J'accuse - im Namen Heinrich Gerlachs - J'accuse
Ich lese Heinrich Gerlachs "Durchbruch bei Stalingrad" zum zweiten Mal. In meiner Skizze zu der Frage, ob Alexander Gauland eine Drecksau sei, habe ich angedeutet, warum ich den Flachpfeifen der AfD Heinrich Gerlachs Roman zur Pflichtlektüre verordnen würde - vermutlich eine maßlose Überforderung, da sämtliches Gehirnschmalz verbrannt wird bei dem Versuch dem Deutschen Volk wieder Selbstbewusstsein einzuhauchen - verbunden mit der Gaulandschen Volte, angesichts der Leistungen der Deutschen Wehrmacht wieder Stolz empfinden zu können. Ich beantworte heute diese ach so schlicht daher kommende Verführung, Stolz zu empfinden, indem ich 1. den historischen Referenzrahmen betone, in dem sich die handelnden Akteure befanden und indem ich 2. Zeitzeugen zu Wort kommen lasse, die dem Versuch Stolz zu empfinden auf die Leistungen deutscher Soldaten in einem verbrecherischen Krieg früh schon jeglichen Nährboden entziehen. Wie bereits im Beitrag zu Heinrich Gerlachs Roman "Durchbruch bei Stalingrad" bemerkt, galt dieser Roman seit 70 Jahren als verschollen und wurde erst 2012 von dem deutschen Germanisten Carsten Gansel im staatlichen russischen Militärarchiv entdeckt und in mehrjähriger Arbeit für die Herausgabe im Jahr 2016 vorbereitet.
Dem Urtext ist weder etwas hinzugefügt noch etwas genommen worden. Ähnlich wie im Falle der Aufzeichnungen von Willy Peter Reese - 1944 in Rußland vermisst - "Mir selber seltsam fremd - Die Unmenschlichkeit des Krieges Russland 1941-44" (München 2003) liegt damit ein authentisches Dokument vor, das die Verarbeitung von Kriegserfahrungen auf einem außerordentlich differenzierten Niveau selbst- und gesellschaftskritischer Reflexion offenbart:
Heinrich Gerlach entwirft dazu einen komplexen Nexus von handelnden Akteuren auf allen Ebenen des/der militärischen und politischen Systems/Hierarchie. Sich selbst stilisiert er in der Person des Oberleutnants Breuer zu einem sensiblen, von Selbstzweifeln geplagten Nationalsozialisten, der in Leutnant Wiese einen Gegenspieler und ihm freundschaftlich verbundenen Kameraden findet. Im Folgenden gebe ich - ungekürzt - eine Auseinandersetzung der beiden wieder, die sich am Weihnachtsabend 1942 im Kessel von Stalingrad ereignet (Wieses Redeanteile gebe ich im Fettdruck wieder). In ihrer Weitsicht und ihrer radikalen Enttarnung des ideologischen und terroristischen Gewaltcharakters der nationalsozialistischen Akteure sowohl im militärischen wie im gesellschaftlichen Kontext lässt diese Passage keinen Raum für Zweifel und verbietet Demagogen wie Gauland und Höcke jeglichen Versuch, Stolz mit den Taten deutscher Soldaten zu empfinden; Mitleid, Trauer und unbändige Wut mögen aufkommen angesichts der Ereignisse, die in erster Linie eine vollkommen gewissenlose Haltung des OKW offenbart, aber eine ebenso desaströse und menschenverachtende Haltung im Führungsstab der 6. Armee - aber gewiss kein Stolz. Die ganze braune Brut, die sich neuerdings mehr und mehr im Verborgenen wie im öffentlichen Raum tummelt und von der sich ein Gauland, ein Höcke nicht distanzieren, sondern sich zeigen im Schulterschluss, erkläre ich zu Feinden unserer Demokratie - so wie sie es selbst geneigt sind zu tun, Herr Brandner! Letzterer ließ sich nach seiner Absetzung vom Vorsitz des Rechstausschusses im Bundestag vernehmen mit der dümmlich-arroganten-verpissten Aussage: "Ich bin Stolz auf die Absetzung!... Jetzt bin ich von der Kette gelassen!"
Alexander Gauland: Mit Blick auf die NS-Zeit von 1933 bis 1945 fügte Gauland hinzu: „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus. Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“ Heinrich Gerlach lässt Leutnant Wiese in Stalingrad - am Weihnachtsabend 1942 - folgende Einschätzung formulieren: 'Die Folgen dieses verlorenen Krieges werden furchtbar sein. Man wird uns eine schreckliche Schlussrechnung vorlegen. Noch unsere Kinder und Kindeskinder werden daran zahlen...'. Alexander Gauland hat übrigens am 20. Februar 1941 Geburtstag!
Lest, Ihr hirnloses Dreckspack von der AfD und lest erst recht ihr braune Brut am Rande der Gesellschaft - lest alle, damit der letzte Fascho geheilt wird von braunen Phantasien, die in den Enddarm und nicht in den Kopf gehören - das wusste der A.H. übrigens schon selbst. Bei jeder Entleerung auf der Schüssel geriet er in wohlige Verzückung und jubilierte:
"So sitz ich jetzt als Führer hier, die braunen Massen unter mir!"
Da wollt Ihr doch nicht wirklich landen?!?! Aber wenn Ihr Euch im Enddarm des Führers wohlfühlt, dann wisst Ihr zumindest, woher die braune Pigmentierung in Euren Gesichtern rührt.
Die folgende Passage ist entnommen: Heinrich Gerlach: Durchbruch bei Stalingrad - Galiani Berlin 2016, S. 210-217
"Am Nachmittag waren Breuer und Wiese allein in dem Bunker. Sonderführer Fröhlich hatte um Urlaub gebeten, um in einer nahegelegenen Balka Hauptmann Siebel, den 'Ib', zu besuchen, und die Männer machten ihre Festvisiten bei den Kameraden in den benachbarten Erdlöchern. Der Oberleutnant blätterte in den neu angekommenen Zeitungen, Leutnant Wiese las in einem Gedichtbändchen. Von der Decke hing noch der Weihnachtskranz herab, aber der Glanz der Kerzen war erloschen. 'Schön haben Sie gesprochen am Weihnachtsabend, Breuer!' sagte der Leutnant unvermittelt. Er ließ das Buch sinken und sah den Oberleutnant an. 'Wie sind sie eigentlich Nationasozialist geworden?' Breuer blickte befremdet auf. 'Ich meine', erläuterte Wiese, 'wer das Weihnachtsfest richtig zu feiern versteht, kann kein Nationalsozialist sein.' Der Oberleutnant war durch diesen Überfall sichtlich aus der Fassung gebracht. Um Zeit zu gewinnen, zündete er sich erst umständlich eine von den Weihnachtszigarren an, ehe er antwortete. 'Ich verstehe Sie nicht, Wiese!' sagte er dann. 'Was hat der Nationalsozialismus mit dem Weihnachtsfest zu tun? Weihnachten, ja... der ruhende Pol in der Flucht unserer Tage, Einkehr und Selbstbesinnung... Gerade zu Weihnachten werde ich mir immer ganz stark bewusst, wie sehr ich Christ bin - wenn ich auch nicht jeden Sonntag in die Kirche laufe. Das alles ist eine Frage der Religion, der Weltanschauung, hat mit Politik nichts zu tun... Die NSDAP aber ist eine politische Partei. Ich sehe da keine Konfliktmöglichkeiten...' Der Leutnant lächelte unbestimmt, und Breuer sprach schnell und unmutig weiter. 'Ja, wie bin ich eigentlich Nationalsozialist geworden... Als ich nach dem 30. Januar 33 erkannte, dass Hitler nicht nur ein glänzender Propagandist, sondern tatsächlich auch ein Staatsmann von Format war, bin ich eben in die NSDAP eingetreten, so als Märzhase, wissen Sie. Die NSDAP schien mir berufen, uns von den Fesseln des Versailler Diktats zu befreien und das großdeutsche Reich zu schaffen. Das hat sie erreicht, auf unblutigem Wege, Deshalb, sehen Sie, bin ich Nationalsozialist, und ich glaube, ich kann es mit ganzem Herzen sein.' 'Sie sind es nicht mit ganzem Herzen, Breuer', sagte Wiese, den Oberleutnant immer noch mit unangenehmer Aufmerksamkeit betrachtend; 'heute nicht mehr... Der Nationalsozialismus hat sich nie damit zufriedengegeben, eine politische Partei zu sein. Er will eine >Bewegung< sein, eine Weltanschauung, die bis in die verborgensten Tiefen des menschlichen Daseins hineingreift. Sollten Sie das bisher wirklich nicht bemerkt haben, Breuer? Hat man bei Ihnen nie kontrolliert, wo das Hitlerbild hängt; Ihnen nie den Bezug des Parteiblatts >nahegelegt<? Hat man Ihnen nie vorgetragen, Gott sei das Kausalgesetz, und Ihnen den Austritt aus der Kirche dringendst empfohlen? Hat man niemals in den Geist Ihrer Familie, in die Erziehung Ihrer Kinder eingegriffen? Ihnen niemals den Hass gegen andere Völker, den Dünkel von der Überlegenheit der eigenen Rasse einzuflößen versucht, Ihnen nie das Evangelium der nackten Gewalt gepredigt? Mag sein, dass gerade Sie das nicht bemerkt haben, dass Sie bisher glauben konnten, in Ihren Gedanken frei zu sein. So mancher hat gemeint, sich durch die Opferung des Sonntags für den SA-Dienst freikaufen zu können für den Rest seiner Zeit, und hat nicht gemerkt, wie trotzdem das Gift unaufhaltsam in ihn hineinfloss, wie er unmerlich ein anderer wurde.'
Breuer hatte seine Zigarre ausgehen lassen. Er wusste, dass er in seinem Inneren geheime, wohlverschlossene Bereiche voll gefährlichen Zündstoffs trug, aus denen alle Unrast und Unzufriedenheit der letzten Jahre hervorstieg. Und er, der schon erschrak, wenn er seine Gedanken einmal in der Nähe dieser gefährlichen Bezirke ertappte, sah mit wachsendem Entsetzen, wie hier jemand gradewegs mit verhängten Zügeln heraussprengte, um alle Barrieren einzurennen. 'Ich glaube, Sie überspitzen, Wiese', sagte er mit kühl überlegener Missbilligung. 'So schlimm ist das alles doch nicht! In einem mögen Sie vielleicht recht haben: Manches könnte besser sein. Es gibt wilde Männer, die über das Ziel hinausschießen. Die sind so die letzten Eierschalen aus der >Kampfzeit<, Ausnahmen, Einzelfälle...' Mit Unbehagen wurde er sich bewusst, dass vor nicht allzu langer Zeit jemand ihn selbst mit fast den gleichen Worten belehrt hatte. 'Wo Licht ist, ist auch Schatten!' fuhr er fort. 'Aber gerade jetzt wollen wir uns damit nicht belasten. Das schwächt nur die Widerstandskraft... Wir sollten lieber an all das Große denken, das uns der Führer in den wenigen Jahren gebracht hat: ein einiges Volk, ein Reich aller Deutschen, das jedem Arbeit und Brot gibt. Die ganze Welt beneidet uns darum!... Und es ist furchtbar, dass alles aufs Spiel gesetzt wird durch diesen Krieg, den bestimmt kein Deutscher gewollt hat. Entsetzlicher Gedanke, dass dieser Krieg vielleicht nicht mehr gewonnen werden kann, wenn die Sache hier bei Stalingrad schiefgeht.'
'Sie haben recht, Breuer', erwiderte der Leutnant, 'er kann nicht mehr gewonnen werden... und er d a r f nicht gewonnen werden!'
Oberleutnant Breuer richtete sich auf, die Zigarre entfiel seiner Hand. Er fühlte, wie etwas Kaltes nach seinem Herzen griff. 'Darf nicht...? Ich verstehe nicht...', stammelte er. 'Überlegen Sie, was Sie sagen, Mensch! Das... kann doch nicht Ihr Ernst sein!'
'Dieser Krieg darf von Deutschland nicht gewonnen werden!' wiederholte Wiese unerschrocken. 'Wissen Sie, was geschieht, wenn dieser Krieg mit dem von Hitler erstrebten Siege endet?... Dann hat man die unumschränkte Macht. Dann ist niemand mehr da, vor dem man sich verstellen muss. Dann wird die letzte dünne Maske abgeworfen, durch die schon heute die Fratze des Satans grinst! Ich sage Ihnen, dann wird die Welt ein Schauspiel erleben, gegen das die Raserei eines Nero ein Kinderspiel war. Gesetz- und Sittenlosigkeit... Rassezüchtung mit Herdbuchmethoden... Die Vergottung des Starken, Brutalen, die Ausbeutung der Schwachen als oberstes Prinzip! Ganze Völker wird man ausrotten oder zur Sklaverei verdammen, nur weil ihre Haarfarbe nicht blond, ihre Haut nicht weiß ist. Und unser deutsches Volk, das Volk der Dichter und Denker, die Verkörperung von Treue und Rechtlichkeit? Barbaren wird man aus uns machen... eine Bande von räuberischen Bestien, von Schmarotzern und Drohnen! Wir sind ja schon auf dem Weg dazu. Sehen Sie nicht, wie wir alle vertieren durch diesen Krieg, den wir begonnen haben?'
Breuer packte der Zorn, weil er sich der mutigen Logik Wiese nicht gewachsen fühlte. 'Ich kenne Sie gar nicht wieder, Wiese', sagte er schließlich, sich gewaltig zur Ruhe zwingend. 'Diese Ungeheuerlichkeiten aus Ihrem Munde... Das deutsche Volk ist doch schließlich nicht irgendwer! Das deutsche Volk sind Sie und ich und unzählige andere, alles Menschen wie wir... Oder nehmen Sie unseren Dierk! Wieviel anständige Gesinnung, wieviel ehrliche Begeisterung steckt in dem Jungen. Meinen Sie, dass der je für eine schlechte Sache kämpfen könnte? Solche Menschen, das ist Deutschland! Und da soll jemals geschehen können, was Sie da Schreckliches an die Wand malen?... Und glauben Sie etwa, der Führer würde eine solche Entwicklung jemals zulassen? Er hat die Zügel so fest in der Hand wie noch nie einer vor ihm. Er soll die paar Kreaturen, die jede Millionenbewegung an die Oberfläche spült, nicht zur Räson bringen können? Winken Sie nicht ab, Wiese! Auch der Führer ist nur ein Mensch, ich weiß es. Er mag Fehler haben, mag sich in manchem irren. Aber das Leid dieses Krieges wird auch ihn reifer und geläuterter machen, wie es unser ganzes Volk verinnerlichen und läutern wird.'
'Hitler!' lachte der Leutnant bitter auf. 'Das Götzenbild, das die Propaganda errichtet hat und an das sich niemand heranwagt! Sie sehen den Kinderfreund, den warmherzigen Volksredner, der von Liebe zu seinem Volk überfließt. Sehen Sie ihn, wie er in Wahrheit ist! Was sehen Sie dann? Eine einzige Kette abgefeimtesten Betrugs und brutalster Gewalt! Konkordat - gebrochen! Feierliche Garantierung der Rumpfschechei - kurz darauf Einmarsch, Annexion! Flottenvertrag mit England - vertragsbrüchig aufgekündigt! Zehnjähriger Nichtangriffsvertrag mit Polen - gebrochen. Freundschaftsvertrag mit Rußland - schamlos gebrochen! Am 30. Juni 34 hat er seine politischen Gegner ermordet, darunter viele seiner ältesten Mitkämpfer, einfach ermordet, ohne Verfahren, ohne Urteil... Burgfrieden mit der Kirche für Kriegsdauer, groß herausposaunt! Was geschieht? Die KZs und Gefängnisse voll von Geistlichen, die Klöster ausgeplündert, enteignet! Hier lesen Sie, das bekam ich heute früh. Ein Brief von meiner Cousine aus Zibingen, Hildegardiskloster. Innerhalb von zwei Stunden hat man die Klosterfrauen auf die Straße gesetzt, mit kleinem Handgepäck. Alles andere gestohlen, das Kloster eine NS-Schule... Lesen Sie nur, lesen Sie! Das ist Hitler! So kann ihn jeder sehen, der nicht völlig verdummt ist, der nur die Augen aufmacht. Und dieser Mann ist für viele heute schon kein Mensch mehr, sie beten ihn an als einen Gott, als einen zweiten Christus, diesen...'
'Schluss jetzt!', rief Breuer aufspringend. Ihn verließ alle Beherrschung. 'Mäßigen Sie sich! Schimpfen Sie, worauf Sie wollen, aber lassen Sie Hitler aus dem Spiel! Der Führer steht zu hoch, als dass Sie ihn treffen könnten mit Ihrer erbärmlichen Kritik! Ich dulde das nicht, Wiese, verstehen Sie? Ich dulde das nicht!'
Wieses Stimme war wieder ganz ruhig, fast traurig, als er antwortete: 'Empören Sie sich nur, Breuer! Sie tun es ja nur, weil Sie fühlen, dass ich die Wahrheit spreche. Und die muss ich sagen, so wie sie mir gerade hier in den letzten Wochen zur Klarheit gediehen ist. Wir sind nicht mehr in Deutschland, in unserer guten, so bequemen friedlichen Bürgerwelt, wo man sich so schön um unangenehme Erkenntnisse herumdrücken konnte. Wir stehen hier zwischen Tod und Leben. Morgen schon kann es mit uns aus sein. Das verpflichtet zur Wahrheit... Sie sprechen von Hitlers Erfolgen. Sie sind errungen durch Betrug und Verbrechen. Das deutsche Volk ist nicht glücklicher dadurch geworden. Es hat seine Anständigkeit und Ehrlichkeit, seinen guten Namen dabei verloren. Und was waren es denn für Erfolge? Scheinerfolge waren es, Wechsel auf die Zukunft. Heute bezahlen wir die Zeche mit Strömen von Blut und Tränen. Krieg, das war für den Nationalsozialismus der Weisheit letzter Schluss. Dass wir heute hier im Dreck sitzen, das ist das klare und logische Ergebnis nationalsozialistischer Politik und Weltanschauung... Und nicht nur wir, ganz Deutschland sitzt heute schon in einem solchen Todeskessel! Die ganze Welt bekämpft und hasst uns als den schlimmsten Feind der Menschen!'
'Und wenn Sie das sehen', sagte Breuer erschüttert, 'dann können Sie wirklich wünschen, dass Deutschland diesen Krieg verliert?... Nein Wiese, das ist nicht Ihr Ernst.'
'Ich weiß, was Sie sagen wollen', erwiderte der Leutnant. 'Die Folgen dieses verlorenen Krieges werden furchtbar sein. Man wird uns eine schreckliche Schlussrechnung vorlegen. Noch unsere Kinder und Kindeskinder werden daran zahlen... Aber es gibt keinen anderen Ausweg. Nicht ein gewonnener, sondern nur ein verlorener Krieg mit all seinen Folgen wird das Fegefeuer der Läuterung sein für unser Volk. Nur durch diese furchtbarste Erfahrung wird es das Verhängnis eines Irrweges erkennen und wieder zurückfinden zu Treue und Ehrlichkeit. Ich wünsche mit heißem Herzen, dass das deutsche Volk aus der Finsternis dieser Tage seine Seele rettet, und ich sehe nur diesen einen Weg.'
Breuer war von dem tiefen Ernst des Kameraden mehr bewegt, als er sich selbst eingestehen mochte. Schließlich sagte er: 'Wir wollen dieses Gespräch abbrechen, Wiese. Ich weiß, Sie sind ein grundanständiger Kerl. Sie wollen das Beste. Aber was Sie da eben gesagt haben, ist ungeheuerlich... ungeheuerlich für einen Deutschen und mehr noch für einen Offizier! Doch verraten Sie mir noch eines: Wenn das alles ihre feste Überzeugung ist, wie können Sie dann noch den Soldatenrock mit dem Hoheitsabzeichen auf der Brust tragen. Wie bringen Sie es überhaupt noch fertig, in diesem Krieg zu kämpfen?'
Auf dem Gesicht des jungen Offiziers malte sich Bestürzung ab. Er rang um das rechte Wort. 'Das ist die Frage', sagte er, 'die ich mir selbst immer wieder vorlege. Sie haben ganz recht: Ich dürfte in diesem Krieg keine Waffe mehr führen... Aber...' er lächelte gequält, 'wer von uns kann bis ins Letzte konsequent sein? Das Leben verlangt soviel Zugeständnisse von uns... Und sehen Sie, ich glaube an eine göttliche Führung. Das Schicksal hat es bisher gnädig mit mir gemeint. Es ist mir in den letzten drei Kriegsjahren erspart geblieben, auf einen Menschen schießen zu müssen. Und ich bin fest entschlossen, in diesem Krieg niemals gegen einen Menschen die Waffe zu erheben... Und wenn es mein Tod sein sollte... Und nun Schluss mit diesem Gespräch! Das liegt ja alles schon so fern. Wir stehen allein, haben nur uns... Und in dieser Schicksalsgemeinschaft möchte man keinen Freund verlieren. Ich möchte nicht, dass von unserer Unterhaltung irgendein Schatten zwischen uns zurückbleibt... Nicht wahr, Sie sind mir nicht böse?'
Er sah Breuer groß und offen an. Der drückte schweigend die ihm dargebotene Hand. Und dieser Druck war warm und herzlich.