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Neujahrsgrüße der eher humorvollen Art mit Joachim Meyerhoff

War das ein famoser Einstieg ins neue Jahr – Füße hoch, Kamin an, Beethoven auf dem Bildschirm und – wie jedes Jahr – unsägliches Feuerwerk über Güls, Neujahrsgrüße meiner Cousine aus den Dolomiten: Schneelage dramatisch (mit #unsere arme Umwelt), aber dafür wenigstens opulentes Silvestermenü der Kategorie: „Wer soll das schaffen?“

Wir genehmigen uns gegen 1.00 Uhr im neuen Jahre noch eine kleine Gute-Nacht-Bettlektüre und fallen mit einer so nicht erwarteten Lachattacke irgendwann in einen seligen Schlaf. Die Lachattacke verdanken wir Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war, 41.(!) Auflage, Köln 2015.

Wir befinden uns im Kapitel Der große Klare aus dem Norden und nähern uns der Seite 125: Zur Einweihung eines neuen Bauabschnitts in der Landespsychiatrie wird Ministerpräsident Dr. Gerhard Stoltenberg erwartet, eben Der große Klare aus dem Norden. Vor unseren Augen – ich bin ja 52er Jahrgang, Claudia 56er Jahrgang – erscheint Gerhard Stoltenberg in seiner ganzen Größe (pardon Länge) vor allem mit seiner prononcierten Artikulation – einer gutturalen Phonetik, die ihm heute noch ein Alleinstellungsmerkmal sichert. Im Zuge seiner Funktion als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein (von 1971-1982) kommt ihm – wie erwähnt – die Einweihung eines Erweiterungsbaus auf dem Gelände der Landespsychiatrie zu. Joachim Meyerhoffs Vater wurde 1971 ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Schleswig-Hesterberg. Die Familie lebte in einem Gebäude auf dem Gelände der Klinik. Dort verbrachte Joachim Meyerhoff seine Kindheit zusammen mit zwei älteren Brüdern, Martin und Hermann.

Seit über einer halben Stunde steht das Begrüßungschor unter dem Vordach des Neubaus und harrt der Ankunft des Ministerpräsidenten. Der verspätet sich. Es fängt an zu regnen, und die noch nicht befestigte Auffahrt weicht durch den stärker einsetzenden Regen auf. Der Vater ist besorgt: „Guckt euch das an… das darf doch nicht wahr sein. Wir können den Ministerpräsidenten doch nicht durch den Matsch stiefeln lassen.“ Es bleibt immerhin noch ausreichend Zeit die Auffahrt mit Schaltafeln abzudecken, so dass die  Gefahr gebannt scheint. Mit deutlicher Verspätung fährt dann endlich die Limousine des Ministerpräsidenten vor, und alles geht gut. Trockenen Fußes erreicht Gerhard Stoltenberg das Entree. Ich kürze ab und überspringe den eigentlichen Verwaltungsakt. Nach Besichtigung des neuen Klinikums und nach der Einnahme eines vorbereiteten kleinen Essens steht die Abfahrt des Ministerpräsidenten an, und ich schalte an der Stelle auf Originalton Joachim Meyerhoff um (kleiner Hinweis am Rande: Die Koffermänner sind die Bodyguards des Ministerpräsidenten):

„Mein Vater fragt: >Wo geht es den noch hin heute?< Stoltenberg sah fragend seine Sekretärin an: >Wir müssten seit einer Viertelstunde bei der Fischereiinnung sein, Herr Ministerpräsident.< […] Wir durchquerten die Eingangshalle und traten unter das Vordach […] So als würden sie sich lange kennen, verabschiedete er sich von meiner Mutter und bedankte sich bei meinem Vater… >Alles Gute, Herr Professor! Schauen Sie mal es hat aufgehört zu regnen!< Er betrat den gelben Steg, schritt flankiert von den Koffermännern auf die geöffnete Autotür zu – und da geschah es. Stoltenberg hatte bereits seinen Kopf gesenkt, hatte damit begonnen, sich wieder zusammenzufalten. Da rief laut jemand: >Hände hoch oder ich schieße.<
Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie ansatzlos sich eine Situation im Bruchteil einer Sekunde in eine komplett andere Situation verwandeln konnte. Die beiden Koffermänner stürzten sich auf den Ministerpräsidenten, warfen ihn nieder. Aber das war ein großer Mann. Der fiel nicht so leicht. Sie rammten ihn um. Im Fallen öffneten sie ihre Koffer und zogen schwarze Pistolen heraus. Stoltenberg klatsche der Länge nach in den Matsch. Auf ihn drauf die Männer mit den gezückten Waffen. Ich erstarrte. Aber nicht der Ruf >Hände hoch oder ich schieße!< hatte mich erschreckt. Die Stimme kannte ich ja. Allen, die sich unter dem Vordach versammelt hatten, war diese Stimme wohlbekannt. Was mich so maßlos überraschte, war die Wirkung, die sie hatte. Die Männer zielten in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Mein Vater schrie: >Bitte! Bitte! Es ist alles in Ordnung! Bitte! Bitte nicht schießen!< Die Männer rutschten auf dem Ministerpräsidenten enger zusammen, schützten ihn mit ihren Körpern. >Wirklich, bitte. Es besteht keine Gefahr. Es ist einer unserer Patienten.< Hinter einem der erst kürzlich aufgestellten Blumenkübel tauchte plötzlich ein rötlicher Haarschopf auf, darunter ein schmales Gesicht, nicht breiter als ein Handteller, mit eng stehenden Augen und vereinzelten Zähnen. Die Männer richteten ihre Waffen auf den Jungen. Mein Vater hob die Hände, Handflächen nach unten. Mit beschwörender Stimme sprach er überdeutlich und ruhig: >Bitte, glauben Sie mir. Es ist alles in bester Ordnung. Das ist Rudi, einer unserer Patienten. Er ist völlig harmlos. Er macht das öfter.< Da hatte mein Vater vollkommen recht. Es stand wohl niemand hier draußen, dem Rudi nicht auch schon auf dem riesigen Areal der Psychiatrie aufgelauert hatte.
Der Junge hinter dem Betonkübel sah überglücklich aus. Solch einen mächtigen Effekt hatte sein >Hände hoch oder ich schieße!< noch nie gehabt. Er trat hervor, hob seinen silbernen Colt und zielte auf die Männer im Matsch. Mein Vater rief: >Wir wollen jetzt nicht mehr spielen. Wirf deine Pistole weg!< Rudi zog eine seltsame Grimasse und machte einen weiteren Schritt.
Einer der Koffermänner brüllte los: >Wenn der noch näher kommt, knall ich ihn ab. Ich  knall ihn ab! Der soll die Waffe wegwerfen.< Rudi strahlte, strahlte und machte noch einen Schritt. Mein Vater trat in die Schusslinie. >Rudi, guck doch mal, die liegen doch schon am Boden. Die haben verloren. Du hast gewonnen. Jetzt steck mal deine Waffe weg.< Rudi überlegte. Dann warf er seinen Revolver hoch in die Luft, und das Geräusch, mit dem er auf der Straße aufschlug, klang so eindeutig nach Plastik, dass die Männer im Schlamm zu ahnen begannen, dass mein Vater die Wahrheit gesprochen hatte.
Einen Moment lang  herrschte eine geradezu feierliche Ruhe, ein kollektives Innehalten der besonderen Art. Dann rollten sich die Männer vom Ministerpräsidenten herunter. Mein Vater betrat den gelben Steg. Meine Mutter folgte ihm.
Zwei Pfleger rannten zu Rudi. Drehten ihm, völlig übertrieben, wie ich fand, die Arme auf den Rücken. Die stellvertretende Direktorin fuhr sich mehrmals impulsiv mit den Fingern durch ihre Kurzhaarfrisur. Mein mittlerer Bruder sagte leise: >Das war ja der Hammer!< Der Reporter knipste in rascher Folge ein paar Fotos. Und Stoltenberg rührte sich nicht, lag wie erschossen auf dem Bauch im Matsch. Neben ihm knieten meine Eltern: >Herr Ministerpräsident, es ist alles gut<, sagte meinVater, und >Sie können jetzt aufstehen<, meine Mutter.
Dr. Gerhard Stoltenberg hob langsam den Kopf. Mit einem schlürfenden Sauggeräusch zog er ihn aus dem Schlamm. >Kommen Sie. Ich helfe Ihnen auf.< Mein Vater streckte die Hand aus. Die verschmierten Männer hatten ihre Koffer aufgehoben und die Waffen darin verschwinden lassen. Stoltenberg wollte keine Hilfe. Unbeeindruckt, vielleicht ein ganz wenig brüchig, sagte er: >Danke, da geht schon. Das schaffe ich gut allein.<
Und dann stand er auf. Wieder wuchs und wuchs dieser Mann. Dr. Gerhard Stoltenberg, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, stand da, tropfend, und sah aus wie ein Schwein. Ein riesiges, aufrecht stehendes Schwein, das sich zusammen mit seinen beiden besten Freunden ein ausgiebiges Schlammbad genehmigt hatte.“

Auch wie es nun weitergeht, sorgt für lachweckendes Amüsement. Wie der Vater im Verein mit der Mutter die Situation entspannt und rettet, wie Gerhard Stoltenberg und seine Bodyguards im Hause Meyerhoff aufgenommen werden, wie sie sich von Schweinen wieder zurückverwandeln, bei Ping-Pong und einem Schnäpschen wieder Contenance finden, wie Gerhard Stoltenberg dem Vater bei einem herzlichen Abschied das Du anbietet…

In heutigen Zeiten und in anderen gesellschaftlichen Kontexten hätte Rudi seinen Scherz gewiss nicht überlebt. Das kann zu denken geben – aber vielleicht doch nicht so sehr, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Ich habe mit Meyerhoff im Übrigen keinen Promotionvertrag laufen (41. Auflage!!!) – einfach: just for fun.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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