Puh, Patchwork – Wie Familie trotz Trennung gelingen kann (SPIEGEL 52/25, Seite 10-16)
STARK spielt auch eine Rolle (bitte auch unbedingt hier anklicken) - und Andreas Kirchners differenzierter Blick auf Trennungen
Es beginnt mit einer offenen Patchwork-Elterngruppe. Sie soll Raum für ehrlichen Austausch bieten. Dann werden eine Fülle alltäglicher Probleme angerissen – mit dem Resümee:
„Die Elterngruppe könnte überall tagen. Sie steht beispielhaft für Hunderttausende Menschen in Deutschland, Schätzungen zufolge lebt hier in jeder zehnten Familie ein Stiefelternteil. In diesen zusammengewürfelten Familien sind die Eltern geschieden oder getrennt, die Töchter und Söhne wohnen vorwiegend bei einem Elternteil oder pendeln zwischen Mutter und Vater.“
Wir langen an bei dem, was die Soziologie komplexe Stieffamilien nennt. Dem SPIEGEL-Beitrag – das muss man ihm ehrenhalber zugutehalten – geht es nicht um eine euphemistische Glättung von Entwicklungstrends, die selbstredend ihre Tücken in sich bergen:
„In der Realität gibt es oft die Fälle: nicht den Hauptgewinn in der Harmonielotterie, sondern auch die Version Patchworkhölle. […] Die Weihnachtszeit mit ihrem Ideal größtmöglicher Harmonie fordert viele Stieffamilien besonders heraus. Alle unterm Tannenbaum zu vereinen, dazu ein Festmahl und liebevoll verpackte Geschenke, verlangt ohnehin schon vollen Einsatz. Patchworkfamilien müssen zusätzlich oft noch verhandeln, wann wessen Kinder bei welchen Elternteilen feiern – und wie sie pünktlich, und möglichst in Festtagsstimmung, von einer Feier zur anderen gelangen.“
Die Autoren fragen (zu Recht im Interesse der Kinder), wie sich solcher Druck vermeiden ließe? DER SPIEGEL mobilisiert Expertise in Gestalt von Sabine Walper, bis zur ihrer Pensionierung im vergangenen Oktober Direktorin des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München sowie in Gestalt von Ulrike Zartler (Familien- und Kindheitssoziologin an der Universität Wien).
Beginnen wir einmal mit Ulrike Zartler, die Mitglieder von Patchworkfamilien jeweils einzeln interviewt hat. Sie drückt ihre Verblüffung darüber aus, wie sehr sich deren Vorstellungen über ihre Familien unterschieden:
„Manchmal habe wir beim Auswerten unserer Interviewaufnahmen gedacht: >Diese Personen können unmöglich von ein- und derselben Familie sprechen, die Aufnahmen müssen vertauscht worden sein.< Es habe beispielsweise widersprüchliche Angaben dazu gegeben, wer überhaupt alles zur Familie gehöre.“
Die SPIEGEL-Redakteur:innen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Kinder in unterschiedlichen Familienmodellen glücklich und behütet aufwachsen können. Dies bestätigten auch Ulrike Zartlers Studien: „Die Struktur einer Familie allein sagt nichts darüber aus, wie gut sie funktioniert und wie wohl sich die einzelnen Mitglieder darin fühlen.“ Tatbestand sei ohnehin, dass fast alle Kinder in ihrem Umfeld mit Trennungen konfrontiert seien.
Wenn dem so ist, rückt zwangsläufig die bereits weiter oben gestellte Frage in den Vordergrund, wie man vor allem den Druck auf Kindern mindern könne? Auch Weihnachten 2025 führe laut SPIEGEL zunächst einmal – trotz der Tatsache, dass Patchwork inzwischen ein alltägliches Phänomen sei - kein Weg an der Feststellung vorbei, dass eine Trennung meist eine >Megakrise< bedeute:
„Paare in Scheidungs- und Sorgerechtsstreitigkeiten versuchten oft, den Schmerz über das Ende der Familienidylle in juristische Auseinandersetzungen umzuleiten, in Streit um Geld und den Umgang mit den Kindern.“
Das sei so ungefähr das Dümmste was man machen könne, meint Eva Becker, Fachanwältin für Familienrecht und Vorsitzende im Ausschuss für Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins. Sie rät zu radikaler Akzeptanz:
„>Das alte Leben ist vorbei, getrennte Eltern im 50:50-Modelle verpassen die Hälfte des Lebens ihrer Kinder.< Mit diesem Schmerz müssten die Familien leben lernen, sonst steige die Gefahr, sich in unnützen Streitereien zu verausgaben.“
Wie aberwitzig und - vielfach eben im emotionalen Ausnahmezustand – die folgende Empfehlung wirken mag, können nur Elternteile beurteilen, die sich im Trennungsgeschehen befinden bzw. die mit Abstand dazu ihr Fehlverhalten erst sehen und im besten Falle relativieren können:
Eva Becker empfiehlt:
„Mütter und Väter sollten ihre neuen Partner zunächst der früheren Frau, dem früheren Mann vorstellen – und erst dann Treffen mit den Kindern arrangieren. Ihrer Klientel glücke das oft nicht.“
Eva Becker geht mit ihrer Empfehlung vor allem an Realitäten und Ungleichzeitigkeiten vorbei, die schlicht bedeuten, dass zurückgelassene Partner:innen sich häufig mit entstehendem Patchwork konfrontiert sehen, während ihnen selbst aktuell nichts anderes übrig bleibt, als sich mit einem schmerzvollen Trennungsgeschehen auseinanderzusetzen.
Und wie mögen folgende Feststellungen und Empfehlungen auf jemand wirken, der sich in der Tat mitten in einem dynamischen schmerzvollen Trennungsgeschehen bewegt?
Da heißt es: Was Patchwork so kompliziert mache, sei die Tatsache, dass so viele Menschen daran beteiligt sind: Es seien ja oft drei Familien in einem Konstrukt miteinander verwoben. Anwälte erlebten es immer wieder, dass am Ende Richter:innen entscheiden müssten, wer mit wem wann wohin in den Urlaub fahren dürfe.
Die folgenreichste Weisheit allerdings hört sich so an: Auf die Frage, wann der ideale Zeitpunkt für eine neue Beziehung sei, antwortet eine Familienberaterin:
„Erst einmal muss man gut getrennt sein.“
Und selbstverständlich widmet sich der SPIEGEL-Beitrag auch zu guter letzt noch dem Weihnachtsfest - ganz offenkundig ein Finger in die Wunde legen, wo es ohnehin schon schwierig genung - und manchmal sogar aussichtslos scheint:
„Viele Kinder aus Trennungsfamilien möchten Weihnachten am liebsten mit Mutter und Vater zusammen feiern.“ So habe es die Wiener Soziologin in ihren Gesprächen mit Kindern erfahren. Das sei auch dann noch so, wenn die Trennung der Eltern schon viele Jahre zurückliege.
Aber der hier verlockende Wein ist und bleibt eben vielfach ein äußerst saurer Wein. Denn: „Eine gemeinsame Bescherung sei aber keine gute Idee. >Damit werden Hoffnungen der Kinder geschürt, dass die Eltern doch wieder zusammenkommen.< Solche Versöhnungsphantasien, wie Ulrike Zartler sie nennt, haben Kinder mitunter noch lange nach der Trennung der Eltern.“
Und die Wege aus solchen Dilemmata – wenn es nicht gerade Weihnachten ist?
Ulrike Zartler meint, besser sei es, wenn getrennt lebende Eltern gemeinsam an alltäglichen Ereignissen im Leben der Kinder teilnähmen (an der Theateraufführung in der Schule, dem Fußballmatch im Verein. Für solche Termine sollten Eltern ab und zu ihre Konflikte hintanstellen. Die wichtigste Botschaft für Kinder sei: „Beide haben das Kind weiterhin lieb, und es darf seinerseits auch beide lieb haben.“
Und an der bitteren Erkenntnis, dass bei allen Konflikten die Kinder die Leidtragenden bleiben, führt dennoch aus der Sicht der SPIEGEL-Redakteur:innen kein Weg vorbei. Ein alltägliches Patchwork wird zum Anlass genommen, die allerprofansten Beispiele ins Feld zu führen:
„Kinder fragen sich zum Beispiel, ob sie ihrer Mutter erzählen dürfen, wenn sie mit der neuen Partnerin des Vaters etwas Schönes unternehmen“, so berichtet es die Wiener Soziologin Zartler. „Oder ob sie ihre leibliche Mutter traurig machen, wenn sie die Stiefmutter nett finden.“
Ja, natürlich, selbstverständlich, ja ohne Zweifel habt ihr SPIEGEL-Redakteur:innen ja recht, wenn ihr meint:
„Wie auch immer es den Erwachsenen dann gelingt:
>Es ist ihre Aufgabe, solche Loyalitätskonflikte gar nicht erst auszulösen.<“
Kurze Nachbemerkung zur Idee der weiter oben erwähnten Familienberaterin, man müsse erste einmal gut getrennt sein, um überhaupt offen zu sein für Neues: Dem ist zweifelsfrei zuzustimmen. Zu bedenken - auch mit Blick auf Wut als Ersatzmotiv für unbewältigen Schmerz - die schlichte Intervention, die Gunthard Weber im Rückgriff auf Bert Hellinger protokolliert hat:
Hellinger (in der Wiedergabe durch Gunthard Weber: Zweierlei Glück, Heidelberg 1997, S. 142f.) weist darauf hin:
"Wer in einer wesentlichen Paarbeziehung war (mit sexuellem Vollzug), ist gebunden und kann nicht mehr raus ohne Schmerz und ohne Schuld [...] Die Lösung ist, dass sich beide ihrer Trauer überlassen, dem ganz tiefen Schmerz, der Trauer darüber, dass es vorbei ist. Diese Trauer dauert nicht sehr lange, geht aber sehr tief und tut sehr weh. Dann sind sie auf einmal voneinander gelöst, und dann könnten sie nachher gut miteinander reden, und alles was noch zu regeln ist, vernünftig und mit gegenseitigem Respekt lösen. Bei einer Trennung ist die Wut häufig Ersatz für den Schmerz der Trauer. Oft fehlt, wenn zwei nicht voneinander lassen können, das Nehmen.
