Gestaltung von Lernumgebungen
(Modul 2.2) WS 2014/15
Vorbemerkung
Liebe Erstsemester,
Sie gehören der sogenannten „Bachelor-Master-Generation“ an. Wir haben unterdessen umfassende Erfahrungen mit der Reform der Lehrerbildung. Ich möchte einiges davon an sie weitergeben, damit sie ihre Studienorganisation effektiv gestalten können. Ein gewünschter Effekt der Studienreform beruht darin, dass sie – gleich welches Lehramt sie anstreben – alle miteinander „Bildungswissenschaften“ studieren. „Unter ‚Bildungswissenschaften’ wird ein integrierendes Fachkonzept über verschiedene Disziplinen verstanden, die auf unterschiedlichen Ebenen und unter Verwendung unterschiedlicher Fragestellungen mit der Analyse von Bildungs- und Erziehungsprozessen, von Bildungssystemen und der Bedeutung ihrer Einflussgrößen befasst ist“ (Curriculare Standards Bildungswissenschaften, S. 4). Das Studium der Bildungswissenschaften ist für Sie zunächst einmal in drei Pflichtmodule eingeteilt:
- Modul 1: Pädagogische Grundbegriffe (V), Erziehungs- und Bildungstheorien (S), Kindheit und Jugend (S), Medienbildung (S)
- Modul 2:Zur Theorie und Praxis des Unterrichts (V-2.1), Gestaltung von Lernumgebungen (S-2.2), Kommunikation (S-2.3), Heterogenität (S-2.4)
- Modul 3: Diagnostik (V), Entwicklung, Lernen, Diagnostik und Förderung (S), Soziale Probleme, Inklusion und Exklusion (S).
Zu den Pflichtveranstaltung im ersten Studiensemester gehört (neben der Vorlesung, 2.1 am DI um 8.00 Uhr) das Seminar: „Gestaltung von Lernumgebungen“ (S-2.2).Veranstaltungen zu den beiden weiteren Teilmodulen „Kommunikation und Interaktion“ sowie „Heterogenität“ können sie individuell – je nach Neigung und Interesse – ab dem zweiten Studiensemester aus dem Veranstaltungsangebot auswählen.
Sie alle kommen aus dem System, in das sie offensichtlich auch wieder zurück wollen. Sie kommen als ehemalige Schüler hierher und wollen nach erfolgreichem Abschluss der ersten und zweiten Ausbildungsphase als Lehrerinnen und Lehrer „wieder zurück“ in die Schule. Sie alle miteinander sind insofern „implizite Kenner“ des Systems Schule. Um sich nun professionell mit Schule und Unterricht auseinandersetzen zu können, bedarf es folgerichtig eines Prozesses der Professionalisierung. In den oben erwähnten „curricularen Standards Bildungswissenschaften“ findet sich dazu folgende Formulierung: „Der kompetente Umgang mit und die wirksame Gestaltung von unterrichtlichen und erzieherischen Prozessen setzt die Entwicklung einer professionellen Wissensbasis voraus, die inhaltliches Wissen verkoppelt mit methodischen und reflexiven, auf die eigenen Lern- und Kooperationsweisen bezogenen Wissensformen. Eingeschlossen darin ist der Umgang mit der eigenen Person, ihren biografie- und erfahrungsbezogenen Deutungs- und Emotionsmustern, aus denen sich die professionellen Kompetenzen aufbauen müssen“ (Curriculare Standards Bildungswissenschaften, S. 17f.).
Mit der heutigen Veranstaltung stelle ich ihnen eine Textmappe zur Verfügung (siehe auch den Uni-Blog unter: fj-witsch-rothmund.de). Diese Textmappe enthält eine Reihe von grundlegenden Texten. Der Wechsel von der Schülerperspektive zur professionellen Lehrerperspektive erzwingt die Auseinandersetzung mit der zentralen Frage, wie Unterricht überhaupt möglich ist, vor allem wo die Grenzen seiner Plan- und Steuerbarkeit zu sehen sind und welche Konsequenzen aus einer entsprechenden Betrachtungsweise zu ziehen sind. Wenn sie hier z.B. lesen, dass „Unterricht ein komplexes, durch doppelte Kontingenz gekennzeichnetes Geschehen ist, dessen Wirkungen sich kausal nicht bestimmen lassen“ (Wolfgang Meseth, T 2.4.7, ab S.178 ff.), schrecken sie vielleicht schon zurück vor möglicherweise unbekannten Begriffen und Sichtweisen. Die schlichtere Formulierung, mit der Unterricht als soziale Praktik bezeichnet wird, deren Wirkungen ungewiss sind, mag da schon verständlicher erscheinen. Die Vorlesung und die Seminare im Modul 2 dienen dem Zweck, für die Ausbildung eines professionellen Habitus begriffliche Grundlagen zu schaffen (dies beginnt mit dem Basistext: „Reflexionsangebote zum Phänomen Unterricht aus systemtheoretischer Perspektive“ – T 2.1.1 siehe dazu auch T 2.4.7) und vor allem die Auseinandersetzung mit den eigenen Berufswahlmotiven voranzutreiben. Die wichtigste „Übung“ zu Beginn Ihres Studiums widmet sich der biografischen Selbstreflexion unter besonderer Berücksichtigung ihrer eigenen Schulerfahrung. Die Grundlage dazu liefert der Beitrag von Alfred Holzbrecher (T 2.1.2, siehe auch T 2.1.3). Sie bekommen damit sozusagen einen Basistext an die Hand, der ihnen die Idee vermittelt, die „Lehrerbildung als biografisches Projekt“ zu begreifen und zu gestalten. Darin liegt die Chance, die Auseinandersetzung mit dem Berufsfeld Schule zu professionalisieren und damit die Gefahr zu mindern, wie so viele Kolleginnen und Kollegen, irgendwann im Verlauf ihrer Berufskarriere einem nachhaltigen „Burnout“ zu erliegen (siehe vor allem die Texte T 2.1.5 und T 2.1.6 sowie Abb.5 bzw. 5a).
Neben der Vorlesung, die sie dienstags besuchen, ist das Modul 2 – wie oben dargelegt - in die Teilmodule „Gestaltung von Lernumgebungen“ (2.2), „Kommunikation“ (2.3) und „Heterogenität“ (2.4) untergliedert. Die „Gestaltung von Lernumgebungen“ meint dabei die Organisation von Lehr- und Lernprozessen, also vor allem das, was im engeren Sinne mit Unterricht gemeint ist (hierauf beziehen sich alle Texte, die mit T 2.2.1 folgende nummeriert sind).Der „Kommunikation“ kommt eine fundamentale Schlüsselbedeutung zu. Dies wird spätestens dann klar, wenn wir mit Niklas Luhmann davon ausgehen, dass alle sozialen Systeme – dazu gehören selbstverständlich die Schule (als soziales System) und der in ihr stattfindende Unterricht – auf der Basis von Kommunikation operieren. Die ersten Sitzungen beschäftigen sich daher folgerichtig mit der Frage: „Was ist Kommunikation“ (T 2.3.1 und folgende). Wir vollziehen dies einerseits auf der Grundlage von theoretischen Überlegungen und zum anderen verbunden mit praktischen Übungen. Das Teilmodul „Heterogenität“ wird analog mit einer Reihe von Texten (T 2.4.1 folgende) in der Textmappe repräsentiert.
Wie bereits oben erwähnt, liefert uns die Zusammenfassung eines Textes von Niklas Luhmann („Was ist Kommunikation“ – T 2.3.1) den theoretischen Einstieg. Der Versuch, Kommunikation als den Modus zu beschreiben, in dem soziale Systeme operieren, soll dadurch transparent werden, dass wir das hier stattfindende Seminar als experimentellen Versuchsrahmen begründen. Wir werden uns in diesem Rahmen selbst beobachten und so herausfinden, inwieweit die systemtheoretischen Grundannahmen und Unterscheidungen von Niklas Luhmann tragfähig sind. Spätestens an dieser Stelle müssen sie den Eindruck gewinnen, es mit einer überaus unübersichtlichen, komplexen Situation zu tun zu haben. Vom ersten Veranstaltungstermin an wird sich unser gemeinsames Bemühen darauf konzentrieren, diese Komplexität zu mindern. Wir werden ein begriffliches Orientierungswissen aufbauen, das es uns ermöglicht, Schule und Unterricht aus einer professionellen Perspektive heraus zu beobachten und zu gestalten. Die folgende Abbildung (Abb. 1) gibt ihnen einen ersten Ein- und Überblick, wie man das Berufsfeld Schule strukturieren kann und über diese Strukturierung verschiedene Einstiegsmöglichkeiten eröffnet:
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Ich habe weiter oben ja schon angedeutet, dass ihnen dieses Seminar auch eine gründliche Selbstreflexion im Hinblick auf die von Ihnen in Erwägung gezogene Berufswahlentscheidung „Lehrerin/Lehrer“ ermöglichen soll. Genau an dieser Stelle kommt die „mikroanalytische“ Perspektive (Abb. 1) zur Geltung. Hier geht es um bestehende und zu entwickelnde „Selbstbilder“, die nun konfrontiert werden mit professionell begründeten Anforderungen, die das Berufsfeld Schule an sie heranträgt. Mit Alfred Holzbrechers Idee, die „Lehrerbildung als biografisches Projekt“ zu begreifen (T 2.1.2 in der Textmappe), erhalten sie nützliche Anregungen, die sie bis in ihre aktive Berufslaufbahn nutzen können.
Um erste Schritte im Aufbau eines professionellen Selbstbildes zu ermöglichen, finden Sie daran anschließend einen kleinen Fragebogen, den sie bitte sehr sorgfältig bearbeiten
(T 2.1.3 in der Textmappe – weitere, ausführlichere Anregungen zu einer Selbsteinschätzung finden sie z.B. unter www.dbb.de/lehrerstudie/start_fit_einleitung.php). Im Anschluss an den Aufsatz von Alfred Holzbrecher finden Sie eine Reihe von weiteren, kleineren Texten, die den „BERUF LEHRERiN“ unter Professionalitätsgesichtspunkten reflektieren. Sie sind entsprechenden Themenheften der „Pädagogik“ (z.B. 09/07) entnommen und finden sich unter der Sammel-Nummer T 2.1.6 in der vorliegenden Textmappe.
Schule und Unterricht gelten aus systemtheoretischer Perspektive als „soziale Systeme“. Soziale Systeme können nur über Kommunikation operieren. Dies wird in der „mesoanalytischen“ Perspektive (Abb. 1) besonders deutlich. Weil es der grundlegendste Aspekt ist, dem wir uns innerhalb des Seminars zuwenden, finden sie einführende Hinweise – wie oben vermerkt in T 2.1.1 der Textmappe (T 2.1.1.1 soll ihnen einen Zugang zu der Person und Bedeutung von Niklas Luhmann eröffnen). Konsequenzen aus diesen grundlegenden Überlegungen werden wir im Verlauf des Seminars im Zusammenhang mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen (Luhmann und Werning: T 2.1.1.2 und Fritz B. Simon: T 2.1.1.3) sowie im Kontext kommunikationstheoretischer Überlegungen (Watzlawick: 2.3.1.1 und Schulz von Thun: 2.3.1.2) in den Blick nehmen.
Schließlich gilt es die „makroanalytische“ Perspektive (Abb. 1) zu bedenken. In der Regel wird sie von Studierenden der Lehrämter zu Beginn ihres Studiums kaum wahrgenommen. Aber es dürfte ihnen allen relativ schnell klar werden, dass das „Erziehungssystem der Gesellschaft“, zu dem Schule und Unterricht gehören, nicht in einem luftleeren Raum agiert. Es steht in Wechselbeziehung zu anderen Funktionssystemen der Gesellschaft (Politik, Wirtschaft, Religion, Medien…). Hier geraten die Medien in besonderer Weise in unser Blickfeld. Wir gehen von der These Niklas Luhmanns hinsichtlich der Massenmedien aus: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Ich sage es einmal ganz schlicht: Alle, die im Berufsfeld Schule arbeiten möchten, müssen (schon im ureigensten Interesse) aufmerksame Beobachter der Massenmedien sein bzw. werden! Kaum ein anders Politikfeld – oder im weiteren Sinne Themenfeld – wird so kontrovers massenmedial verhandelt und repräsentiert, wie das „Erziehungssystem der Gesellschaft“. Es liegt nahe, dass die Entwicklung und die Entwicklungsdynamik eines gesellschaftlichen Funktionssystems, wie es die Schule darstellt, wesentlich auch von Interesse, Haltung und Teilhabe derer abhängen, die ihm angehören. Das werden in wenigen Jahren – zumindest wünsche ich ihnen dies – auch sie sein.
Schließlich möchte ich sie abschließend darauf hinweisen, dass sie mit dieser Textmappe eine Reihe von Anregungen und Textimpulsen in der Hand halten, die Sie auch zur Gestaltung ihrer Modulabschlussprüfung nutzen können. Dies gilt natürlich insbesondere dann, wenn sie in Erwägung ziehen, die (mündliche) Modulabschlussprüfung bei mir zu machen. Sie sollten dann das Gespräch mit mir suchen (Sprechstunde, donnerstags von 10-12). Ich weise an dieser Stelle noch einmal grundsätzlich darauf hin, dass alle 4 Teilmodule innerhalb des Moduls 2 prüfungsrelevant sind. Suchen sie im Hinblick auf inhaltliche Schwerpunktsetzung und formale Gestaltung frühzeitig den Kontakt zu ihrem/ihrer Wunschprüfer/in. Die Prüfungsform wird zu Beginn jeder Veranstaltung vom Veranstaltungsleiter bzw. der Veranstaltungsleiterin bekannt gegeben. Wer sich bei mir zu Prüfung anmelden möchte, sollte neben der Vorlesung wenigstens ein weiters Seminar bei mir besucht haben. Ich wünsche Ihnen einen guten Start und Studienverlauf.