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Käßmann – Käßmann???

Petra Bahr – die 58-Jährige ist Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover und Mitglied des Deutschen Ethikrats.

Margot Käßmann – die 66-Jährige war Landesbischöfin von Hannover und erste weibliche Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Auf Seite 54 der aktuellen ZEIT (9/23) streiten Bahr und Käßmann um die Frage: Können Waffen Frieden schaffen? Lediglich zwei Zitate stelle ich einander gegenüber, um einmal mehr deutlich zu machen, dass man ein Streitgespräch um die Frage der Aggression Russlands der Ukraine gegenüber nicht ohne solide Kenntnisse sowohl der jüngeren Geschichte als auch der Geschichte der Ideologien führen kann:

Margot Käßmann: Ich bin erstaunt, wie locker du (Petra Bahr) die Bergpredigt vom Tisch wischst. Das erinnert mich an ein Gebetbuch für deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Da stand unter dem fünften Gebot, du sollst nicht töten: „Gilt nicht im Kriegsfall.“ Ich finde, so einfach können wir es uns nicht machen. Die Bergpredigt provoziert. Was passiert, wenn du die andere Wange hinhältst, statt zurückzuschlagen? Du verstörst den Angreifer, weil er das nicht erwartet. Nur so wird die Spirale der Gewalt unterbrochen! Du zwingst den Aggressor, aus der Logik des Krieges herauszutreten.“

Petra Bahr: Ich finde solche Geschichtsanalogien – die ZEIT hatte gefragt, ob Frau Käßmann auch mit Hitler verhandelt hätte – schwierig. Aber wenn man den Vergleich schon zieht: Hitler hat alle ausgehandelten Verträge gebrochen, das europäische Judentum fast ausgelöscht und war zum Schluss bereit, die eigene Zivilbevölkerung rücksichtslos zu opfern. Auch bei Putin deutet einiges darauf hin, dass hier nicht das rationale Kalkül, sondern der imperiale Größenwahn Oberhand gewonnen hat.“

Putin als Wiedergänger Hitlers? Dazu kann man die von Hans Magnus Enzensberger aufgestellten Kriterien und Thesen heranziehen (SPIEGEL, Heft 6/1991). Mehr aber noch muss man im Sinne der Geschichte der Ideologien auf Carl Schmitt verweisen. Hierzu zum wiederholten Male der Kern in seinen Ausführungen zum Begriff des Politischen (Berlin 1932):

"Wenn der Gegensatz von Gut und Böse nicht ohne weiteres und einfach mit dem von Schön  und Häßlich oder Nützlich und Schädlich identisch ist und nicht unmittelbar auf ihn reduziert werden darf, so darf der Gegensatz von Freund und Feind noch weniger mit einem jener anderen Gegensätze verwechselt oder vermengt werden. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen [...] Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft erscheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im Voraus getroffene Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen Dritten entschieden werden könnten (S. 27)."

Carl Schmitt geht es um eine "der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht" (S. 29). Wenn wir nun noch lesen, dass die Begriffe Freund und Feind in ihrem "konkreten, existentiellen Sinn" zu nehmen sind und nicht als "Methaphern oder Symbole", dass sie "nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen", dann gelangen wir quasi-automatisch und zwangsläufig zu der aberwitzigen von Heinrich Himmler in seiner berüchtigten Posener Geheimrede vom Oktober 1943 vor 200 NS-Würdenträgern geäußerten Auffassung:

„Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammenliegen, wenn 500 oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“

Sehr geehrte Frau Käßmann. Die urgründige Angst vor historischen Figuren wie Hitler oder Putin erwächst aus der Enzensbergerschen Erkenntnis, dass

  • wir den Eindruck gewinnen, dass normale Politik – normale Diplomatie – versagt. Das war im Falle Hitlers nicht anders. Damals wie heute – bei Putin – hat die Welt lange Zeit nicht begreifen wollen, womit sie konfrontiert war. Man begegnete ihm lange mit den normalen Mitteln der Politik und vertraute darauf, daß es um Interessenkonflikte ging, die es zu lösen galt (und die sich diplomatisch lösen lassen).
  • Ein solches Verhalten setzt aber stillschweigend voraus, daß alle Beteiligten an ihrem Überleben interessiert sind. Mit dieser Vermutung hat die Welt Hitler gründlich verkannt. Er allein wußte, was er wollte: ein Ende mit Schrecken. Was der Außenwelt als Realitätsverlust erschien, war nur die Entschlossenheit, dieses Ziel mit allen Mitteln zu verfolgen.
  • Daher konnte Hitler die Bereitschaft, zu verhandeln – wie Putin heute – nur als Schwäche deuten; die Idee der Gegenseitigkeit war ihm unverständlich; Kompromisse erfüllten ihn mit Ekel, vertragliche Lösungen mit Verachtung; und auf Konzessionen reagierte er, da sie ihn bei der Verfolgung seines Endzieles störten, mit Wut – oder mit einem langen Tisch, an dem er, längst zum Einmarsch in die Ukraine entschlossen, seine Verhandlungspartner demütigte.
  • Keine denkbare Politik, wie klug wie umsichtig sie auch wäre, kann es mit einem solchen Feind aufnehmen. Dies Feststellung von Hans Magnus Enzensberger klingt hart und deprimierend: Er, der Aggressor, bekomme am Ende - so Enzensberger - immer, was seinem wahren Kalkül entspricht: den Krieg. Darin, daß es ihm gelinge, die ganze Welt, seine Anhänger nicht ausgenommen, als Geisel zu nehmen, liege sein Triumph. Noch im eigenen Krepieren werde ihm der Genuß zuteil, daß er Millionen dazu bringt, vor ihm zu sterben.
  • Ewige Verlierer gibt es in allen Himmelsrichtungen. Unter ihnen nimmt das Gefühl der Demütigung und die Neigung zum kollektiven Selbstmord mit jedem Jahr zu […] In der Sowjetunion – so bemerkte Enzensberger schon 1991 - liege dafür das nukleare Arsenal bereit.

Sehr geehrte Frau Käßmann,

unterstützen wir eine um ihr Überleben kämpfende Ukraine zumindest so lange und in dem notwendigen Umfang, bis Putin (oder sein Umfeld!!!) endlich begreifen, dass die Ukraine militärisch nicht zu besiegen ist. Und wenn hier die Rede von Moral sein soll, dann zumindest in dem nüchternen, kruden Sinn der Feststellung, dass Putin allenfalls hunderttausende demoralisierter Soldaten in den Kampf und in den Tod schickt, die nicht wissen wofür sie kämpfen – ganz im Gegensatz zu den Ukrainern, die alle Motive (vom Überleben, der Zurückweisung eines Aggressors bis hin zur Verteidigung von Lebensumständen, die jenseits russischer Zwangsherrschaft ein Leben in Frieden und Freiheit bedeuten) auf ihrer Seite haben.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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