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(M)Ein Adventskalender (7) heute machen wir das siebte Türchen/Fensterchen auf 

Valentin Groebner: Bin ich das? Eine kurze Geschichte der Selbstauskunft - Erkenne dich selbst!? Ich knüpfe einmal an unser sechstes Türchen an, in dem Christian Streich im Rahmen eines Interviews kleine Mosaiksteinchen einer Selbstauskunft und damit aus seiner Sicht identitätsstiftende Aspekte seiner Herkunft preisgibt. Wo komm ich her? Und wie hat mich das geprägt? Wie beeinflusst das, wo ich herkomme meine eigene Art auf mich selbst und die Welt zu schauen? Und wir erfahren - nicht von einem Schriftsteller, nicht von einem Wissenschaftler, sondern von einem Fußballtrainer, wie die sogenannten Distinktionsmerkmale (soziale Herkunft, sprachliche und politische Sozialisation) seine Weltsicht und seine Positionierung in der Welt beeinflussen.

Selbstauskünfte geraten auf diese Weise aus der Sicht Valentin Groebners auch zu spezifischen Formen der Alltagsbewältigung. Dies lässt sich am gleichermaßen Allgemeinsten wie Besondersten - am intimen Verständnis von Liebesgeschichten am eindrücklichsten veranschaulichen. Die Veranschaulichung seiner Thesen wird komplettiert durch den aktuellen Bezug zum Weihnachtsfest; der Hauptgrund, warum ich Valentin Groebner mit seiner kurzen Geschichte der Selbstauskunft in den Mittelpunkt des siebten Fensterchens stelle. Ich habe nur die 12.47 Minuten des Interviews im Deutschlandradio gehört und bin danach überzeugt, dass sich ein Blick in sein Buch lohnen könnte!

Das Weihnachstfest könnte man auch verstehen als eine Geschichte der Wünsche, die Menschen in die Welt tragen - Erwartungen, die sich auf ein gutes Leben beziehen bzw. deren Erfüllung beitragen können/sollen zu einem guten Leben. Valentin Groebner gießt Bitterstoffe in diesen süßen Wein, indem er zunächst einmal feststellt, dass das, was wir uns so sehr wünschen ja nicht haben und häufig genug auch nicht bekommen werden. Er verweist darauf, dass folgerichtig Liebesgeschichten sein Buch wie einen roten Faden durchziehen. Und er verwahrt sich gegen die Intervention seiner Interviewerin, die ihn just hier stoppt und darauf hinweist, dass sie sich dies als besonderes Schmankerl aufgehoben habe:

Er meint dazu: "Ja, aber Liebe ist doch kein Zuckerl. Seien wir doch ehrlich. Liebe ist ne ganz komplexe Mischung aus unbedingt wollen, unbedingt müssen, nicht das kriegen, was man will. Die Selbstauskunft ist ein bunter Strauß aus Elementen, wo es um Zwang, Unfreiwilligkeit, Übermut geht. Und bei der Liebe ist es genau so. Die Liebe hat verdammt viele unfreiwillige Aspekte. Was kann ich mir aussuchen und was nicht?

Valentin Groebner hat natürlich recht: Winkt das siebte Jahrzeht ist - wenn es denn halbwegs gut gegangen ist - ist man im besten Fall dazu in der Lage, die achterbahn-ähnlichen Gemüts- und Gefühlszustände mit Niklas Luhmann nicht mehr primär als Gefühl zu begreifen, sondern viel eher als einen Kommunikationscode, der darüber fabulieren und spekulieren lässt, wer wen wie wann wo - und überhaupt (noch) liebt. Niemand hat dies besser auf den Begriff gebracht als Luhmanns Schüler Peter Fuchs, der von WIR-ZWEI auf der einen Seite und dem REST-DER-WELT auf der anderen Seite spricht. Die Frage ist nur, wie lange zwei Menschen unbedingt und fraglos die wechselseitige Komplettberücksichtigung (unter Einschluss ihrer Körper) im Modus der Höchstrelevanz zu leben vermögen? Wie gelangt man aus den Irrungen und Wirrungen romantischer Verliebtheit hin zu einer tragfähigen Liebesbeziehung, die auch Partnerschaft sein mag - Verantwortungsgmeinschaft, in der auch Kinder eine Chance haben, Geborgenheit und Zugehörigkeit zu erleben? Nicht von ungefähr denken und empfinden sich viele Menschen in Liebesdingen als die verletzlichsten Mängelwesen.

Das Weihnachtsfest - eine Geschichte der Wünsche

Die Welt ist kein Wunschkonzert - und dennoch wollen wir mit Valentin Groebner das Weihnachtsfest verstehen als eine Geschichte der Wünsche. Aber auch hier schüttet er Wasser in den reinen Wein der Wünsche. Die meisten von uns haben gelernt, das Weihnachtsfest als Fest der Wünsche zu verinnerlichen: "Wir sollen uns was wünschen." Unter diesem Gesichtspunkt ist Weihnachten das Fest, dem sich kaum jemand entziehen kann. Gleichzeitig gibt es verbunden mit diesem Fest - mit Wünschen und Erwartungen aufgeladen - sicher kaum ein vergleichbares Ausmaß an Enttäuschungen und Kränkungen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich hier neben materiellen Wünschen (v.a. bei Kindern) ein Übermaß an Erwartungen mobilisiert, das uns endlich Frieden mit Gott und der Welt bringen soll. Und Valentin Groebner bemerkt dazu lapidar, jedes Weihnachtsfest sei so schwierig, wie keines zuvor. Mag sein, dass zu den unerfüllten Sehnsüchten, die unerfüllt bleiben, immer alte und neue hinzukommen; sieht man einmal ab von jenen, die auch der Weihnacht irgendwann den Rücken kehren, weil die Konten aussichtslos ins Minus gedreht sind. Bei der Mehrheit hingegen bleibt Wünschen Pflicht - Weihnachten ist und bleibt ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor im Warenaustausch der Subjekte genauso wie der Akteure im Weihnachtsgeschäft.

Einen vorletzten Hinweis hat Valentin Groebner für alle die, die ob all dieser Unbill jammern und klagen. Weil das Jammern eben nicht gefährlich sei und man leicht in die Opferrolle schlüpfen könne, sei das Jammern vordergründig betrachtet immer eine gute Strategie, um sich zu entlasten. Man riskiert dabei nichts. Aber Groebner weist darauf hin, dass das Jammern letztlich das Gegenteil dessen sei, was ein gutes Leben ausmache. Er holt weit aus und regt dazu an das deutsche Verb (sich) beschweren ernst zu nehmen: Wer sich ständig beschwert, hat nachher mehr auf den Schulten lasten als vorher. Eine bedenkenswerte Anregung.

Der letzte Hinweis gilt einem Aspekt des guten Lebens, der - sagen wir einmal im Terror der medialen Netzwerke - mindestens ebenso zu beherzigen wäre: Groebner meint,

"je mehr ich gezwungen bin, Auskunft zu geben, desto weniger kann ich die Dinge verschlampen, kann ich aufhören und es nicht begründen müssen."

Das meint das Gegenteil von Freiheit und sein Rat, dass an vielen Stellen eine bestimmte Art von Diskretion - nicht alles sagen zu wollen - viel näher am guten Leben sei als eine schrankenlose Intimität, ist nun wirklich nicht neu. Peter Sloterdijk hat es pointiert auf den Begriff gebracht, indem er feststellt: Diskret sei halt derjenige, der wisse, was er nicht bemerkt haben soll.

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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