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Putins Kriegslogik

Eines ist nach zwei Monaten Krieg gewiss: Russland entzieht sich politisch konsequent jener Metamorphose, die es historisch an Haupt und Gliedern erfahren hat. Es ist nicht bereit sich zum Status einer Regional- oder Mittelmacht zu bekennen. Russland bezieht sein Selbstbewusstsein und seine (maßlosen Ansprüche) aus einer Traditionalinie, die mit unerträglichen, historisch bedingten Großmachtsphantsien einerseits zusammenhängen und die sich aus seinem Status als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs - so muss man die ehemalige Sowjetunion sehen - nähren.

Fatal ist dabei der Umstand, dass Russland in das Erbe der Sowjetunion als Atommacht eingetreten ist (und im Zuge der Auflösung der UdSSR auch die auf ukrainischem Boden stationierten Atomwaffen in sein Arsenal übernommen hat - ein Deal, der auf der anderen Seite die Souveränität der Ukraine mit garantieren half). Deutschland hingegen hat aus der Niederlage im Zweiten Weltkrieg - und einer heute so gesehenen Befreiung vom Faschismus  - eine radikale Lehre gezogen. Die Konsequenzen daraus manifestieren sich in ihren besseren Anteilen im Verzicht auf jegliche Gebietsansprüche - zum anderen drücken sie sich sicherlich auch in einer Ostpolitik aus, wie sie von Willy Brandt und Egon Bahr auf den Weg gebracht worden ist.

Politisch und historisch betrachtet manifestieren sich in diesen beiden Positionen - im Russland Putins und im Deutschland Merkels und Scholzens - zwei Logiken, die vollkommen unvereinbar erscheinen. Peter Dausend, Mark Schieritz, Michael Thumann und Anna Sauerbrey haben bereits am 7. April (ZEIT 15/22) die vier vermeintlichen Alternativen erörtet, "wie es aufhören könnte". Alle vier Alternativen scheitern an der von Putin vertretenen Logik: 1. ein militärischer Sieg der Ukraine ist schlicht nicht vorstellbar. Dafür sind die Eskalationsoptionen Putins zu dominant. 2. Mit härteren Sanktionen alleine lässt sich Putins Russland kurz- und mittelfristig nicht in die Knie zwingen. Dazu sind die Ressourcen Russlands offentsichtlich im Sinne von Autarkie und Resilienz zu groß. 3. Waffenstillstandsverhandlungen mit einer die ukrainischen Kerninteressen berücksichtigenden Aussicht werden von Putin nicht ansatzweise in Erwägung gezogen. 4. Dass die Ukraine nicht aufgeben wird, ergibt sich aus der brutalen von Putin aufgezwungenen Kriegslogik - oder um es noch einmal mit den Worten Natalya Gemenyuks auszudrücken: "Wenn die ukrainische Armee aufgäbe, würde die ukrainische Bevölkerung abgeschlachtet." Quod erat demonstrandum!

Es ist wohlfeil, die gesamte deutsche Russlandpolitik heute an den Pranger zu stellen. In ihren Abhängigkeitsfolgen war sie zweifellos dumm und naiv. Naivität und Dummheit sind allerdings - ex post factum - leicht zu diagnostizieren. Nur wer als Deutscher bereit war (und ist) so radikal nüchtern und desillussioniert auf die eigene Vergangenheit zu schauen und dabei den Nationalsozialismus samt des von ihm übernommenen und begründeteten bzw. verschärften historischen Referenzrahmens als Blaupause für eine Politik im 21. Jahrhundert anzunehmen, konnte sich ausmalen, dass Putin nicht nur zum Krieg, sondern auch zu einer kriegsverbrecherischen Vorgehensweise bereit sein könnte. Dass sich dies Amerikaner vorstellen konnten, mag mit ihren eigenen kriegsverbrecherischen Schuldenlasten aus dem Vietnamkrieg zusammenhängen. Und man greift in der Argumentation ganz sicher zu kurz, wenn man der deutschen Politik nur - wie es Selensky andeutete - eine Brille für's Geschäft - Geschäft - Geschäft zubilligt. Nach dem 24. Februar - und ich folge Natalya Gemenyuk hinsichtlich ihrer Singularitätsthese - wissen wir besser, was wir nach Georgien, Tschetschenien, Aleppo, der Donbass-Politik und natürlich nach 2014 (Krim-Annexion) schon hätten wissen müssen. Für eine Appeasement-Politik besteht keinerlei Veranlassung und Legitimation mehr.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund