Schön, dich kennenzulernen –
Axel Hacke nähert sich einem Fremden, mit dem er schon ein Leben lang zusammenlebt: seinem Körper (ZEIT 39/24, S. 46/47)
Axel Hacke hat es schon wieder getan – er weckt Aufmerksamkeit, wo sie Not tut!
Not – ein lästig Gebot; davon zeugt Axel Hackes neue Visitenkarte:
„Axel Hacke, Schriftsteller und Kolumnist, Inhaber von Morbus Meulengracht und Morbus Ledderhose. Normale Flussprofile im Carotisstromgebiet. Absolvent von Thereoiditis de Quervain. Bruxist.“ Ja: „Wer braucht Professorentitel, wenn er einen Körper hat.“
Axel Hacke – 56er Jahrgang – sucht eine Sprache, beschreitet einen skurrilen Findeweg für etwas Alltägliches, für etwas Selbstverständliches, das alles andere als selbstverständlich ist.
„Ich habe mein ganzes Leben mit der Schilddrüse und dem Körper drumherum verbracht. Ohne ihn ginge es ja nicht.“
Die Schilddrüse ist es schließlich, die ihn zu seinem neuen Buch „Aua! Die Geschichte meines Körpers“ (bei DuMont, Köln 2024) treibt. Anhaltendes Unbehagen – ein Gefühl eingeschränkter Leistungsfähigkeit, genug zum Leben, zu wenig für Sport, stellt er fest:
„An der rechten Seite des Halses hatte ich Schmerzen bis zum Ohr, eine kleine Erhebung dort tat weh. Ich war heiser. Nachts wechselte ich den Pyjama, weil ich schwitzte wie ein Sumoringer nach einer Bergwanderung.“
Axel Hacke ist ein doppelt Gesegneter – als Privatpatient und als Ehemann einer insistierenden, fürsorglichen Frau: Nach der Diagnose von Theoreoiditis de Quervain – einer Entzündung der Schilddrüse – kehrt er erleichtert heim und fällt seiner Frau um den Hals:
„Danke, sagte ich, du hast mich gerettet, jedenfalls meine Schilddrüse! Ich erinnerte mich, dass mein Kardiologe einmal zu mir gesagt hatte, er habe Männer gesehen, die ihr Leben der Hartnäckigkeit ihrer Frauen verdankten.“
Axel Hacke stellt ernüchtert fest, dass er erstaunlich wenig über sich – über seinen Körper – weiß. Es folgt eine rührende Selbstbesinnung, einhergehend mit der Betrachtung eines Fotoalbums aus alten Zeiten:
„Da liegt ein Baby mit vielen dunklen Haaren auf einem hellen Fell und schaut mit aufmerksamen Augen den Fotografen an. Da sitzt ein Kleiner mit Locken in einer eisernen Wanne und hält ein Spielzeug. Da läuft ein zweieinhalbjähriges Kind nur mit Hemdchen bekleidet über den Rasen: Man sieht seinen Pillermann, so wurde in den Fünfzigerjahren das Geschlechtsteil von Buben genannt, jedenfalls in unserer Familie. Wir deklinieren: der Pillermann, des Pillermanns, dem Pillermann, den Pillermann.
Those were the days, my friend.
We thought they’d never end.
Der Kleine bin ich. Der Kleine war ich.“
65 Jahre später ist Axel Hacke von 1,84 Meter auf 1,82 Meter geschrumpft, hat keine dunklen Locken mehr (aber auch noch keine Glatze):
„Was ich sagen wollte: Mich fasziniert auf naive Art die Entwicklung meines Körpers, sein Wachsen und Sichausdehnen, dann wieder sein Schrumpfen, seine Kraft und die langsame Schwächung, der stetige Kampf dagegen. Seine Geschichte. Dass ich von einem kleinen Menschen zu einem kraftvollen Kerl werden konnte, nie einem großen Athleten, aber doch zu einem, dem sein Körper nicht in erster Linie Schwierigkeiten machte. Sondern große Freude.“
Zweifellos ein Segen – so immerhin auf 68 Jahre seines Lebens zurückschauen zu können und dabei zu bilanzieren im und mit dem eigenen Körper mehr Freude als Schwierigkeiten gehabt zu haben. Und dann kommt Axel Hacke zu einer Bewertung, die man in der Tat nur als – ähnlich gesegneter – Gleichaltriger nachvollziehen kann:
„Das Kind auf dem Fell, der Typ hier am Schreibtisch, eines Tages der Leichnam im Sarg – alles ich, ein männlicher Körper, der heute seine besten Zeiten hinter sich hat.“
Ist es Humor, Gelassenheit, resignative Reife – oder nur das Innehalten eines jungen Alten, der noch nichts weiß vom Alter, wie es (der seinerzeit eigentlich noch viel zu junge) Jean Amery (vor der Zeit), wie es der Gentleman Sven Kuntze oder meinetwegen auch zuletzt die unverwüstliche Elke Heidenreich es uns nahelegen; ganz zu schweigen von den Lebensendgesprächen, die Iris Radisch geführt hat? Für uns Männer kurz vor oder – wie in meinem Fall – kurz nach dem Siebzigsten kommt jedenfalls eine Anmerkung, die das mit dem Hinter-sich-Haben der besten Zeiten noch einmal erleichtert relativiert:
„Aber ehrlich gesagt, so sicher bin ich mir auch wieder nicht (was das Hinter-sich-Haben anbelangt). Bisweilen habe ich das Gefühl: Wann war es je besser als jetzt, ausgeruht und reflektiert, nicht mehr getrieben von unnachsichtigen Hormonen, umsichtig auf die physischen Bedürfnisse bedacht und noch ordentlich bei Kräften.“
Ja, und mehr noch: Finden doch viele von uns ihren Frieden, löffeln die Suppen lange nicht mehr so heiß, wie sie gekocht sind, bemüßigen sich gar in seltenen Fällen – mit Blick auf die verbrannte Erde hinter sich – der Hellingerschen Formel; überaus ratsam für all jene, die nicht, wie mir einmal ein Juister Kneipenwirt kurz, bevor er auf die andere Seite der Theke wechselte, nahelegte: Wer nachtragend ist, hat viel zu schleppen (siehe ganz unten die Anmerkung zur Hellingerschen Formel)!
Axel Hacke legt uns nahe, dass zu einer solch gediegenen Haltung der Selbstdesinteressierung gewiss das Interesse für den eigenen Körper gehöre:
„Man könnte versuchen, die Welt und sich selbst anhand des eigenen Körpers zu verstehen, denn es gibt kaum ein persönliches Erlebnis, das sich nicht dem Körper eingeschrieben hätte, Narben, Falten, Flecke, Schründe, Macken, Brüche.“
Mein letztes Gedicht von vor wenigen Tagen bezieht sich – andeutungsweise – auf Klaus Theleweits Männerphantasien, geht es doch hier nicht nur um die lebenslaufbezogen eingeschriebenen Male auf unserem Körper, sondern um die Frage, wie wir mit unseren und den Körpergrenzen der Anderen umgehen? Alles dreht sich um die Frage: Wie nahe darf mir – wie nahe darf ich jemandem anderen kommen!
Dies nötigt mir eine Randbemerkung ab, die sich aus Axel Hackes Hinweis ergibt, dass wir als Kinder es normal gefunden haben,
„dass erwachsenen Männern Arme fehlten, Beine, dass sie blind waren. Wir waren umgeben von Versehrten, mein Vater gehörte zu ihnen. Der Krieg hatte sie verstümmelt. Man stellte dazu keine Fragen. Es war so.“
Aber so kann es nicht bleiben! Kommen doch viele heute sogar auf die Idee anzumerken, die Versehrten trügen an ihrer Versehrtheit in erster Linie selber Schuld. Mag man dies möglicherweise strammen Nazis zugestehen („Alles für Deutschland“ – selbstverständlich auch die körperliche Unversehrtheit), so verweist doch die Lesart Klaus Theweleits (und im Übrigen auch die Theodor W. Adornos) auf die subtilen Zusammenhänge, die die Missachtung eigener wie fremder Körpergrenzen erst verstehbar erscheinen lässt.
Axel Hacke gibt Vieles zu bedenken – einschließlich des Broken-Heart-Syndroms, dem er das Phänomen eines Happy-Heart-Syndroms zur Seite stellt, denn die Welt kennt viele Farben.
Anrührend, tröstlich – jedenfalls gestatte ich mir diese Lesart – kommt mir Axel Hackes Besuch bei den Eltern vor:
„Auf dem kleinen Friedhof eines Vorortes meiner Heimatstadt, unter mir die Familiengebeine – oder was noch vorhanden sein mag von ihnen. Mein Körper wird hier nie liegen. Auch jetzt werde ich gleich weg sein. Ob ich wiederkomme? Ich weiß nicht. Münchner Würmer werden mich wohl verzehren, wie es aussieht.“
Wie die meisten von uns, hat Axel Hacke seine Heimatstadt verlassen. Insofern ist ihm klar, dass sein Körper zwar hier in dieser Stadt groß geworden ist, nun jedoch nicht mehr hierher gehöre:
„Aber wenn es stimmt, was wir über die Atome unseres Ichs wissen, könnte es sein, dass irgendwo um mich herum Bestandteile meiner Eltern sind. Jeder von uns war vor seinem Dasein in der Welt verstreut. Wird es wieder sein. Zwischendurch manifestieren wir uns für eine Weile als Körper mit Leben und Bewusstsein. Es wäre möglich, dass eines fernen Tages etwas von mir auf den kleinen Friedhof herabregnet, ein Partikel, das zu meinem Gedächtnis gehörte. Dass es hier liegen wird. Obwohl ich meinen Platz in der Welt woanders gefunden habe, empfinde ich das als einen tröstlichen Gedanken.“