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Warum ich der Katholischen Kirche nicht mehr angehören möchte – das Bekenntnis eines notwenigen Austritts aus Verantwortung (am 18.7.2023)

So beten wir im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, der früher einmal ein Gespenst war, Amen. (Michael Moore)

Michael Moore (Stupid White Men bei Piper 2002 erstmals verlegt) schließt mit dieser Formel sein von Sarkasmus geprägtes Gebet an den dreifaltigen Gott ab, mit dem er denselben bittet, im Allgemeinen wie im Spezifischen für Gerechtigkeit in der Welt zu sorgen. Mit Sarkasmus bezeichnen wir beißenden, bitteren Spott und Hohn. Häufig offenbart sich in ihm nicht nur schlichte Kritik an gesellschaftlichen Gegebenheiten, sondern auch das Eingeständnis, solchen Gegebenheiten nicht wirksam und nachhaltig beikommen zu können. Michael Moore trifft mit seinem Zynismus einen Kern: Ja, ein Gespenst geht um in Europa und in der Welt. Und dieses Gespenst heißt Christentum in Gestalt seiner Kirchen, in dem sich der Antichrist zu erkennen gibt.

Mein Austritt aus der Katholischen Kirche erfolgt spät – zu spät, um damit noch umfassend belegen zu können, wie sehr ich mich von dieser Kirche und wie sehr sich diese Kirche von meinem Denken, Fühlen und Hoffen entfernt hat. Trotz dieses Eingeständnisses habe ich mir auch diese Entscheidung nicht leicht gemacht.

Unter Gliederungspunkt römisch I in Hauptkapitel A stellt Hans Küng die Frage nach dem Wesen des Christentums – Unterkapitel 1 und 2 widmet er dem Idealbild bzw. dem Feindbild (Das Christentum, München 1994, Seite 27-30). Hans Küng hat seiner Kirche die Treue gehalten, jener Kirche, die ihm bereits 1979 die missio canonica – die kirchliche Lehrerlaubnis - entzogen hat. Er gehört zu den prominenten Kritikern der Kirche, denen es allesamt nicht gelungen ist, wirksame und nachhaltige Reformen zu initiieren. Mit ihren ungezählten Vorschlägen und Initiativen wäre vielleicht jene Selbstbesinnung möglich gewesen, die mit einer Reform an Haupt und Gliedern eine moderne, zeitgemäße Kirche hätte begründen können. Diese Kirche würde sich heute möglicherweise nicht mit einem bislang beispiellosen Aderlass konfrontiert sehen. Die bisherige Höchstzahl an Kirchenaustritten aus dem Jahr 2021 wurde 2022 noch einmal deutlich übertroffen. Insgesamt verliert die katholische Kirche über 600.000 Mitglieder. Und nun gehöre auch ich dazu.

Hans Küng lässt auf Seite 27 seiner 1039 Seiten umfassenden Schrift Friedrich Nietzsche zu Wort kommen:

„Ich verurteile das Christentum, ich erhebe gegen die christliche Kirche die furchtbarste aller Anklagen, die je ein Ankläger in den Mund genommen hat. Sie ist mir die höchste aller denkbaren Korruptionen … sie hat aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht … Ich heiße das Christentum einen großen Fluch, die eine große innerlichste Verdorbenheit, den einen großen Instinkt der Rache, dem kein Mittel giftig, heimlich, unterirdisch, klein genug ist – ich heiße es einen unsterblichen Schandfleck der Menschheit …“

Hans Küng erwähnt in der Folge Karlheinz Deschner und seine Kriminalgeschichte des Christentums in zehn Bänden (Reinbek 1986-1994), um dann eine Kurve zu nehmen, vor der ich - heute 2023 - bewusst aussteige. Er schreibt:

„Ich bin bestimmt der letzte, der die Anklage Nietzsches gegen das Christentum nicht ernst nähme; habe ich sie doch schon vor anderthalb Jahrzehnten nicht nur zitiert, sondern mit viel Empathie ausführlich diskutiert.“

Und Karlheinz Deschner stellt er die Frage:

„Wozu dieser Höchstaufwand an Ironie, Polemik, Sarkasmus und Invektiven? Um die These aufrechterhalten zu können, dass das Christentum in sich verbrecherisch, kriminell, ein Wahn, Lug und Trug sei, der >wissenschaftlich< zerstört werden müsse.“

Und weiter merkt Küng an, Hass könne gewiss wie die Liebe hellsichtig machen, aber oft auch blind:

„Man lese nur des früheren Bamberger Theologiestudenten (Karlheinz Deschner, Anm. Verf.) Hasstiraden >Über die Notwendigkeit, aus der Kirche auszutreten< - für ihn der >Riesenkadaver eines welthistorischen Untiers<, >die Reste eines Monstrums<.“

1894 wurde der Antichrist im Übrigen erstmals vom Nietzsche-Archiv herausgegeben – vor fast 130 Jahren!

Hans Küng ist 2021 gestorben. Er hat noch miterlebt, wie die Katholische Kirche – mitten in der Postmoderne, nach Aufklärung und Säkularisierung – mit jeder erzwungenen Offenbarung von Missbrauch und Machtmissbrauch mehr und mehr hineinwächst in den „Riesenkadaver eines welthistorischen Untiers“.

Hans Küng, vielleicht ein ehrenwerter Mann und aufrechter Theologe, irrt, wenn er 1994 meint:

„Nein, eine >Chronique scandaleuse< ist noch keine Geschichtsschreibung, sondern – wörtlich nach dem Großen Duden – eine >Sammlung von Skandal- und Klatschgeschichten einer Epoche oder eines bestimmten Milieus<. Das alles heißt: Die Frage, was das Christentum wirklich ist, vermag ein solches Feindbild ebenso wenig zu klären wie ein traditionelles Idealbild. Statt der Verherrlichung oder der Verdächtigung ist historisch-kritisches Verstehen in Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit geboten, das dann freilich Grundlage zu sein hat für ein theologisches Beurteilen: Messen am Ursprung, an der Ur-Kunde des Christentums.“

Hans Küng mag ein aufrechter Theologe sein, gesegnet mit einem messerscharfen Verstand. Lediglich von einer Chronique scandaleuse zu sprechen, würde ihm heute gewiss widerstreben. Und die von Karlheinz Deschner angestellten Überlegungen „Über die Notwendigkeit, aus der Kirche auszutreten“ sind vollkommen losgelöst zu betrachten von der Frage, „wie das Christentum wirklich ist“. Christ zu sein auf der einen Seite und Mitglied der Katholischen Kirche zu sein auf der anderen Seite haben vermutlich nicht nur nichts miteinander gemein, sondern wird von vielen inzwischen ganz offenkundig als eine contradictio in eo ipso, als ein Widerspruch in sich selbst, betrachtet.

Nehmen wir von den unzähligen Zusammenstellungen über sexuell motivierten Missbrauch in der Katholischen Kirche nur eine einzige:

Sie als Chronique scandaleuse begreifen zu wollen, entspräche einer maßlosen Verharmlosung. Treten in einem Leben – auch im Selbstverständnis einer Institution – Wendepunkte ein, in deren Folge das gesamte Selbst- und Werteverständnis auf dem Kopf steht, muss dies ein Anlass zu einer existentiell begründeten Selbstbesinnung sein; dies beinhaltet die Chance zu einer Wiedergeburt, zu einer grundlegenden Erneuerung oder: schlichter gesagt, wenigstens zu einer Umkehr. Für die Katholische Kirche würde diese zur Folge haben, sich messen zu müssen am Ursprung, an der Ur-Kunde des Christentums.

Meinen Austritt aus der Katholischen Kirche begründe ich nicht mit Hasstiraden, sondern mit einer schlichten Fassungslosigkeit angesichts der eklatanten Widersprüche:

  • Die Amtskirche mit ihren Würdenträgern und Funktionären ist mir zuwider, weil sie durch ihre Praxis immer wieder unter Beweis stellt, dass sie den von Hans Küng angelegten schlichten Maßstäben systematisch und in einem infiniten Regress zuwiderhandelt.
  • Es ist dieser infinite Regress, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte beobachtbare Praxis, als Amtskirche den christlichen Werten zuwiderzuhandeln, die die Glaubwürdigkeit der Würden- und Funktionsträger mit vernichtender Konsequenz beschädigt. Pomp und Firlefanz ihres Auftretens verschärfen die Widersprüchlichkeit von Anspruch und Wirklichkeit.
  • Auf eine radikale Besinnung, eine Reform an Haupt und Gliedern, ist nicht zu hoffen. Der Fisch stinkt und fault vom Kopfe her. Ein Zwangszölibat aufrechtzuerhalten bildet nicht nur den Nährboden für Unwahrhaftigkeit, sondern ganz offenkundig auch einen zentralen Bedingungsfaktor für eine strukturell verankerte Missbrauchspraxis; auch Priester, auch Bischöfe und Kardinale sind Männer. Toxische Männlichkeit bildet folgerichtig in vielen Fällen die Kehrseite einer verleugneten und mit Tabus versehenen männlichen Identität (in all ihren Facetten und Spielarten).
  • Die Katholische Kirche ist eine Kirche von Männern. Ich möchte keiner Institution angehören, deren Praxis auf männerbündlerischen Herrschaftsstrukturen und –mechanismen beruht. Mein erklärter Wille ist, dass sie in dieser reaktionären und anachronistischen Form verschwinden möge. Wir haben gelernt, dass vor Gott (und dem Gesetz) alle Menschen gleich sind, gleich an Rechten und gleich an Pflichten. Ein wahrhaftiges Verstehen und Begreifen der Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen durch die Amtskirche ist ebenso wie ein wahrhaftiges Aufarbeiten ihrer Verfehlungen weder gegeben noch zu erwarten.
  • Zugespitzt auf die männerbündlerische Kumpanei, die das Leugnen und Vertuschen einer tabuisierten, gleichwohl lebendigen Sexualität zu einem Wesensmerkmal eines pervertierten Selbstbildes gemacht haben, bekenne ich (als Mann) jedwedes Vertrauen verloren zu haben in die Männerdomäne der Amtskirche. Männer, die der bio-psycho-sozialen Tatsache ihrer Existenz nicht nur keine Aufmerksamkeit widmen, schaffen mit einem rein voluntaristischen Akt im Sinne eines allgemeingültigen Zölibats erst die Bedingungen, die eine Scheinwelt auf der Vorderbühne beleuchten und die Hinterbühne mit ihren Missbrauchsexzessen – und verhüllungen im Dunkel lassen. Darin offenbart sich aber kein Problem des guten Willens, sondern ein zutiefst strukturell verfestigtes Problem.

Mit Bedauern bekenne ich, dieser Kirche 71 Jahre angehört zu haben. Ein Bild aus den Evangelien ist mir aus meiner Kindheit vertraut geblieben (siehe Tempelreinigung in wikipedia). Ich bemühe es immer wieder in meinen Phantasien, wenn kirchliche Würdenträger, die in großer Zahl in das Missbrauchsgeschehen verstrickt sind, versuchen, diese Geschehnisse zu verharmlosen und/oder zu vertuschen:

Als Jesus im Jerusalemer Tempel die Händler und die Geldwechsler sitzen sah, trieb er sie der Überlieferung des Johannesevangeliums zufolge mit einer Geißel aus Stricken aus dem Tempel, stieß Tische um und verschüttete das Geld der Wechsler mit den Worten: „Macht meines Vaters Haus nicht zum Kaufhaus!“ (Joh 2,16 EU). Im Markusevangelium begründet er seine Handlung mit den Worten: „Steht nicht geschrieben: ‚Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker‘? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“

Wenn es denn eine Perspektive wäre, ich würde der Katholischen Kirche eine Gesundschrumpfung wünschen – vielleicht um den Preis ihrer vollständigen Marginalisierung. Es könnte aber auch so kommen, wie Brecht einst bemerkte:

Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes? (Ersetze Regierung durch Kirche)

Einen vielleicht noch passenderen, eher sarkastisch bis resignativ anmutenden Scherz hat mit Blick auf die Reform von Institutionen nach Ben Hodges (früherer Commanding General der US- Streitkräfte in Europa) der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beizutragen:

Auf die Katholische Kirche passt er wie ein maßgeschneiderter Sargnagel. Er meint: „Eine Institution zu verändern ist so, als versuche man, einen Friedhof zu verlegen. Die Leute, die da sind/liegen, sind keine große Hilfe (nachzulesen in der ZEIT 30/23, Seite 2).“

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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