPD-Mann ist bekennender Katholik; Klaus Mertes (68), ist Jesuit und war lange Schulleiter. Er ist Ordensoberer des Berliner Ignatiushauses.

Business as usual – dies ist der Haupteindruck, wenn man die Argumentationslinien der Diskutanten verfolgt und auf den Punkt bringt. Trotz aller selbstkritischen Bekenntnisse, behält die institutionelle Alternativlosigkeit – begreift man die Kirchen als systemrelevante Erscheinungen – die Überhand. Allerdings mit gewichtigen Unterschieden in der Argumentation.

Wolfgang Thierse nimmt wohl wahr, dass er als integre Person deutlich unterschieden wird von der Institution Kirche. Er räumt ein, dass er häufig zu hören bekommt, die Kirche – dies bezieht sich auf die Katholische Kirche – sei „fremd, gestrig, vorgestrig, Inquisition“. Gleichwohl ärgert ihn, generell

„die modische Geringschätzung der Institutionen, bei der Kirche ebenso wie beim Rechtsstaat. Wir leben in einem Staat, der christlich geprägt ist. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes waren größtenteils Christen, aber haben ihre Überzeugungen in eine Sprache gefasst, die niemanden ausschließt.“

Die damit begründete Traditionslinie bzw. ein entsprechendes Ethos ist von der Katholischen Kirche zu keinem Zeitpunkt – auch nicht seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland – bestätigt worden; ganz im Gegenteil beruht das Selbstverständnis der Katholischen Kirche auf Exklusivität (selbst gläubige Christen, die geschieden sind, werden von den Sakramenten und Ämtern ausgeschlossen, so wie schwulen und lesbischen Paaren der kirchliche Segen von vorne herein verweigert wird). Es ist merkwürdig, dass Wolfgang Thierse dies (als Sozialdemokrat) nicht explizit bekennt. Er versucht uns hingegen zu verkaufen, die Kirche sei nicht nur Hierarchie:

„Sie ist vor allem das wandernde Volk Gottes. Ihr Überleben heute hängt von den Gemeinden ab, die nämlich müssen die Kirche retten, da allzu viele Kleriker zerstörerisch wirken.“ Bull-Shit – das Selbstzerstörungswerk der Amtskirche wird von Thierse ja durchaus gesehen: „Die Insititution muss Buße tun, Schuld eingestehen und sich selbst reinigen […] Das hat natürlich mit den Missbrauchsskandalen zu tun und mit der Unfähigkeit der Kirchen, angemessen hierauf zu reagieren.“

Sein Geeiere und seine „mildere Einstellung zur Kirche“ begründet Thierse damit, dass er sie nur kenne als eine kritisierte, beschimpfte, verteufelte Institution, die man gefälligst zu verlassen hat, „wenn man ein intelligenter Mensch ist“. So hält er es „für dumm“, Kirchen nicht für unverzichtbar zu halten:

„Mich ärgert, dass wir oft von Leuten kritisiert werden, die wenig oder nichts von uns wissen. Genau wie in der Politik. Die Verachtung für das Erbe des Christentums und seine universalistische Idee ist geschichtsvergessen.“

So weit Thierse. Ich könnte ihm folgen, wenn diese beschissene Amtskirche sich einholen ließe von der Geschichte; wenn sie auf die Höhe ihrer unsäglichen Vergehen und ihrer gleichermaßen unsäglichen Versäumnisse in der – von Thierse angemahnten – Vermittlung ihres Bedauerns, ihrer Buße und einer Haltung der Wiedergutmachung (hier sei nur an angemessene Entschädigungen ihrer zahllosen Opfer gedacht) gelangen könnte.

Und da gibt es noch einen, den ich wegen seiner kritischen Haltung, seiner Offenheit und seines Querdenkens schätz(t)e. Klaus Mertes wurde als er vor Jahren die Missbrauchsfälle an seiner Schule (Canisius-Kolleg) offenlegte, von den eigenen Leuten als Netzbeschmutzer abgestraft. Dann höre ich als erste Erklärung von ihm, die Tatsache, dass Leute gehen – die Kirche verlassen – liege darin begründet, „dass die klassischen Dogmen nicht mehr verstanden werden“. Andere verließen die Kirche, weil es Konflikte gebe, um dann allerdings „woanders in neuen Konflikten zu landen". Auf den Hinweis Evelyn Fingers, dass sicherlich viele Menschen die Botschaft des Evangeliums großartig fänden, dass aber die Kirche in deren Alltag keine Rolle mehr spiele, reagiert Mertes gleichermaßen abwiegelnd, indem er meint:

„Es gibt beides, die heftige Abwehr und die Gleichgültigkeit. Ich kenne viele junge Katholiken, die sind verletzt von der Institution und ihrer Haltung zu Frauen, Homosexuellen, Missbrauchsopfern. Also treten sie aus. Später, wenn das erste Kind kommt, möchten sie es taufen lassen.“

Aber es kommt durchaus noch heftiger, und man gewinnt den Eindruck, dass sich all die ehrenwerten Kritiker, Enthüller und Reformer von zentripedalen Kräften ihrer Mutterkirche (pardon, der Begriff ist zumindest bezogen auf die Katholische Kirche vollkommen daneben) nicht nur einfangen lassen, sondern auch Hirn und Herz wieder vernebeln lassen. Auf die Bemerkung Corinna Zisselbergers (der ich mich im Anschluss zuwende), dass nach dem Beschluss ihrer Kirche für die Bischöfe jetzt Tempo 100 auf der Autobahn zu verordnen und sich gleichzeitig mit der Letzten Generation zu solidarisieren, Leute reihenweise austräten, bemerkt Mertes:

„Sollen sie eben austreten. Es muss auch mal Schluss sein mit der Angst vor Austritten.“

Die einzige, die mich halbwegs überzeugt in diesem „Generationengespräch“ ist Corinna Zisselsberger, die sich einer christlichen Gemeinschaft der Glaubenden und Hoffenden zugehörig fühlt – schließlich könne sie sich nicht selbst segnen –, die aber versteht, „dass immer mehr Menschen die Institution ablehnen“. Sie sei eine Blase, die von vielen als skurril und fremd empfunden werde. Und es kommt ein anderer Tonfall in die Runde, wenn sie davon ausgeht, dass

„Christin oder Christ ist, wer sich selbst so definiert. Jesus schließt keinen aus, so etwas passt nicht zu einer einladenden Kirche. Für mich steht der Glaube im Vordergrund. Die Taufe ist ein Ritual für die Zugehörigkeit und Kirchenmitgliedschaft der formale Nachweis. Auch Ausgetretene bleiben getauft, also Teil der Gemeinschaft.“

Und selbstverständlich ist auch sie der Überzeugung, dass es ohne engagierte Gemeinden nicht gehe und räumt dennoch ein: „Trotzdem verstehe ich, wenn gerade junge Menschen mit uns hadern. Unser patriarchales Erbe schreckt ab.“

Und des Pudels Kern liegt in einem kurzen Abgleich der Positionen Corinna Zisselsbergers und Klaus Mertes‘: Denn Mertes greift das Verständnis Zisselsbergers auf und räumt ein:

„Ich habe ständig mit einer jungen Generation zu tun, die großen Anstoß nimmt an der Rolle des Priesters.“

Zisselsberger darauf:

Wenn ich katholisch wäre, dürfte ich meinen Beruf nicht ausüben.“

Ja, und was soll man dann davon halten, wenn Klaus Mertes einräumt:

„Ja, ich habe ehemalige Schüler, die nach dem Abitur am Canisius-Kolleg oder am Kolleg Sankt Blasien ausgetreten sind, wegen genau solcher Themen. Sie haben die Schnauze voll und gehen lieber zu Fridays for Future.“

Auch ich habe die Schnauze voll und werde die Katholische Kirche nun endgültig verlassen. Ich erwäge – so wie meine jüngste Tochter - zu konvertieren. Und dies schon allein, weil ich mir nur vorstelle, meine zweijährige Enkelin käme im Verlauf ihrer beruflichen Orientierungsbemühungen zu dem Ergebnis Pfarrerin werden zu wollen. Wie Corinna Zisselsbergers käme sie gewiss zu dem Befund: Wenn ich katholisch wäre, könnte ich diesen Beruf nicht ergreifen!

Nach all den unsäglichen Scharaden und Winkelzügen, nach all den Erkenntnissen, die zweifelsfrei darauf hinauslaufen, dass die Katholische Kirche weder die Kraft zur Selbstreinigung aufbringt noch die Fähigkeit zu einer inneren Erneuerung in sich trägt (die auch in zwanzig Jahren gewiss Frauen noch vom Priesteramt ausschließen wird), reicht es mir. Mal schauen, wo mich meine Bemühungen um Orientierung hinführen werden.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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