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Maximilian Probst: "Umdenken oder untergehen!"

Ja, Maximilian Probst ist einer, der vor Jahren schon gewarnt hat - Umdenken oder untergehen, Greta macht das schon seit sechs Jahren - ist die überhaupt schon volljährig?

Das Ahrtal und das Erfttal und einige andere Regionen sind untergegangen - die Türkei, Griechenland, Sizilien, Algerien brennen, ein bisschen heftiger als sonst und wir üben uns im Spendenmarathon, und Anna Mayr macht sich in der ZEIT (31/21) ihre Gedanken darüber und ich/wir machen uns Gedanken über Anna Mayr's Gedanken!

Ein gutes Dreivierteljahr später - von 2017/18 aus gesehen - titelt die ZEIT (32/18) "Zukunft im Schwitzkasten". Und Stefan Schmitt meint: "Der heiße Sommer führt uns die Folgen des Klimawandels vor Augen". Dass es im Sinne von Maximilian Probst ums "Umdenken oder Untergehen" geht, wird von Stefan Schmitt nüchtern, schlicht und faktisch unterlegt mit Blick auf einen Sommer, der Ende April mit Hitzewellen begann und weiten Teilen der Nordhalbkugel Extremwetter brachte - Schweden brennt. Um die Alternativlosigkeit der Probstschen Dialektik zu untermauern führt Schmitt fünf Punkte mit dem einleitenden Satz zum Phänomen des Extremwetters auf:

"Was wir längst kennen, ist sein Kontext. Dieser Sommer hat sozusagen einen großen theoretischen Unterbau:

  • Wir wissen, dass die globale Mitteltemperatur seit beginn der Industrialisierung schon um rund ein Grad angestiegen ist.
  • Wir wissen, dass die Erwärmung Hitzewellen häufiger und heftiger macht.
  • Wir wissen, dass der Zusammenhang bei Hitzewellen klarer ist als etwa bei Stürmen und Starkregen.
  • Wir wissen, dass die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell steigen wie im globalen Durchschnitt.
  • Wir wissen, dass von den zehn weltweit wärmsten Jahren seit Beginn der Messungen neun im 21. Jahrhundert liegen. Und die drei allerwärmsten waren 2015, 2016 und 2017...

Was wir in diesem Hitzesommer sehen? Wir sehen die Zukunft."

Das Menetekel lautet also  mit Maximilian Probst umso eindringlicher:

Umdenken oder Untergehen!

 

Touristen mögen keine Touristen - immerhin!

Kleine Vorbemerkung zu der Tatsache, dass Maximilian Probst mit seiner Kritik des tradierten Bildungsbegriffs uns alle meint: Gestern haben wir einen schönen Abend mit Freunden in der Stadt verbracht. Dabei haben uns die Freunde noch einmal auf beeindruckende Weise verdeutlicht, dass sie keine Touristen mögen. Das haben sie mit fast allen Touristen gemeinsam, so dass die nachfolgende Mahnung, lieber Maximilian Probst, selbst wenn man schon Enkelkinder hat,  aller Voraussicht nach ungehört verhallen wird!

Umdenken oder untergehen!

Maximilian Probst wurde 1977 in Hamburg geboren, wo er Philosophie, Geschichte und Germanistik studierte. Danach arbeitete er in Wien für den Passagen Verlag, übersetzte Werke von Paul Virilio, Alain Badiou und Slavoj Žižek. Seit 2011 schreibt er vorwiegend für die ZEIT - so auch in der Ausgabe 44/17 auf der Seite 66: Umdenken oder untergehen – Auf der Suche nach einem neuen Bildungsbegriff!

Jetzt bin ich also seit gut vier Wochen Pensionär. Das Wintersemester 2017/18 hat tatsächlich ohne mich begonnen. Vor mir liegt die Festschrift für Winfried Rösler: Auf dem Weg zur Bildung – Individuelle Bildungsreisen als Horizonterweiterung, erschienen 2016 bei Beltz Juventa (ISBN: 978-3-7799-2287-2).

Die Überschrift zu ihrer Einleitung hatten Silke Allmann und Denise Datzert seinerzeit mit Fragezeichen versehen: Reisen bildet!? Oder: Reisen kann bilden? Ich habe mit meinem Beitrag (S. 182-200) – Wenn einer eine Reise tut… oder: Es könnte so authentisch sein. Aber diese Menschen da vorne! Vom Bildungswert des Reisens – diesen Fragzeichen  Nachdruck verliehen. Und nun kommt ein Journalist daher und mahnt uns:

Umdenken oder untergehen!

Um den unmittelbaren Anknüpfungspunkt mit Robert Schäfer (Tourismus und Authentizität. Zur gesellschaftlichen Organisation von Außeralltäglichkeit, Bielefeld 2015) von vorne herein klar zu markieren: „Zu erklären hat sich heute nicht, wer im Urlaub verreist, sondern wer zuhause bleibt.“ Angesichts der „grundstürzenden Herausforderung unserer Zeit“ tief geläutert und extrem angefressen meint Maximilian Probst:

Da preisen wir den gebildeten, weit gereisten Menschen, dessen Feld die Welt ist, verschweigen aber, dass dieser Mensch zugleich ein Öko-Vandale sondergleichen ist.

Schon vor gut 20 Jahren (München 1996) hat Hartmut von Hentig noch einmal den Versuch unternommen, die Frage zu beantworten, was den Menschen denn eigentlich bildet:

„Stellte mir jemand diese Frage, ich antwortete, ohne zu zögern und mit dem – seltenen – Gefühl, etwas unanfechtbar Richtiges zu sagen: ‚Alles!‘ – Alles, selbst wenn es langweilt oder gleichgültig lässt oder abschreckt. Dann ist dies die bildende Wirkung. ‚Alles‘, weil der Mensch ein – wundersam und abscheulich – plastisches Wesen ist: veränderbar, beeinflussbar, reduzierbar, steigerungsfähig auch gegen seinen Willen, gegen seine Einsicht, gegen seine Natur. Er lässt sich durch geeignete Maßnahmen dazu bringen, Gewichte von zwei Zentnern zu stemmen, mit Hurra in den Tod zu stürmen, sich – auch angesichts einer überwältigenden Lebensmittelfülle – von Körnern oder Salatblättern zu ernähren, sich – unter Qualen – Sonnenbräune zuzulegen wie auch – mit komplizierten Vorsichtsmaßnahmen oder unter Entbehrungen – diese zu vermeiden. Eine einzige Geste eines anderen, in seinem Gemüt gespeichert, kann ihn ein Leben lang mit Eifersucht oder Hass oder Hypochondrie erfüllen, ein einziges Wort ihn mit Sehnsucht oder Heilsgewissheit oder Verblendung schlagen. Der Mensch hat aus diesem Grund als einziges Lebewesen Geschichte. Anders als die übrige Kreatur ist er fast unbegrenzt auf Formung angelegt. Ist diese gewollt, nennt man sie Bildung.“

Die Skepsis überwog und überwiegt bis heute und nach meiner Kenntnis hat bislang niemand so deutlich wie der Journalist Maximilian Probst darauf hingewiesen, dass diese Formung – auch wenn sie gewollt ist – sich hinterfragen lassen muss. Sie muss diese Hinterfragung in einer Unmittelbarkeit und Unvermitteltheit zulassen, deren Menetekel uns in Gestalt von Feuersbrünsten und Dürren gleichermaßen heimsuchen wie in der Gestalt von Orkanen, die von Lothar über Emma bis Kyrill den apokalyptischen Reitern gleichen, die das Land verheeren:

„Da reden wir seit zwei Jahrhunderten von Bildung und meinen Autonomie und Persönlichkeitsentfaltung – was sich aber in dieser Zeit vor allem entfaltet hat, ist eine ökologische Katastrophe, die mit der globalen Erwärmung die Grundlagen aller menschlichen Entfaltung zu bedrohen beginnt.“

Auf elegante Weise vermittelt Maximilian Probst der gegenwärtigen  - eher hohl bis peinlich daher kommenden – Diskussion um einen Digitalpakt einen gehaltvollen, ja geradezu existentiellen Impuls. Er meint, die Digitalisierung selbst könne dem Albtraum einer Steuerungs- und Kontrollfantasie Vorschub leisten – dies ist im Übrigen der vorherrschende Eindruck, der sich innerhalb der Universitäten in einer naiven Technikhörigkeit und einem unangemessenen Machbarkeitswahn bolognahaft bis in das Feintuning  institutioneller Selbstentmachtung durch die Herrschaft der Algorithmen offenbart. Probst setzt hingegen alle Hoffnung auf

„Impulse zu einer positiven, gemeinschaftlichen Selbstverkleinerung des Menschen angesichts der ökologischen Katastrophe“.

Man muss nun an dieser Stelle fragen, wie meint der Maximilian Probst das denn, wenn er von Selbstverkleinerung spricht? Was meint er, wenn er sagt: „Es wird eine Frage der Bildung sein, welchen Weg wir einschlagen? Auch Maximilian Probst drückt sich an dieser Stelle und weicht aus ins Kryptisch-Nebulöse – oder wie sollen wir den Hinweis im Rekurs auf Johann Heinrich Pestalozzi verstehen, dass die Welt im Sinne des Schönen, des Seltenen, der Schonung und des Miteinander genutzt und programmiert werden könne – oder eben nicht! Und was bedeutet es, wenn er fordert, eine „Elementarbildung zur Industrie“ müsste an diesem Punkt ansetzen:

„Sie würde das Bewusstsein schärfen, wann ein Produkt oder Programm als hässlich zu bezeichnen wäre; nämlich wenn es auf Kosten der menschlichen oder mitmenschlichen Mitwelt hergestellt oder eingesetzt wird oder sich gegen sie verschließt.“

Welche Ethik könnte in diesem Sinne verhaltensregulierend wirken? Unmissverständlich bleibt bei Maximilian Probst immerhin, dass wir hier gar nicht mehr die Wahl haben. Er bezieht sich auf Claude Lévi-Strauss, den Autor der Traurigen Tropen. Das Aussterben einer beliebigen Tier- oder Pflanzenart wiege ihm zufolge schwerer als der Verlust sämtlicher Werke von beispielsweise Rembrandt. Gemeinhin urteile man umgekehrt: Die Vernichtung nur eines der Werke des niederländischen Künstlers würde weltweit Trauer auslösen; das Verschwinden des Netz-Peitschenschwanz-Rochens kaum ein Schulterzucken. Das einstweilige Resümee Maximilian Probsts entbehrt – zumindest in meiner Lesart – nicht eines gewissen Zynismus. Er meint diese Feststellung enthalte auch eine gute Nachricht: „Das Bildungswesen hat in den vergangenen zweihundert Jahren den Respekt vor Werken der Kunst weit verbreitet. Die schlechte Nachricht: Man muss befürchten, dass ebenso viel Zeit braucht, die Sensibilität eines Lévi-Strauss für die Umwelt zu verbreiten.“ Probsts vielleicht in der schütteren Hoffnung: „Vielleicht geht es aber auch schneller, sollte es gelingen, die Technologie schöner, smarter und schonender zu gestalten“ ist eigentlich alternativlos! Denn Maximilian Probst meint, die Natur dränge uns in diese Richtung – und zwar Tag für Tag mehr. Was heißt hier schon: "Die Natur drängt." Wir wissen doch, wie scheißegal uns die Natur ist (in aktiver wie in passiever Lesart). Probst sieht immerhin in einem Bewusstseinwandel die künftige Aufgabe von Bildung – mit den Worten des Philosophen Maurizio Lazzarato:

Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit verlangen künstlerische, intellektuelle und ökonomische Arbeit auf der einen, Warenkonsum, Aneignung von Wissen und Schönheitswerte auf der anderen Seite danach, nach der gleichen Ethik reguliert zu werden.“

Mir persönlich bleibt dies alles zu unkonkret und zu schwammig! Also erinnern wir uns noch einmal der zentralen Argumentationslinie, die Maximilian Probst in den Mittelpunkt seiner Sichtweise rückt:

Um 1800 sei es noch eine gelehrte Elite gewesen, die in den Genuss neuer Energieträger und Technologien kam. Um 1900 schon sei das Bildungsideal in einer breiten Koalition aus Oberschicht und Bürgertum verankert worden: „Deren Lebens- und Konsumgewohnheiten stoßen zugleich in ganz neue energieintensive Dimensionen vor, weil sie auf einem globalen Netz von Eisenbahn- und Dampfschifffahrtslinien beruhen.“ Um 1970 – so Probst – seien beide demokratisiert: „Das Programm heißt energieintensiver Lebensstil und Bildung für alle.“

Mein Alter Ego Adrian hat vor geraumer Zeit einmal Peter Sloterdijk (Frankfurt 2004, S. 833-838) zu den Folgen dieser Demokratisierung befragt. Hier ist die Rede von touristischer Laune und kinetischer Verschwendung:(siehe: Vorsicht, da kommen Touristen!)

Adrian:   Sehr geehrter Herr Sloterdijk, Sie deuten den Begriff der Freizeit in seinem klischeehaften alltäglichen Gebrauch etwas tiefschürfiger und bringen ihn zusammen mit dem, was Sie Mobilitätsluxus nennen. Sie unterstellen, dass sich dahinter ein folgenschwerer, nicht leicht zu überblickender Tatbestand verberge.

Sloterdijk: Ja, ich deute ihn als eine Explosion von Selbstaufmerksamkeit. Ihre unmittelbare Konsequenz ist die allgemeine Unterwerfung des Lebens unter die Alternative von Langeweile oder Unterhaltung.

Adrian:  Können Sie uns einmal eine Vorstellung davon vermitteln, welche Ausmaße diese Explosion inzwischen angenommen hat?

Sloterdijk: Die jüngste Ausweitung der für die Selbstaufmerksamkeit (und ihre massenhafte Vernichtung durch Unterhaltung) freigegebenen Phasen ist auch numerisch eindrucksvoll. Ziehen wir von den 8760 Stunden, die ein Jahr ausmachen, täglich 8 Stunden Schlafzeit sowie das Jahresarbeitspensum von 1700 Stunden ab, bleibt für die Bewohner der Superinstallation ein mittleres Jahresguthaben von 4140 disponiblen wachen Stunden zurück. Wenn hiervon auch ein Gutteil durch Routineakte alltäglicher Selbst- und Familiensorge und Fahrten zum Arbeitsplatz aufgesogen wird, ergibt sich für die meisten Zeitgenossen noch ein Restguthaben an selbstbezüglicher Zeit weit über allen historisch bekannten Zuständen.

Adrian: Sie sprechen im Folgenden von vielfältigen Luxusdimensionen, die inzwischen fest zum Bild der Existenz in der Superinstallation – ich übersetze das hier einmal im weitesten Sinne mit Wohlstandsgesellschaft – gehören. Und Ihnen fällt an allererster Stelle „ein enormer Grad an Mobilitätsluxus“ auf.

Sloterdijk: Ja, fast jedes zeitgenössische Leben hat in einem unbekannten Ausmaß an der Transportmacht Anteil. Die modernen Körper definieren sich – neben ihrer auto-operablen-Verfasstheit – durch ihre Fähigkeit, Entfernungen zu überwinden und willkürliche Bewegungen auszuführen. Dies geht soweit, dass der Begriff Freiheit heute nicht mehr ohne den Bezug auf das Recht zur kinetischen Verschwendung und die touristische Laune definiert werden kann.

Adrian: Höre ich da etwa kritische Untertöne heraus? Wie ist das gemeint: kinetische Verschwendungtouristische Laune?

Sloterdijk: Der Umfang des kinetischen Luxus erhellt unter anderem aus dem verkehrssoziologischen Befund, dass zwei von drei motorisierten Verkehrsbewegungen an nicht-ökonomische und nicht-berufliche Zwecke gebunden ist; je bouge, donc je suis.

Adrian: Mischen sich in dem, was Sie kinetische Verschwendung oder touristische Laune nennen, Aspekte, die sowohl den Bildungswert als auch die Bildungsnot des Reisens offenbaren -  ich meine das durchaus auch im Hinblick auf die Motive, die die Mobilitäts-Akteure bewegen oder meinetwegen umtreiben, in dem von Ihnen angedeuteten Habitus: Ich bewege mich, also bin ich.

Sloterdijk:  Eine Kritik der reinen Evasion ist noch zu schreiben.

Adrian: „Reine Evasion“? In Dresden gibt es einen exklusiven Reiseveranstalter der nennt sich: L’EVASION TOURS – wo lassen sich heute noch kritische Momente ausmachen im Hinblick auf Mobilitätsbedürfnisse und -zwänge?

Sloterdijk: Ja, es ist zunächst eine reine Feststellung, dass das Lebensmeilen-Konto eines durchschnittlichen Arbeiters oder Angestellten in den automobilistisch und touristisch aktiven Kernländern des Wohlstandssystems [schon] um das Jahr 2000 die Bilanz der leisure class des 18. und 19. Jahrhunderts um ein Vielfaches übertrifft, selbst wenn diese dem exquisiten Sport des Globetrotters oblag.

Adrian:  Und wo führt das hin?

Sloterdijk:   Rechnet man die gängigen ergotopischen Praktiken hinzu, die in Form von zahllosen Sportarten, physischen Übungen und Gymnastiken, Tänzen, Aufzügen und Bewegungstherapien ausgeübt werden, so bietet sich der Anblick einer Zivilisation, die in einem gefühlten kinetischen Luxus ohne Vorbild vibriert.

Adrian: Good or bad vibrations?

Ja auch mir drängt sich mit Adrian diese Frage auf. Im Sinne von Maximilian Probst erlaube ich mit noch eine weitere kleine Fundstelle hier einzubringen, indem ich Adrian bitte Lea Schwer[1] das Wort zu geben, weil bei einer zufallsgenerierten Internetrecherche im Zusammenhang mit der von ihr verantworteten Website immer wieder die Rede von Nachhaltigkeit und Ökotourismus ist.

Adrian: Also, meine liebe Lea Schwer, was können Sie uns zum Phänomen des Massentourismus in möglichst kompakter Form erzählen?

Lea Schwer: Massentourismus bezeichnet das gehäufte Auftreten von Touristen an einem Reiseziel. Die negativen Auswirkungen des Massentourismus auf das Reiseland überwiegen die positiven. Oftmals hinterlässt die große Masse an Touristen sozial, ökologisch und wirtschaftlich problematische Spuren. Der Massentourismus entwickelte sich in den 60er Jahre, als die Ausweitung des Reisewesens begann. Heutzutage begeben sich weltweit jährlich rund 700 Millionen Menschen auf eine Auslandreise. Dies hat Folgen für die Umwelt und Menschen der Reisedestinationen. Im ökologischen Bereich wirkt sich der Massentourismus bereits bei der Anreise negativ aus. Meist reisen die Touristen mit dem Flugzeug in die Ferien. Der Energieverbrauch und der Ausstoß an C02 sind enorm. Bei einer Reise von Europa zum Äquator verbraucht ein Fluggast so viel Energie, wie ein durchschnittlicher Autofahrer in sieben Monaten verfährt. Am Reiseziel angekommen, führt die hohe Zahl an Touristen zu einem hohen Landverbrauch vor Ort. Für Unterkunftszwecke werden Landschaftsteile mit großen Hotelkomplexen zugebaut. Aber auch Infrastrukturen, welche für touristische Aktivitäten errichtet werden, schaden der Natur. Beispielsweise führt der Bau von Skipisten zu einer Versiegelung des Bodens. Positiv zu erwähnen ist, dass der Tourismus eine wichtige Rolle bei der Errichtung und für den Erhalt von Naturschutzgebieten spielt. Zielländer müssen, um als Urlaubsdestination attraktiv zu bleiben, landschaftliche Schönheiten schützen. Touristen finanzieren mit ihrem Besuch das Naturschutzgebiet mit. Die sozialen, negativen Aspekte des Massentourismus sind divers. Für die einheimische Bevölkerung ist die Belastung groß, wenn die Lebensstandards der Touristen und der Einheimischen weit auseinander gehen. Es kommt zu einem Anstieg an Kriminalität, Betteln, Prostitution und der Kommerzialisierung von Gastfreundlichkeit. Übersteigt die Anzahl Touristen diejenige der Einheimischen, fühlt sich die lokale Bevölkerung als Konsumgut, es kommen Gefühle der Fremdbestimmung und Unterlegenheit auf. Zudem kann es zu einer Akkulturation kommen, wobei die regionale Kultur mit ihren Traditionen Gefahr läuft, verloren zu gehen. Wiederum kann der Tourismus auch positive, soziale Effekte haben. Um eine ansprechende Reisedestination zu sein, wird auf die Erhaltung des kulturellen Erbes, der Traditionen und der Baudenkmäler geachtet. Vom Massentourismus profitiert finanziell nicht, wie vielmals angenommen, auch automatisch die lokale Bevölkerung. Meist werden die Hotelangestellten schlecht bezahlt. Nur ein kleiner Teil des Preises einer Arrangement-Reise wird für die Bezahlung der Angestellten genutzt. Negative ökonomische Effekte für die Einheimischen durch den Massentourismus sind zudem die Gefahr einer Preissteigerung der Lebensunterhaltskosten und die große Abhängigkeit vom Tourismus.

Was muss sich denn nun mit Blick auf einen Bildungsbegriff, der im Sinne von Maximilian Probst dem künftigen Verständnis eines Gebildeten entspricht, verändern? Erste Überlegungen und Anregungen:

  • Der Kurzschluss – besser die Idee –, dass Reisen bildet, dass willkürliche, hedonistisch motivierte kinetische Verschwendung – unseren Horizont auf erträgliche und zuträgliche Weise erweitert, ist aufzugeben bzw. zumindest zeitgemäß und sachzwanglich zu modifizieren.
  • Wir müssen Konzepte und handlungsregulierende Strategien entwickeln, die die Idee Maximilan Probsts zu einer gemeinschaftlichen Selbstverkleinerung des Menschen anstreben und umsetzen. Wenn dies nicht gelingt, sind zumindest die Kosten für eine massenhafte kinetische Verschwendung endlich auch einzupreisen (Ausgleichsabgaben für's Reisen)!
  • Die beispielsweise von Lea Schwer weiter oben zusammengestellten Aspekte sind als Hintergrundrauschen für touristische Launen scharf zu stellen und sind insofern grundsätzlich zu bedenken bei allen kinetischen Verschwendungsneigungen, die rein hedonistisch motiviert sind. Explizit ausgewiesene Ausgleichsabgaben für's Reisen (per Flugzeug, Automobil und Bahn gestaffelt) sowie für die Gewährleistung von Nachhaltigkeitserfordernissen schärfen das Bewusstsein und schmälern den Geldbeutel!
  • Der Mensch muss lernen, seine eigene Freiheit zu begrenzen. Dies bedeutet für die übergroße Zahl der zur Freiheit Befähigten und Begüterten eine zumutbare Zumutung! Diese Zumutung ist ins Verhältnis zu setzen zu touristischen Launen und den durch kinetische Verschwendung ausgelösten Folgekosten - und zwar ganz konkret mit Blick auf unsere Kinder und Kindeskinder. Vor ihnen ist ein individualistischer Lebensstil mit allen (generationsübergreifenden) Folgekosten zu rechtfertigen.
  • Hierbei ist in Rechnung zu stellen, dass ein individualistisch begründeter Freiheitsbegriff radikal in Widerspruch tritt zu den Erfordernissen einer ökologisch begründeten Verhaltensethik. Damit ist vor allem auch die Bewegung im Raum gemeint! Kinetischer Verschwendung ist künftig auf die gleiche Weise (per Gesetz und Verordnung) zu begegnen, wie es beispielsweise das Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung Erneuerbarer Energien bei der Erstellung und Sanierung von Gebäuden regelt.
  • Der Selbstbezug des Menschen ist nicht zu denken ohne den selbstreferentiellen Bezug aller Systeme, ob sie nun biologisch, psychologisch oder soziologisch verankert sind. Denn im Hinblichk auf die systemischen Wechselwirkungen unseres Handelns stellen wir mit Maximilan Probst fest:

“Nun scheinen uns aber heute diese Gelassenheit und Distanziertheit des Blicks auf die Welt und die schöne Autonomie, die uns die Bildung beschert hat, zum Problem zu werden. Der Klimawandel ist die schallende Ohrfeige, die uns die Natur in unser gelassenes, bildungsblasiertes Gesicht schmettert.”

Man mag ergänzen, es ist nicht nur eine Ohrfeige, sondern es ist schlicht die Guillotine, die über unseren Häuptern schwebt, denn – wie Maximilian Probst so überzeugend darlegt:

All das menschliche Tun, das über zwei Jahrhunderte folgenlos erschien, all das Verfeuern von Kohle und Öl zeitigt nun Wirkungen, mit denen niemand gerechnet hat: Die Natur feuert zurück. Mit Dürren, Wirbelstürmen, Überschwemmungen.

Wir waren nie von ihr – der Natur – getrennt!

 

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© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund