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Nicht wir haben die Wahl, die Freundschaft wählt uns!?

Arno Frank in der ZEIT 48/15, Seite 70 (auch zur Freundschaft als "nördlicherer Breitengrad der Liebe")

Die Weihnachtszeit ist hektisch. Sie ist das Fest der Familie und bei uns auch immer der Freundschaft. Arno Frank schreibt für die ZEIT, ist vermutlich so um die vierzig, soeben Vater geworden und sortiert sein Leben. Er sortiert es mit mehr oder weniger orignellen Bonmots, die aber auch 20 Jahre ältere aufhorchen lassen - diejenigen, die an der 60 kratzen und sie teils schon deutlich überschritten haben; die wissen etwas von Freundschaften, "die wie nie ganz ausgelesene Bücher im Regal stehen, wo sie uns stumm und vorwurfsvoll ihre Rücken zukehren". Und Arno Frank stellt sich die Frage, welche "wir davon wohl wieder hervorziehen, um darin zu blättern". Aber eigentlich hat er bereits die Erfahrung gemacht, dass es Bücher in diesem Regal gibt, die wir "ausgelesen haben"; die dort stehen nicht als "glänzende Trophäen" - auch nicht als "abstoßendes Präparat in Alkohol", sondern schlicht als "ausgelesenes Buch", das wir manchmal hervorziehen, um darin zu blättern. Und Arno Frank ist ganz offenkundig ein selbstkritischer Zeitgenosse, der einräumt, darin auch immer wieder einmal zu blättern, um dabei etwas über seine Verfehlungen zu lernen. Aber der Reihe nach:

 

Der Titel seines überschaubaren Beitrags lautet nicht, wie der Titel dieses Blog-Beitrags, sondern Arno Frank stellt fest:

"Wir beenden Freundschaften auf die denkbar erbärmlichste Weise. Wir rufen nicht mehr an. Wir melden uns nicht mehr zurück."

Es geht natürlich sehr viel theoretischer und ambitionierter. Vor Jahren habe ich mir selbst - an den Absonderungen von Arnold Retzer orientiert - eine Vorstellung davon gemacht, was sich eigentlich hinter diesem monumentalen und sicherlich unentbehrlichen sozialen Modus der Freundschaft verbirgt - immer schon auch krisengeschüttelt im fortgeschrittenen Alter. Das kann man natürlich auch in diesem BLOG nachlesen - und ich selbst blättere lieber in diesen theoretischen High-Ligths als in vergilbten Freundschaftsbüchern.

[Denen könnte ich eigentlich ein wenig den Gilb nehmen und sie noch einmal aufpolieren, indem ich sie einfach nacherzähle. Da gäb es schon eine ganze Menge zu erzählen (so wie z.B. in: Komm in den totgesagten Park und schau z.B. auf den Seiten 233-284). Aber vielleicht konzentriere ich mich noch ein wenig intensiver auf die Pflege der durchaus noch lebendigen Freundschaften, die man - wie Arno Frank meint - nicht als "Pflegefall" betrachten muss und von denen man nicht annehmen muss, sie seien so aussichtslos, dass man gleich eine Leiche schminken könne.]

Wie kommt Arno Frank nun zu der Behauptung, wir beendeten Freundschaften "in der Regel auf denkbar erbärmlichste Weise"? Er beschreibt, dass wir z.B. nicht mehr anrufen, uns nicht mehr melden - es enstünden aus ehemals stabilen Beziehungen so etwas wie "Wackelkontakte". Manchmal gebe es dafür Anlässe: "Die Geburt eines Kindes kann offenbar die berühmte gemeinsame Ebene in einer Freundschaft so weit erschüttern, dass es zu tektonischen Verwerfungen kommt und von einer gemeinsame Ebene keine Rede mehr sein kann." Ein anderes brisantes Feld betritt Arno Frank mit der wunderschönen Formulierung, die

Freundschaft sei "ein nördlicherer Breitengrad der Liebe".

Mit der Liebe teile sie immerhin die Eigenschaft, dass wir sie uns nicht aussuchen können. "Wir haben nicht die Wahl, die Freundschaft wählt uns." Das ist natürlich besonders prekär, wenn ein ganzes Beziehungsgeflecht sich um eine Kernbeziehung, die wir Freundschaft nennen, rankt. Um dies nachvollziehen zu können, taugt vielleicht der Hinweis Arno Franks, dass beim "Entfreunden" ein Klick bei Facebook nicht wirklich eindringt in unsere Denk- und Fühlwelt: "Ein Klick und adieu. Bei 300 Kontakten auf Facebook kommt es auf 100 mehr oder weniger nicht an.

Aber bei den drei oder vier echten Freunden, die wir im Leben haben?"

Arno Frank spricht von Mut - auch von Versagensängsten. Aber was ist mit dem Schmerz? Aus dem Beitrag von Grün spricht der eher jung-dynamische Mittdreißiger mit noch jeder Menge Zukunft vor der Brust; jemand, der gerade eben erst Vater geworden ist, einen neuen Lebensabschnitt beginnt, mit dem sich die Welt neu ordnen soll/kann/muss. Und die entsprechenden Empfehlungen richten sich an Menschen, die endlich von ihren toten Gäulen absitzen sollen:

"Wer Konflikte nicht einfrieren will, sollte sie beenden. Also lasst uns doch bitte wieder lernen, Schluss zu machen. Radikal und herzlich mit offenem Visier und allen Konsequenzen! Tatsächlich fällt es uns in Gesellschaft leichter, eine gescheiterte Ehe zu erwähnen als eine beendete Freundschaft. Sie liebt ihn nicht mehr, herrje, wer kennt das nicht? Aber er hat mit ihm gebrochen? Echt jetzt? Hoppla. War das wirklich nötig? Hätte es nicht genügt, seinen Status auf 'Bekannter' herabzustufen?"

Manchmal verkomplizieren sich die Absetzbewegungen, weil man nicht so genau einzuschätzen vermag, welcher nördliche Breitengrad der Liebe sich in einer Freundschaft verbirgt, und wir sind uns nicht im Klaren darüber, wie groß der Schmerz sein wird, wenn wir tatsächlich mit Arno Frank (wieder) lernen wollen, Schluss zu machen - radikal und herzlich!? "Kündigen wir einem Freund die Freundschaft, setzen wir ihn offiziell frei. Indem wir ihn von seinen freundschaflichen Verpflichtungen entbinden, erweisen wir ihm einen letzten Dienst. Freundschaft braucht keine Meditation, keine Supervision und keine Therapie. Es gibt auch keine Etikette, keine Handreichung.

Es gibt nur den klaren Schnitt."

Jedenfalls wünsche ich uns allen mit Arno Frank, dass wir nicht zur Bücherverbrennung greifen müssen, sondern dass wir auch "ausgelesene" Bücher manchmal hervorziehen können, um mit einem Seufzer des Bedauerns oder auch der Erleichterung noch einmal etwas zu erfahren über unsere Unzulänglichkeiten - ja, und manchmal sind es auch Verfehlungen.

 

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund