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Warum Liebe endet - Eine Soziologie negativer Beziehungen

Warum Liebe endet - Eine Soziologie negativer Beziehungen - so lautet die mir in erster Auflage vorliegende Veröffentlichung von Eva Illouz; ein Mitbringsel aus Weimar. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Eva Illouz mit der Frage, wie der moderne Kapitalismus und die sogenannte Kultur der Moderne - wie sie selbst formuliert - "unser Gefühls- und Liebesleben transformiert". Warum Liebe endet soll antworten auf das - wie Illouz meint - verwunderliche Schweigen angesichts der Zahl der Beziehungen, "die schon bald nach ihrem Beginn wieder enden oder irgendwann im Laufe ihrer emotionalen Entwicklung zerbrechen" (12). Das Ende ist nahe - diesen Eindruck gewinnt man bei einem ersten Überfliegen der zentralen Argumentationsstränge. All dies ist nicht wirklich neu - blicken wir nur auf Karl Otto Hondrichs Liebe in Zeiten der Weltgesellschaft.

Aber es wirkt beklemmend, weil auch Eva Illouz durch all die Protagonisten ihrer Studie - es gibt eine Fülle von Interviews - gewissermaßen hindurchschreibt. Sie tauchen auf als Stellvertreter und unfreiwillige Zeugen in einer Welt, die Illouz - man könnte fast sagen - endzeitlich, mehr noch apokalyptisch sieht. Dies ist vor allem der Fall - wie bei Hondrich - weil sie ihre Protagonisten exculpiert und nahezu in einer Opferrolle sieht. Sie stellt sich damit gegen die traditionelle Soziologie, die die Herausbildung sozialer Bindungen vor allem auf der Mikroebene in den Blick gerückt habe:

"So war sie zwangsläufig blind für den schwerer fassbaren Mechanismus, durch den Beziehungen enden, in die Brüche gehen, sich in Luft auflösen oder einschlafen. In der vernetzten Moderne wird die Frage, wie sich Bindungen auflösen, zum geeigneten Untersuchungsgegenstand, sofern wir diese Auflösung als soziale Form verstehen (43)."

Was darunter zu verstehen ist, fasst Illouz in einer ersten steilen These zusammen:

"Diese Art des Endes von Beziehungen erfolgt nicht durch ihren unmittelbaren Zusammenbruch - durch Entfremdung, Verdinglichung, Instrumentalisierung, Ausbeutung -, sondern durch die moralischen Gebote, die den imaginären Kern der kapitalistischen Subjektivität ausmachen, wie die Gebote, autonom und frei zu sein, seine verborgenen Potentiale auszuschöpfen, die eigene Lust, Gesundheit und Produktivität zu optimieren. Es ist das positive Gebot, sein Selbst zu produzieren und zu maximieren, das die 'negative Wahl' prägt (43)."

Eva Illouz spricht von moralischen Geboten. Dies verwundert, weil sie zentrale Aspekte der "negativen Wahl" einer Vielzahl institutioneller Veränderungen zuschreibt, die einen Ausstieg beispielsweise aus einer Ehe erleichterten. Sie nennt die Pille, die es nach wie vor erlaube, "sexuelle Beziehungen ohne den institutionellen Einsatz einer Ehe und folglich ohne emotionale Bindung zu unterhalten". Darüber hinaus nennt sie einen Freizeitkonsummarkt, der eine große Anzahl an Begegnungsstätten sowie ein dauerhaftes Angebot an Sexualpartnern liefere; die Netztechnologie (Dating-Apps), die das Subjekt in einen Konsumenten von Sex und Gefühlen verwandele, der ein Recht darauf habe, die Waren nach Belieben zu gebrauchen oder auch wieder loszuwerden; Plattformen wie Facebook, die einerseits Beziehungen vervielfachten und andererseits ein sofortiges "Entfreunden" ermöglichten. Was meint nun Eva Illouz mit dem von ihr eingeführten Begriff der negativen Wahl? Zunächst einmal geht sie davon aus, dass die negative Wahlfreiheit im Leben der Menschen in der hypervernetzten Moderne so mächtig und präsent sei, wie es die positive Wahlfreiheit, Bindungen und Beziehungen mit anderen einzugehen, während der Herausbildung der Moderne einmal war.

Kleine Rolle Rückwärts zu den konstituierenden Gefühlswelten während der Herausbildung der Moderne - Bedingungen und Voraussetzungen positiver Wahl (vgl. 11ff): Eva Illouz beginnt ihre Abhandlung genau mit den in der westlichen Kultur unendlich reichen Darstellungen und Geschichten, "die vom wundersamen Erscheinen der Liebe im Leben der Menschen handeln". Sie spielt an auf das Geheimnis des Glücks, auf jenen magischen Augenblick, in dem die Menschen wüßten und spürten, dass jemand für uns bestimmt sei. Sie erzählt vom fieberhaften Warten auf einen Anruf oder eine E-Mail; vom wohligen Schauer der Erregung, der uns beim bloßen Gedanken an ihn oder sie durchströme. Sie erwähnt natürlich Platon, in dessen Betrachtung wir erst vollständig sind, wenn wir die zu uns passende andere Hälfte finden (siehe dazu auch die Würdigung eines Beitrags von Sabine Rückert); hier gehe es immer auch um die Phantasie der Makellosigkeit. Die Sehnsucht, vielleicht die Sucht nach Vollkommenheit stößt - wenn man Illouz folgt - mit der Ausdifferenzierung von Wahlfreiheit und Individualismus allerdings an schier unüberwindliche Grenzen.

Wenden wir uns also im Kapitel 1 (Einleitung) Von der Wahl zur Nichtwahl einigen Beispielen zu, die gleichzeitig dazu dienen, die gesellschaftlichen Folgen der negativen Wahl aufzuzeigen:

  • Illouz stellt einen Zusammenhang her zwischen Aspekten der negativen Wahl und gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen: "Eine gravierende Folge ist die Tatsache, dass sich zahlreiche Länder aufgrund ihrer niedrigen Geburtenrate nicht mehr selbst reproduzieren können (45)." Hier wird auch der radikale Wandel greifbar, der den Frühkapitalismus vom Kapitalismus in der Spätmoderne unterscheidet: "Ein Bevölkerungsrückgang löst starke politische und wirtschaftliche Dominoeffekte aus, die von Migragtionsströmen bis zu der Schwierigkeit reichen, die Renten oder die Betreuung  alternder Bevölkerungsteile sicherzustellen. Beruhte der historische Siegeszug des Kapitalismus auf Bevölkerungswachstum und auf der Familie als der zwischen Wirtschaft und Gesellschaft vermittelnden Struktur, so wird diese Verbindung zunehmend durch die neuen Formen des Kapitalismus aufgelöst (45)."
  • Soziologie belegt ihre Thesen auch mittels statistisch evidenter und signifikanter Daten. Subjektiv lässt sich heute vermutlich ein junger Mensch - geprägt und getrieben von den zentralen Anforderungen spätkapitalistischer Erfordernisse - von solchen demografischen Argumenten in keiner Weise mehr affizieren. Umso tragischer erscheint eine Konstellation, in der sich zwei vermeintlich komplementäre Hälften trennen, weil Frühmodere und Spätmoderen sich genau ihre Paarbeziehung als Kampfplatz ausgesucht haben. Illouz bemerkt dazu: "Unübersehbar sind die negativen Beziehungen in der bewussten Entscheidung oder unbewussten Praxis so vieler Männer und Frauen, sich nicht fest zu binden und keine Kinder zu bekommen, oder in dem Umstand, dass Singlehaushalte in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen haben (45)."

Eva Illlouz hat uns ja schon Erklärungen dafür geliefert, warum Liebe weh tut! Warum Liebe endet zeigt nun Phänomene auf, die zunächst einmal - beim schlichten Lesen - die Wehmut und den Schmerz nicht wirklich greifbar machen, die der von ihr im folgenden beschriebenen Haltung vorausgehen bzw. die sie begleiten. Eva Illouz führt in der Einleitung den Begriff der Sologamie ein: "Eine vierte Manifestation der Nichtwahl ist die 'Sologamie', das verwirrende Phänomen von (zumeist) Frauen, die sich dafür entscheiden, sich sozusagen selbst zu heiraten, um ihre Eigenliebe und den Wert des Singledaseins zu bekunden (46)."

Zuletzt - so Illouz - hänge die negative Wahl in irgendeiner Weise mit der "Einsamkeitsepidemie" zusammen und zitiert Anna Goldfarb:

"Geschätzte 42,6 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner im Alter von über 45 leiden unter chronischer Einsamkeit, was nach einer Studie der AARP [American Association of Retired Persons] ihr Risiko eines vorzeitigen Todes erheblich vergrößert. Ein Wissenschaftler nannte die Einsamkeitsepidemie eine größere gesundheitliche Bedrohung als die Fettleibigkeit."

In Eva Illouz Gesamtkonzeption stellt sich die Frage, ob die Zwänge spätkapitalistischer Lebensweise gewissermaßen autologisch operieren? Wäre dem tatsächlich so, so spräche einiges dafür, dass Illouz gar nicht mehr von einer absoluten Wahlfreiheit des Individuums ausgeht - ich lebe, wie ich will und wie es meiner reflektierten und begründeten Wahl entspricht -, sondern die Leitplanken negativer Wahl regulieren individuelles Wahlverhalten, so dass zwar der Schmerz über eine Trennung immer noch individuell verarabeitet werden muss, die Verantwortung über die zur Trennung führenden Motive aber externalisiert wird.

Ich werde es herausfinden und widme den heutigen Beitrag, wie schon den Dilemma-Beitrag von vor vier Jahren - durchaus in einer Trauer auslösenden Bewegung zwei geliebten bzw. geschätzen Menschen, die Vieles von dem, was Eva Illouz in Warum Liebe weh tut und in Warum Liebe endet herausgefunden und beschrieben hat, gegenwärtig in fortgesetzter Weise erleiden und verschmerzen müssen; ganz gewiss auch ein wenig deshalb, weil der von Karl Otto Hondrich 2007 in die Welt getragene Appell in einer immer kälter werdenden Welt so häufig ungehört verhallt!

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund