Konturen der Krise und die Bedeutung von Furcht und Angst
Covid19 lässt uns Zeit anders wahrnehmen. Zeit bietet sich an, sie zu gestalten. Ich habe meinen Beitrag zu Günter Altner neu gelesen und nehme nun sein Buch: über leben von der kraft der furcht (Düsseldorf 1992) noch einmal vor und beginne mit seiner Einleitung. Dort lese ich:
"... jedes Kapitel kann für sich gelesen werden. Es ist jedes Mal eine neue Variation über die geheimnisvolle Kraft der Furcht: Das ganze Leben ist von Spuren der Furcht wie von einem Filigran durchzogen und mit Spuren der Furcht unterfüttert. Dies zu wissen, daran anzuknüpfen, das heißt bewusst leben, unter Anerkennung der Grenzen, die gerade auch dem Menschen als endlichem, todesbewussten Wesen gesetzt sind (S. 11)."
So gehen wir also selektiv noch einmal an Altners Text heran und nehmen zur Kenntnis, was er zu "Angst und Furcht" zu sagen hat: Die Unterscheidung von Angst und Furcht ist uns vertraut. Wir lesen, dass die Furcht im Gegensatz zur Angst stets objektbezogen sei. Die Angst hingegen, die keinen unmittelbaren Gegenstand habe, sei eher ein Grundgefühl, das uns als Beklemmung, Erregung und Verzweiflung verunsichere - meine in diesem Sinne eher ein existentielles Grundgefühl. Eine erste These mit der Günter Altner den Unterschied in einem globalen Sinne scharfstellt, zielt auf die Differenz von Welten in der einen Welt:
"Solange die Gesellschaften in den reichen Ländern die Überlebenskrise auf der Schien der Angst wegdrücken, wird sie härter und unausweichlicher werden. Die Lösung beginnt dort, wo uns die Kraft der Furcht zuwächst (S. 17)."
Die "Kraft der Furcht"??? Altner nimmt einen etwas längeren Anlauf, der mit der Feststellung beginnt, dass - wer heute über das Leben nachdenke - sich zu einer Ehrlichkeit aufmachen müsse, bei der vieles von dem, was uns lieb und vertraut sei, zur Disposition stehe. Dies sei so, weil wir im fortgesetzten Modus einer Überlebenskrise agierten. Befremdlich wirkt nun in einem nahezu 30 Jahre umfassenden Rückblick, dass Altner 1992 von einer "aktuellen Öko-Ethik-Welle" spricht, von der man sich allerdings nicht täuschen lassen dürfe:
"Welche einen Boom an ethischer Sensibilisierung erleben wir heute! Als ich mich Anfang der siebziger Jahre immer wieder des Vorwurfs, ein grüner Spinner und Systemveränderer zu sein, erwehren musste, hätte ich nicht gewagt, auf jenen Einbruch an ökologisch-ethischer Sensibilität zu setzen, wie wir ihn heute erleben S. 17)."
Günter Altner nimmt eine veränderte politische Agenda wahr: "Alle wollen Versöhnung mit der Natur. Alle sind für den Frieden. Alle sind öko." Gleichzeitig drängt sich ihm die Frage auf, ob eine Bewahrung der Schöpfung auf der Grundlage einer Wachstumswirtschaft erreichen könne, deren horrende Belastungen, die irdische Natur und die kommenden Generationen zu tragen hätten. Wie gesagt, Altner schreibt das zu Beginn der 90er Jahre.
Unmittelbar im Anschluss wird deutlicher, inwieweit auch Altner unterdessen im Konzert der Willigen und Gutmeinenden von der Notwendigkeit einer radikalen Kurskorrektur ausgeht. Seine Vorstellungen und die von ihm ausgegebene Parole von einer Versöhnung mit der Natur stellt er nunmehr zur Disposition. Martin Schrenk, einem Psychotherapeuten verdanke er diese Einsicht:
"Die Ursachen für die auch im Zeitalter der Ökologie ungehemmt voranschreitende Zerstörung sind in der Verweigerung des neuzeitlichen Bewusstseins zu suchen, in einen wirklichen Dialog mit der Natur einzutreten. Umwelt auch als Mitwelt gelten zu lassen. Und im Blick auf die Vergangenheit die vollzogene Zerstörung als Schuld zu reflektieren (S. 19)."
Er konstatiert mit Martin Schrenk die unbedingte Notwendigkeit für eine Trauerarbeit im Blick auf die von uns angerichteten Verwüstungen. Dabei könne uns das, was wir von der Trauerarbeit zwischen Menschen im Sinne von Margarete Mitschelich wissen, eine indirekte Hilfe und Anleitung sein:
"Trauer ist ein seelischer Vorgang, in dem ein Individuum einen Verlust mit Hilfe eines wiederholten schmerzlichen Erinnerungsprozesses langsam zu ertragen und durchzuarbeiten lernt, um danach zu einer Wiederaufnahme lebendiger Beziehungen zu den Menschen und Dingen seiner Umgebung fähig zu werden (M. Mitscherlich zitiert nach Altner, S. 20)."
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