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An die Dummenbürger

Heute richtig harter Tabak - meine Abrechnung mit Corona-Leugnern

Es drängt einen wenig danach, sich in den aktuellen Diskurs um die pandemische Notlage und ihre ganz und gar unterschiedliche bis gegensätzliche Wahrnehmung einzuschalten. Mit Bernd Ulrich gemeinsam habe ich das für meinen Teil bereits im März/April 2020 getan (auch in Schriftform). Gleichwohl muss jeder (selbst-)bewusste Demokrat mit republikanischer Erdung noch einmal klar Position beziehen – dies vor allem mit Blick auf die unerträglich wirkende Entwicklung in den neuen Ländern. Jede harte politische Auseinandersetzung kommt nicht ohne Polemik aus. So werden auch hier harte Worte fallen. Die Grundlage jedoch beziehe ich aus einer Lektüre Zygmunt Baumans (Jg. 1925); gebürtiger Pole, der 1971 einem Ruf an die University of Leeds folgte. Er starb im Januar 2017 ebenda, in Leeds.

1997 legte er eine Aufsatzsammlung unter dem Titel Unbehagen in der Moderne vor (in deutscher Übersetzung 1999 bei der Hamburger Edition). Ich beschränke mich hier auf die Einleitung, in deren Rahmen Zygmunt Bauman keine Zweifel lässt an seiner Orientierung an Sigmund Freuds Unbehagen in der Kultur. (auch als massive Bremsspur in meiner Selbstauskunft). Unmittelbar anknüpfend an Das Unbehagen in der Kultur, stellt Baumann die These in den Raum, dass die individuelle Freiheit den höchsten Rang einnehme. Sie – die Freiheit – sei heute der Wert, anhand dessen alle anderen Werte beurteilt würden. Sie sei das Richtmaß, an dem der tiefere Sinn aller überindividuellen Regeln und Entscheidungen auszumachen sei. Damit haben wir sozusagen die Blaupause – die Grundorientierung -, an der sich gegenwärtig die Konflikt- und Bruchlinien im aktuellen Diskurs um die Einschränkungen der Grundrechte in pandemischer Notlage scheiden lassen. Wenn ich nun im Folgenden eine längere Passage aus der Einleitung Zygmunt Baumanns wiedergebe, dann markieren wir damit eine Frontlinie, die vielleicht hilfreich ist bei der Einordnung und Bewertung verschiedener Positionen. Schlagen wir zunächst einmal mit Zygmunt Baumann die Brücke zwischen der Moderne und der von Baumann davon abgegrenzten Postmoderne. Die von ihm tendenziell angenommene Umkehrung von Werten – oder vielleicht nur Wertigkeiten – offenbart einen radikalen Sichtwechsel in der Wahrnehmung des Verhältnisses von (öffentlicher) Regulierung, öffentlichen Eingriffen in Freiheitsrechte auf der einen Seite und einem radikalen Freiheitsbegriff auf der anderen Seite:

„Man gewinnt etwas, und man verliert etwas im Gegenzug: Die alte Regel ist heute so gültig wie damals. Nur haben Gewinn und Verlust den Platz getauscht: Postmoderne Männer und Frauen haben ein Stück ihrer Sicherheitsmöglichkeit gegen ein Stück Glück eingetauscht. Das Unbehagen in der Moderne erwuchs aus einer Art Sicherheit, die im Streben nach dem individuellen Glück zu wenig Freiheit tolerierte. Das ‚Unbehagen der Postmoderne‘ entsteht aus einer Freiheit, die auf der Suche nach Lustgewinn zu wenig individuelle Sicherheit toleriert (S. 11).“

Ich räume ein, dass nun ein philosophischer Diskurs entsteht, der den meisten Protestlern am Arsch vorbeigeht. In den neuen Ländern – in Sachsen und Thüringen in Sonderheit – scheint das die meisten Menschen wenig zu interessieren. Sie protestieren aus Prinzip, weil sie staatliche Regulation satt haben, zumal die älteren unter ihnen, die noch wissen, was Staatssicherheit als Vorrangprinzip bedeutet. Wohlgemerkt: Dabei – bei dem Trauma das mit dem Vorrang von Staatssicherheit einhergeht - geht es nicht um gesellschaftliche Interessen. Hier geht es ausschließlich um die Sicherheit eines Staatsapparats, dessen Legitimität schon lange vor dem endgültigen Zusammenbruch einem zunehmenden Erosionsprozess unterlegen war. Politische Sozialisation und politische Bildung kam und kommt hier eindeutig zu spät. Es gibt offenkundig in den neuen Bundesländern eine beträchtliche Anzahl an politisch Ungebildeten, die nicht in der Lage sind zwischen Gewaltenteilung und rechtsstaatlichen Prinzipien auf der einen Seite und einem Staatssicherheitsbedürfnis in einem totalitären Unrechtsstaat zu unterscheiden. Ganz nebenbei bemerkt bekommen wir das drastisch zu spüren, wenn in Ungarn und Polen auch die Nomenklatura diese Unterscheidung als rote Linie missachtet und zurückweist. Wir haben es hier schlicht mit einem generativen Geschehen zu tun. Eine Generation reicht nicht aus, um in Europa wirklich anzukommen! Gehen wir zurück zu Zygmunt Baumanns Argumentation (Baumann kennt im Übrigen die Mechanismen totalitärer Machtausübung aus seinem ersten Leben in Polen und in der Sowjetunion). Er schreibt:

„Jeder Wert ist (wie Georg Simmel vor langer Zeit bemerkte) ein solcher nur durch den Verlust anderer Werte, den man um seinetwillen zu erleiden hat. Doch das drängendste Verlangen verspürt man gerade nach dem, was einem am stärksten fehlt. Die Herrlichkeiten der Freiheit glänzen dann am hellsten, wenn die Freiheit auf dem Altar der Sicherheit geopfert wird. Soll hingegen die Sicherheit im Tempel individueller Freiheit geopfert werden, raubt sie nun ihrerseits ihrem früheren Opfer viel von seinem Glanz. Litten die Sicherheitsbedürftigen unter langweiligen und eintönigen Tagen, so sind die schlaflosen Nächte der Fluch der Freien. In beiden Fällen geht das Glück über Bord. Hören wir noch einmal Freud: ‚Wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast genießen können, den Zustand nur sehr wenig‘. Warum? ‚Was man nämlich im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich‘. Und daher garantiert eine Freiheit ohne Sicherheit keinen zuverlässigeren Nachschub an Glück als eine Sicherheit ohne Freiheit (S. 11f.).“

Es gibt ganz offenkundig mindestes zwei Variablen mit Blick auf die Bewertung dieser vernünftig erscheinenden Unterscheidung: Die eine hängt mit dem Alter zusammen, die andere mit der Verankerung in einem Werteverständnis und einer Wertegemeinschaft, die zumindest dazu qualifiziert, zu begreifen, dass partieller Triebverzicht bzw. –aufschub eine wirksame Balance zustande zu bringen vermag, die vermeiden hilft – um mit Zygmunt Baumann zu reden –, dass das Glück zur Gänze über Bord geht. So enden seine einleitenden Bemerkungen mit folgenden Hinweisen:

„Es gibt keinen Gewinn ohne Verlust, und die Hoffnung auf eine wunderbare Bereinigung des Gewinns von Verlusten ist so eitel wie der sprichwörtliche Traum vom kostenlosen Mittagessen. Doch Gewinn und Verlust einer jeglichen Anordnung menschlichen Zusammenlebens sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen, damit man nach einem optimalen Gleichgewicht zwischen diesen beiden suchen kann – selbst dann, wenn (oder eher weil) uns, die postmodernen Männer und Frauen, eine mühsam erworbene Nüchternheit und Einsicht davor bewahren, uns angenehmen Phantasien hinzugeben: Phantasien von einer Bilanz, die nur eine Habenseite aufweist (S. 12).“

Das wirklich und nachhaltig Erschreckende ergibt sich, wenn man Corona-Leugnern, Querdenkern und ideologisch gebrieften Impfgegnern – von Reichsbürgern und totalitär Gesinnten jeglicher Couleur ganz abgesehen – aufmerksam zuhört. Sie erweisen sich tatsächlich – bilanztechnisch – als auf einem Auge blind. Die radikale Fixierung auf die HABEN-Seite (die Seite des Haben-Wollens) verhindert wirksam und nachhaltig, das Bitten (und auch das Flehen) derer überhaupt noch zu hören, die einerseits unmittelbar medizinisch in Notlagen geraten, weil sie nicht behandelt, operiert werden können, und die andererseits als medizinisches Personal den zunehmenden Pfropf abarbeiten müssen, mit dem die Ungeimpften die Intensivstationen verstopfen – ein Pfropf, der vermeidbar gewesen wäre. Selbst die nun erkennbar dumme Haltung Joshua Kimmichs erreicht die an Hirnverhärtung leidenden Chefideologinnen und –ideologen der Corona-Leugner nicht.

Mir wiederum ginge dies gewiss gerade am Arsch vorbei, wenn die Damen und Herren in der Dummen-Ecke all dies mit sich und unter sich ausmachen könnten – als Reichsbürger:innen irgendwo in einem noch bereitzustellenden Niemandsland, in dem sie niemanden mehr sehen müssten – niemandem mehr begegnen würden, der Zygmunt Baumanns und Sigmund Freuds Lektion gelernt hat und willens ist zu beherzigen – meine Weihnachtsbotschaft zum verflixten 13. Türchen.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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