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Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil III)

Maximilian Probst widmet das komplette vierte Kapitel seiner Abhandlung über die unzeitgemäße Tugend der Verbindlichkeit der Ehe. Ich stoße auf einen Vertrauten aus der Frühzeit konstruktivistischer Theoriebildung. Probst zitiert Heinz von Foerster mit der ihm zugeschriebenen Formel: Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst – hierin sahen/sehen viele den neuen ethischen Imperativ einer der Freiheit verpflichteten Gesellschaft. Mit dieser Facette einer Vorstellung von Freiheit leitet Maximilian Probst seine Eintragungen zum 18. August ein. Um es kurz zu machen. Man kann lange darüber rätseln, warum Probst Heinz von Foerster just in diesem vierten Kapitel das Wort gibt und dann auch schlussfolgert:

„Heinz von Foerster hat mit seinem neuen ethischen Imperativ richtiggelegen, genau wie Nietzsche mit seinem prophetischen Satz: ‚Vielleicht gab es noch nie ein so offenes Meer.‘ Nur muss man wohl hinzufügen: für Männer (Seite 111 – in der Kreuzstraße 111 wohnte meine Tante Annemie – an ihrem Beispiel mag man nachvollziehen, wie unverzichtbar Maximilian Probst’s Hinzufügung ist).“

Allerdings weiß Probst zu berichten,

„dass auch Männer einen Preis entrichten für die Freiheit in Zeiten des Überangebots – es ist ihre Unverbindlichkeit. Wer sich bindet verbaut sich etwas. Die Bindung selbst erscheint als Fessel, als ein reines Negativum, das die große Freiheit unterbindet. Verbindlichkeit erscheint als Bond, als Schuld, als Mangel an Möglichkeiten (ebd.).“

Es ist fast müßig mit Maximilian Probst zu ergänzen, „dass Frauen heute im Begriff sind, den Siegeszug dieser Gesellschaft zu vollenden“. Und mehr noch scheinen all diese Errungenschaften - einer neuen Freiheit für alle - nur Etappen zu sein auf dem Weg – wohin eigentlich? Bereits 2017 erwähnt Probst, dass durch das Einfrieren der Eizellen in jungen Jahren (social freezing) und die Möglichkeit späterer künstlicher Befruchtung die biologische Uhr abgeschaltet werde. Der Blick in die schon begonnene Zukunft gerät zum social freezing. Da übernimmt die Unverbindlichkeit das Regiment und Nacht senkt sich über jede Verbindlichkeit. Maximilian Probst schreibt sich dann um Kopf und Kragen, wenn er darum bittet, dass seine Ausführungen zum Feminismus bitte nicht falsch verstanden werden sollen. Aber sei‘ drum: Es gebe ja solchen und solchen Feminimus:

„Mir ist er in allen Formen recht. Am sympathischsten aber ist er mir dann, wenn er die Werte und Charaktereigenschaften nicht gänzlich vergisst, die über die Jahrhunderte garten, als die Frau am Herd stand; Werte und Charaktereigenschaften, die oft aufgrund dieser langen Geschichte als ‚weiblich‘ bezeichnet werden, aber natürlich auch jedem Mann gut zu Gesicht stünden: Warmherzigkeit, Sanftheit, Vermittlung, Geduld, Selbstlosigkeit, Empathie, Verzicht …] Kurz: Meine Hoffnung wäre, dass mit dem Feminismus eben auch jene Werte, für die Frauen einst standen, an gesamtgesellschaftlicher Relevanz gewinnen könnten. Ich weiß, dass ich diesen Werten damit viel aufbürde. Sie müssen fertig werden mit einer jahrhundertelangen Tragödie, die sich Geschichte nennt und nahezu eine einzige Abfolge von Katastrophen ist, bis hin zur jüngsten Spielart des Finanzkapitalismus und der Umweltzerstörung. Mit dieser weitgehend ‚männlich‘ konnotierten Geschichte müssen wir heute aufräumen, und zwar genau dadurch, dass wir auf jene Werte zurückgehen, die an dieser Geschichte den geringsten Anteil hatten.“

Ich gewinne den Eindruck, Maximilian Probst hat das Buch ca. 30 Jahre zu früh geschrieben, bekennt er zu allem Unglück auf Seite 116 auch noch:

„Ich weiß auch nicht, warum ich geheiratet habe. Und wenn meine Frau mich fragt, warum ich sie liebe, weiß ich nicht mal das. Ich weiß, dass ich sie liebe. Aber warum? Warum entgegne ich dann, warum eigentlich diese Frage? Ist die Liebe nicht ohne warum (Seite 116)?“

Nicht, dass ich das nicht nachvollziehen könnte. Und Maximilian Probst nimmt dann in der Folge auch so manche Steilkurve – immer in der Gefahr die Bodenhaftung und den Überblick zu verlieren. So auf Seite 121, wo er die Frage wiederholt und zumindest einräumt, für die Heirat ließen sich schließlich gute Gründe finden – zum Beispiel „die glücklosen Episoden, bevor ich meine spätere Frau kennenlernte?“

Jetzt kann man sich die Frage stellen, sind die Überlegungen des Maximilian Probst es wert, hier Resonanz zu erzeugen? Ich beantworte die Frage mit einem eindeutigen Ja! Die Begründung dafür liegt weniger an der hohen See, die seine Ausführungen zur Ehe ständig auf schwankenden Planken erscheinen lassen. Er sucht sich da zu allem Unglück auch noch den Geburtstag meiner Frau aus und schreibt am 27. August:

„Ich muss auch sagen, dass es eine gewisse Anstrengung erfordert – selbst bei meinem phlegmatischen Charakter -, stets die dieselbe Person zu lieben. Ich denke dabei an den fatalen Prozess, wie sich die Gewohnheit in langanhaltenden Beziehungen anschickt, die Liebe sanft einzuschläfern, was dann den leicht verschwitzten Versuch erforderlich macht, dem alten Trott zu entkommen und der Beziehung eine Form von Ereignishaftigkeit zurückzugeben (Hervorhebung, FJWR).“

Maximilian Probst bleibt an der Stelle sehr abstrakt. Ich war ein wenig älter, als ich True Lies (siehe: Die Mohnfrau, Seite 88) geschrieben habe – zugegebenermaßen ein wenig kryptisch, aber dem Achterbahn-Erprobten sicher vertraut:

 

True Lies oder Müde Pärchen im Schlafrock

Man nehme einen Verflossenen
(wenn möglich mit Trennungsabsichten),
gewähre ihm Durchreiserecht,
füge einen Vertrautheits- und Freundschaftsrahmen
in Form von Asylangeboten hinzu,
würze des Weiteren mit schönen romantikfähigen Orten
– etwa schnee- und erinnerungsträchtigen Alpentälern.
Den Teig lasse man neun Monate gehen,
füge ein wenig Eifersuchtsfluidum
als katalysierendes Triebmittel hinzu.
Zur besseren Durchmischung lasse man
ein kleines Sturmtief hindurchfegen
– vielleicht namens Emma.
Man knete das Gemenge schließlich
mit heilenden Händen ordentlich durch,
forme kräftige Schnittchen daraus
und gare dieselben 24 Stunden nahe am Siedepunkt.
Man garniere vielleicht mit ein wenig
bahnhofschwangerer Abschiedsatmosphäre
und serviere das Ganze lauwarm
– fertig ist eine delikate ménage à trois.
Das Ganze nenne man True Lies.
Schaltjahre stellen im Übrigen
optimale Gedeihlichkeitsbedingungen bereit.
Als Digestif (ein die Verdauung anregendes Getränk) empfiehlt sich
ein hochprozentiges Destillat humorhaltiger Gedanken und Scherze
– so ist eine nachhaltige Bekömmlichkeit nahezu garantiert!

Detlef Klöckner würde wohl zustimmen,
dass sich diese deftige kulinarische Gabe
- im Sinne eines Stolpersteins -
als nachhaltige Revitalisierung
müder Pärchen im Schlafrock anbietet.

Detlef Klöckner weist allerdings darauf hin, dass das – mit der Ereignishaftigkeit – einfacher ausgesprochen als getan ist (siehe: Phasen der Leidenschaft, Stuttgart 2007 oder: Die Mohnfrau, Seite 85-88):

„Manche Paare versuchen ein gutes Klima herzustellen, indem sie eine ungemütliche Unterscheidung bemühen. Sie differenzieren zwischen Situationen, die passieren, also gleichsam körperlicher Untreue und dem übergeordneten Versprechen im Zweifelsfall zum bisherigen Partner zu stehen. Die bestehende Beziehung hat auf einer höheren Ebene uneingeschränkte Priorität, und vorübergehende Sekundärpartner erhalten den Stempel von Durchreisenden. Darin steckt durchaus eine Lösung zum erhalte einer vitalen Beziehungskultur, die aber ein enormes Selbstbewusstsein und viel Vergebungswillen erfordert (Seite 216).“

Zum Schluss muss der unglückliche Panther helfen. Maximilian Probst stellt die – zumindest für ihn offensichtlich – rhetorische Frage: „Also lieber die freie Wildbahn?“ und gibt mit Rückgriff auf und in Abwandlung Rainer Maria Rilke(s) folgende Antwort:

„Aber nicht doch! Das Ergebnis wäre dieselbe Leere – auf dem entgegengesetzten Weg erreicht. Rilke über die Figur der sexuellen Freibeuterin: ‚Ihr Blick ist vom Vorübergehen der Bären so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihr ist, als ob da tausend Bären wären, und hinter tausend Bären keine Welt.‘ Weder ein Ring noch kein Ring: Was bleibt dann? Ein miteinander Ringen (Seite 136f.)?“

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund