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Machen wir unsere Demokratie zu einer wehrhaften Demokratie!

Elisabeth von Thadden im Gespräch mit Susan Neiman (ZEIT 35/2023, Seite 39)

In diesem Gespräch vertritt Susan Neiman die These, die Unterscheidung zwischen vernünftigen Gründen und Gewalt sei keine andere als die zwischen Demokratie und Faschismus. Sie bemüht bzw. installiert dazu gewaltige Prämissen, deren gewaltigste folgendermaßen lautet:

„Aber wie Rousseau meine auch ich: Es sind vor allem zwei Eigenschaften, die alle Menschen gemeinsam haben. Sie fühlen ein Mitleid, das jeder Vernunft vorausgeht, wenn jemand in ihrer Nähe Schmerzen leidet, und sei diese Empathie noch so flüchtig. Wenn ein Baby weint, dreht sich jeder nach ihm um. Die zweite ist: Wir spüren eine Sehnsucht nach Freiheit und wehren Beschränkungen unserer Freiheit ab.“

Zwei Mal erfolgt in diesem Gespräch zwischen Elisabeth von Thadden und Susan Neiman ein Rekurs auf Carl Schmitt, den „Nazi-Staatsrechtler“ (wie von Thadden ihn nennt). Zum einen habe Schmitt behauptet, wer Menschheit sage, wolle betrügen. Susan Neiman hält dem entgegen:

„Wer von Menschheit spricht, erhebt normative Ansprüche. Nichts anderes bedeutet es zu sagen, die Würde des Menschen sei unantastbar. Faktisch wird die Würde unvorstellbar verletzt. Aber normativ soll es so nicht sein.“

Carl Schmitt war ein skrupelloser Hasardeur, dem man alles vorwerfen kann, was den Menschen zum Unmenschen qualifiziert (siehe seine nachgelassenen Tagebücher). Eines kann man ihm allerdings nicht vorhalten: Klar und unmissverständlich in seinen politischen Unterscheidungen gewesen zu sein. Auf Seite 26 seiner 1932 erstmals erschienenen Schrift Der Begriff des Politischen heißt es:

"Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststelllung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Das Politische hat nämlich seine eigenen Kriterien, die gegenüber den verschiedenen, relativ selbständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. Das Politische muß deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an, daß auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich; im Ökonomischen Nützlich und Schädlich oder beispielsweise Rentabel und Nicht-Rentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht (S. 26)?"

Carl Schmitt nimmt nun eine Unterscheidung vor, die fortan sein gesamtes staats- und gesellschaftspolitisches Koordinatensystem dominiert:

"Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind (S. 26)."

In dieser Schrift denkt Carl Schmitt die daraus resultierenden Konsequenzen radikal zu Ende. Sie gestalten sich bis heute im wahrsten Sinne als ein offenes Buch ohne sieben Siegel Berlin, (Duncker&Humblot, Berlin, 7. Auflage 2002 - 5. Nachdruck d. Ausg. v. 1963). Sie legitimieren den Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion und letztlich auch den Genozid an den Juden.

Susan Neiman sieht die Patenschaft solchen Denkens für eine faschistisch orientierte Politik. Sie erwähnt Carl Schmitt gegen Ende ihrer Argumentation ein zweites Mal:

„Carl Schmitt: Der ätzt gegen liberale demokratische Parlamente, die nichts tun, außer endlos alles zu zerreden. Das ist verführerisch. Man vergisst nur leicht: Das läuft im Kern auf eine politische Theorie des Krieges hinaus. Dann bleibt von Politik nichts als der Kampf um die Macht.“

Carl Schmitt hat die Theorie des Krieges in der Moderne geschrieben. Nach seiner Blaupause haben nicht nur Hitler und seine Nazi-Schergen gehandelt. Sie dient heute einem Wladimir Putin gleichermaßen als ideologische Rechtfertigung seiner Vorgehensweise. Noch einmal Carl Schmitt im Original:

Carl Schmitt geht es um eine "der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht" (S. 29). Wenn wir nun noch lesen, dass die Begriffe Freund und Feind in ihrem "konkreten, existentiellen Sinn" zu nehmen sind und nicht als "Methaphern oder Symbole", dass sie "nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen", dann gelangen wir quasi-automatisch und zwangsläufig zu der aberwitzigen von Heinrich Himmler in seiner berüchtigten Posener Geheimrede vom Oktober 1943 vor 200 NS-Funktionsträgern geäußerten Auffassung:

„Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammenliegen, wenn 500 oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“

Der Himmlersche Wahnsinn offenbart das Schisma, das Menschen voneinander trennt. Es erlaubt uns nur dann an einen Universalismus der Menschenrechte zu glauben und an ihm festzuhalten, wenn wir ihn kämpferisch vertreten. Eine universalistisch glaubhafte – gewissermaßen DNA-verbürgte – Idee der Fähigkeit zu Empathie und Mitleid beansprucht ihrerseits zu viele (banale) Prämissen. Putin empfindet offenkundig kein Mitleid mit getöteten Kindern. Und seine Befehlsempfänger im militärischen Apparat – fernab der einschlagenden Raketen und Geschosse – zeigen gleichermaßen kein Mitleid.

Die Vernunft ist bei allem eine unschuldige Hure – zumindest muss man zugestehen: Es gibt nicht nur die eine Vernunft. Allein deshalb schon plädiere ich dafür aus Susan Neimans These, die Unterscheidung zwischen vernünftigen Gründen und Gewalt sein keine andere als die zwischen Demokratie und Faschismus zu einer Kampfformel auszubauen: Für ein Verbot faschismusaffiner Parteien und Organisationen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland! Für ein Verbot der AfD! Auch Demokraten können von Carl Schmitt lernen.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund