Vor dem Hitzschlag
Benedikt Bösel und die Rebellen der Erde müssen warten, denn der Klimawandel gefährdet unsere Gesundheit. Doch das hat in Deutschland viel zu lange kaum jemanden interessiert. In diesem Sommer tut sich endlich etwas – VON KATJA TRIPPEL, STEFAN SCHMITT UND JAN SCHWEITZER
Vor dem Hitzschlag haben die Drei ihren Beitrag in der ZEIT (26/23, Seite 27-28) überschrieben. Die unbestrittene Ausgangsthese lautet: „Die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gesundheit werden immens sein, deswegen muss jetzt etwas passieren.“
Daher ist es natürlich auch purer Unsinn, dass Benedikt Bösel und die Rebellen der Erde warten müssen. Bei Benedikt Bösel heißt die Titelergänzung: Wie wir den Boden retten – und damit uns selbst! Alles was hier im ZEIT-Artikel angesprochen wird, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Denken und Handeln Benedikt Bösels bzw. der hinter seiner Philosophie stehenden Akteure – Denker und Praktiker (oder beides in Personalunion). Unsere Gesundheit können wir – vor allem mit Blick auf künftige Generationen – nur retten, wenn wir dem Ansatz von Bösel nicht nur Aufmerksamkeit zubilligen, sondern ihn zum Wendepunkt unseres (klima-)politischen Handelns machen.
Es hat also bis 2023 gedauert, dass zentrale Akteure die Relevanz des Themas erkennen – so die ZEIT-Redakteure. Nunmehr beginne man damit Bündnisse zu knüpfen und Hitzeaktionspläne aufzustellen. Dies komme 20 Jahre zu spät:
„Im Sommer 2003 erlebte Süddeutschland seinen ersten Hitzeschock, so wie halb Mittel- und Südeuropa. Das Hoch Michaela fachte Waldbrände an, ließ in vielen Mittelmeerländern Felder verdorren und heizte die Städte auf. Menschen von Paris über Frankfurt bis Athen brüteten bei Temperaturen über 40 Grad Celsius: Nachts blieb es tropisch warm, viele konnten keine Abkühlung finden. 9500 Menschen starben allein in Deutschland. Es war eine erste Warnung, doch sie verhallte.“
In meiner Biografie gehört das Jahr 2003 zu den zentralen Wendepunkten. Es ist das Jahr, in dem meine Mutter starb – im Alter von 79 Jahren. Die Umstände und der Verlauf ihrer letzten fünf Lebensmonate (vom 27.2. bis zum 27.7.2003) – auch die hitzebedingten – sind in ihrem Sterbetagebuch nicht nur protokolliert, sondern auch aus der Sicht des Sohnes, also aus meiner Sicht, recht minutiös aufgearbeitet worden.
Was wir 2003 erlebten setzt sich seit Jahren – und inzwischen Jahr für Jahr – fort. Die Hitzespitzen häufen sich: „>Hitzewelle<, das sagen die Meteorologen, wenn es an mindestens drei aufeinanderfolgenden Tagen (>Hitzetage<) heißer als 30 Grad geworden ist.“ In den Statistiken fällt der Südwesten auf: „Speyer hatte im Mittel des vergangenen Jahrzehnts die meisten Hitzetage (23), gefolgt von Ludwigshafen und Mannheim (je 22)." Wir lesen, dass eine Hitzewelle, wie sie zu Beginn der Industrialisierung einmal in 50 Jahren aufgetreten sei, heute fast einmal pro Jahrzehnt gemessen werde. Während ich hier schreibe, zeigt das Thermometer in Koblenz-Güls 34 Grad.
„Dabei gelten Hitzewellen als jene Sorte von Wetterextrem, die sich am klarsten auf die Emissionen aus fossilen Brennstoffen zurückführen lässt. Gefährdet sind besonders diejenigen Menschen, die ihre Körpertemperatur bei Hitze noch nicht oder nicht mehr so gut bei optimalen 37 Grad halten können: Kinder und Ältere.“
Kleiner trivial-medizinischer Exkurs: „Bei alten Menschen kommt hinzu, dass ihre Nieren häufig nicht mehr in der Lage sind, Harn in genügender Weise zu konzentrieren – sie scheiden Flüssigkeit aus, die der Körper dringend zur Kühlung braucht. Problematisch ist, dass Ältere oft wenig Durst empfinden und zu wenig trinken. Ihre Körper brauchen aber Wasser, um sich zu kühlen, Nährstoffe zu verarbeiten und giftige Stoffwechselprodukte auszuschwemmen. Fehlt das Wasser, verdickt das Blut. Die Menschen werden verwirrt, stürzen leichter, Schlaganfälle und Herzinfarkte nehmen zu. Um fast ein Drittel steigt die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Dehydrierung während Hitzewellen.“
Hitzereaktionspläne und Hitzeschutzverhalten sind überlebenswichtig. Sie sind allerdings zur Gänze nichts, wenn wir nicht endlich umdenken – 2017 hat Maximilian Probst in der ZEIT bereits gemahnt: