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Ausbruch aus dem generativen Gefängnis – Alex Schulman: VERBRENN ALL MEINE BRIEFE (Teil II)

Siehe hier: Teil I

AS entwickelt das komplexe Geflecht einer intergenerativen Dynamik auf drei Zeitebenen – zum einen der Ebene eines Paares – seiner Großeltern –, die sich als eklatant ungeeignet füreinander erweisen werden. Hier setzt Karin Stolpes Tod 2003 den Endpunkt. AS erlebt sich selbst noch einmal als Kind seiner Großeltern – hier ist das Jahr 1988 der Fokus, das Jahr in dem er nolens volens den Briefwechsel, den Austausch der Liebesbriefe zwischen Olof Lagercrantz und seiner Oma entdeckt und damit die unterschwellig immer präsente Katastrophe auslöst.

Schließlich holt AS sich selbst ein, indem er seinen Weg ins Offene offen erscheinen lässt und die gewaltige Kraft, die sich in ihm regt endlich in Bewegung ausmünden lässt und nicht in die Wiederholung des ewig Selben, das sich in seinen Wutattacken manifestiert:

Die verdorbene Frau, die aus der Sicht des Großvaters seine Familie zerstört hat und die fortan zum obsessiven Feindbild mutiert, ist der ewige Quell seines episch fehlgerichteten Hasses, der so vielen Menschen Leid zufügen wird:

„Was mich am meisten berührt“, schreibt AS, ist, „dass Sven so vollkommen verloren ist. Er ankert nicht in seiner Wut, sondern treibt mit ihr durch die Jahrzehnte, es ist, als würde er von einem schwarzen Fluss mitgerissen, und unterwegs schlägt er nach allem, was ihm begegnet. Er weiß nichts, begreift nichts, er schlägt einfach nur um sich. Am schlimmsten sind die Konsequenzen für Karin, deren Leben er ruiniert (Seite 296).“

Mir hat einmal jemand eine Geschichte erzählt, die von einem therapeutischen Setting handelt – ich habe drei Jahre in Heidelberg bei der IGST Aus- und Fortbildung im Kontext systemischer Familientherapie erlebt –, bei dem die Therapeutin beiläufig bekundete, bei den Erzählungen eines Patienten über den eigenen Vater, hätte sie sämtliche Fenster und Türen öffnen müssen, damit es zu keiner Implosion komme. Ziellose, heillose Wut bedarf einer Verstehensperspektive, wenn sie nicht rein destruktiv bleiben soll. Sie kann Jahrzehnte virulent bleiben, sie kann intergenerativ ihr Zerstörungswerk betreiben, wenn sie nicht wenigstens die Schwelle zu einem ersten Verstehen überschreitet. Alles, was sich daran - ein erstes Verstehen - anzuschließen vermag, obliegt dann menschlicher Phantasie, menschlichem Vergebungswillen und der Sorge um die, die mittelbar Opfer des ungestillten Furors werden. AS schreibt auf Seite 296 weiter:

„Sven Stolpe wird Vater von vier Kindern und verrät sie alle, vergiftet sie, eines nach dem anderen. Er hinterlässt eine Zerstörung, die so total ist, dass sie auch die nachfolgenden Generationen verfinstert: Mein Großvater hat meine Mutter verraten und sie mich. Mir ist bewusst, dass Sven Stolpes Wut auch meine ist. Ich weiß, dass sie in mir Wurzeln geschlagen hat und alles zerstören kann, was mir etwas bedeutet – meine Beziehung zu Amanda und meinen Kindern. Aber vielleicht ist es in dieser seltsamen Phase meines Lebens, in der ich Licht in die Finsternis gebracht habe, etwas mit mir geschehen. Eine Einsicht, die viel ausmachen könnte: Ich tappe nicht länger im Dunkeln. Ich weiß, welche Aufgabe ich vor mir habe. Und ich stecke nicht fest, ich bin in Bewegung. Das ist eine gewaltige Kraft (Seite296f.).“

Hier geht es weiter: Teil III

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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