Roger Willemsen II
"Ja, wir wussten viel und fühlten wenig. Wir durften es nicht fühlen und hörten doch T.S. Eliot fragen:
'Where is the wisdom we lost in knowledge? Wher is the knowledge we lost in information?'
Hörten es und häuften noch mehr Informationen auf. Als bräuchten wir einen neuen Klimabericht, einen neuen Schadensbericht über die Weltmeere, den Regenwald, die grassierende Armut. Aber aus all den Fakten ist keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft wäre."
"Die Hölle am Himmel - ... Flugzeuge setzen beim Verbrennen von Kerosin CO² frei, genauso wie Industrieanlagen und Autos. Das CO² legt sich um die Erde wie eine die ganze Welt umspannende wärmende Decke: der Treibhauseffekt."
Im aktuellen ZEIT-Beitrag - Die Hölle am Himmel - von Nadine Ahr, Dirk Asendorf und Petra Pinzler wird der mit dem Flugverkehr verbundene Ausstoß von CO² als zu vernachlässigendes Quantum gesehen (3% aller weltweiten Emissionen). Aber sie weisen darauf hin, dass das ausgestoßene CO² lange nicht das einzige Problem sei. Die Stickoxide und all die anderen Stoffe - Aerosole, Ruß, Kohlenmonoxid - verursachen in der Höhe eine Nebenwirkung, die von den Atmosphärenforschern "die große Unbekannte" genannt wird: "Die Unbekannte ist eine Schönheit, die Begleiterin des guten Wetters. Oft sieht sie aus wie gemalt... Fachleute haben sie im vergangenen Jahr 'Homomutatus' getauft. Nichtfachleute sagen Kondensstreifen. In großer Höhe, dort, wo Flugzeuge fliegen, ist es sehr kalt, bis minus 50 Grad Celsius. Die Luft erreicht oft eine Feuchtigkeit von nahezu 100%, trotzdem gibt es normalerweise dort oben keine Wolken. Es fehlen jene Partikel, um die herum sich die ersten Tröpfchen bilden könnten. Die liefert erst das Abgas der Flugzeuge, und so entstehen Wolken in einer Höhe, in der es sie sonst kaum gibt. Manchmal bleiben die Kondensstreifen nur für Sekunden am Himmel, manchmal für Stunden, manchmal sogar für Tage. Diese künstlichen Wolken stehen im Verdacht, die Erde aufzuheizen - anders als normale Wolken, die die Erde abkühlen. Die Kondensstreifen wirken offenbar genauso wie das Treibhausgas CO² selbst. 'Wahrscheinlich ist', sagt Zahn (Atmosphärenforscher am Karlsruher Institut für Technologie), 'dass der Flugverkehr stärker für den Klimawandel verantwortlich ist, als der reine CO²-Ausstoß vermuten ließe'. Der wahre Wert könnte bis zu dreimal höher sein. Damit wäre der Effekt, den der Flugverkehr verursacht, größer als der gesamte Kohlendioxid-Ausstoß Indiens - des drittgrößten CO²-Verursachers der Welt."
'Where is the wisdom we lost in knowledge? Wher is the knowledge we lost in information?'
In der aktuellen ZEIT (33/18, S. 15) befragt die ZEIT den Mobilitätsforscher Andreas Knie über die Folgen des billigen Fliegens - am Boden und in der Luft: Allein der Titel verheißt nichts Gutes: "In der Luft ist noch Platz. Leider". Es ist die Antwort auf die Frage, ob der Himmel über Deutschland noch mehr Flieger verkraften würde. Die ZEIT bittet Andreas Knie den Zusatz: "Leider" zu erläutern:
"Wegen des Klimas. So sehr ich es als Soziologe begrüße, wenn die Menschen die Welt kennenlernen, so sehr bin ich auch Protestant. Wir müssen die Zahl der Flüge pro Mensch deckeln. Es geht auf Dauer nicht, dass die Leute dreimal pro Monat nach Mallorca fliegen. Oder mal eben nach Mexiko oder Tokio jetten. Ein weiterer Ausbau der Flughäfen wäre also bequem für die Passagiere - aber ein falsches Zeichen." Andreas Knie argumentiert gnädig - oder doch vielmehr naiv?
"Es gibt eine Generation, die mit Ryanair und Easyjet groß geworden ist. Die wird begreifen müssen, dass sie eine unglaubliche Ausnahmesituation erlebt hat - die zu sehr auf Kosten der Umwelt geht. Diese Leute müssen ihr Verhalten ändern - aber dazu sind Menschen durchaus in der Lage."
Realistischer erscheinen die Hinweise in: "Die Hölle am Himmel": Seit Jahren beobachtet Michael Cramer (Verkehrspolitiker mit Sitz für die Grünen im Europaparlament), "wie der Flugverkehr zunimmt, wie er immer günstiger wird". Dabei so Cramer "wäre es so einfach: Wer viel CO² produziert, müsst viel zahlen. Die Wirklichkeit ist das exakte Gegenteil: Der deutsche Staat verzichtet bei Auslandsflügen auf die Mehrwertsteuer, kassiert sie aber bei Bahntickets und an Tankstellen. Auch eine Kerosinsteuer gibt es nicht, eine Mineralölsteuer für Autos schon. Fliegen ist nur deshalb so erschwinglich, weil der Staat es unterstützt. Weil er die Schäden ignoriert, die das Fliegen anrichtet."
Im Übrigen: Auch das soll gesagt bzw. zumindest nicht verschwiegen werden: Am Beispiel Roger Willemsens habe ich noch zu seinen Lebzeiten die Ambivalenz und die Larmoyanz einer recht unerträglichen moralgeschwängerten Grundhaltung aufgezeigt. Er selbst war ja ein Vielflieger, jemand, der sein Heil an den Enden der Welt gesucht hat. Selbst angesichts seines nahenden Endes fällt ihm nicht besseres ein, als nach Oslo zu fliegen, um aus kulturellen Diffenzerfahrungen die Nahrung für die ontologische Differenzerfahrung zu gewinnen.
In "Wer wir waren" kommt er denn auch zu der Einsicht:
"So laufen wir uns hinterher, nicht voraus, sind also in diesem Moment gleichzeitig die, die wir gewesen sein werden, und ebenfalls jene, die nicht in der Lage sind, auf die eigene Höhe zu gelangen."
Danke Roger Willemsen (III) für diese Einsichten. Im Gesamtkontext auch und vor allem dessen, was wir wissen (können), aber nicht in eine weise und zukunftsfähige Handlungsperspektive zu überführen vermögen, bleibt uns nur die Max Liebermannsche Einsicht:
Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte!"
Um der Larmoryanz schließlich die Ehre zu geben: Nun bin ich 66 Jahre alt - da fängt das Leben bekanntlich an! Ich bin zweimal in meinem Leben geflogen, einmal mit Claudia und Andreas vom Hahn nach Dublin, um unsere Tochter Anne zu besuchen und einmal von Berlin nach Köln. Das war's - ganz gleich wie alt ich auch werden sollte. Das Max Liebermannsche Angefressen-Sein übersetze ich konsequent in die Minimierung meines persönlichen ökologischen Fußabdrucks - wohlwissend, dass ich (noch) in der Komfortzone Mitteleuropas leben und sterben darf. Die kämpferische Haltung identifiziert sich mit der völligen Neufassung eines Bildungsbegriffs, wie sie sich in der Skizze von Maximilian Probst einem breiteren Publikum präsentiert. Zu unserer Ehrenrettung muss man allerdings zumindest erwähnen, dass auch Wolfgang Klafki (Passwort: wiro2015) schon in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Grunzüge eines Bildungsbegriffs formuliert hat, an die sich - ausgelöst durch das Fanal des Club of Rome - an die sich die Überlegungen Maximilian Probst nahtlos anschließen lassen.