Orte
Ich heiße Josef (neben Franz),
und bin der Enkel
einer deutschen Eiche:
Josef -
stark und breit,
sanft und gewogen,
leicht gebeugt
- ein Kraftwerk.
In Deinem Haus
- keine Bilder, keine Bücher,
da hingen keine Gainsbouroughs
der Volksempfänger bis zuletzt!
Und doch:
Jede Sekunde gelebten Lebens
respektvoll:
Du trugst uns (Enkel)Kinder auf Händen
- alle!
Und herausgeschnitzt
(auch diese) Linie(n)
- erzählten Lebens:
Der Eigensinn, die Unvernunft -
da spürte schon mal ein brauner Uniformträger,
wie rotes Blut und brauner Boden schmeckt!
Nein!
Über Politik und Geschichte wurde wenig gesprochen.
Masuren 1914 -
steckte in Deiner Seele –
und
Eisen
als lebenslange Depotgabe
in Deinem Körper.
Warst kein Schweijk,
und kein
Jünger der Stahlgewitter.
Merkwürdig konstruierte Intuition,
assimilierte Facetten jiddischer „Kultur“ -
Ja, ja!
Gelernt hast Du das Schächten
(dein Werkzeug liegt jetzt in meinen Händen).
Metzger wolltest du werden -
und warst früh schon geschätzter Experte,
wenn es die
Gottschalks,
die Oppenheimers,
die Wolffs
und Lichtendorffs
koscher haben wollten.
Merkwürdige Synchronizität:
Die Mischpoke ist Dir abhanden gekommen –
wolltest Du jemals wissen wie?
Alles Millionäre in Amerika!?
Und Du?
Ohne Profession!
Verlust bei Verlust.
Stiller Gewinner die Stadt:
Zumal die untersten Chargen
- die städtischen Arbeitskolonnen -
besetzt mit Spitzenkräften.
Für mich warst du
der immer schon alte, starke Mann:
Im Schiefer der Weinberge;
als Führer
zu den mythischen Orten der Kindheit,
wo die Maiglöckchen (noch heute) blühen.
In den lehmigen Gruben,
stiller Bereiter der letzten Wege,
wo selbst Du deine Grenzen erfuhrst,
wenn jemand im Tod noch auf Wanderschaft musste.
Dann wieder ein Ort
- im städtischen Schwimmbad -
wo Leben quirlt und sprüht!
Lebendige Kindheit
- Salz und Sonne auf unserer Haut!
Geheimnisvoll aber,
mythisch,
dionysisch
und gewaltig jener Ort.
Die Hallen,
in denen
Anfang und Ende zusammenfließen:
Wir lebten am Rande,
der letzten Bastion zivilisierten Lebens.
Von dort 3000 Meter
wildes Land:
Zuerst die Abraumhalden der Stadt
- Schutt!
In der anderen Welt,
jenseits der Ahr,
gesäumt von Alleen immer blühender Kastanien
die in den Hades übergehenden Prozessionen,
wo Staub kommt zu Staub.
Auf unserer Seite die Niederungen,
Sumpf- und Schwemmgebiet,
worin sich alle Urgewalt verläuft:
Hier duckt sich der Ort,
hinter Haselnüssen und Hainbuchen,
ein Bunker,
flach
und bestimmt von Diagonalen
- sanft ansteigende Schrägen.
Zuerst lockt eine Stube,
verwinkelter, tetraedischer Kubus,
kristalliner Raum einer ganzen Welt:
Der Körper spürt wohlige Ewigkeitswärme -
fossiles Urfeuer im Kanonenrohr;
die Augen gehen über.
Im Restlicht erscheint das Panoptikum (D)einer Zeit:
An den Wänden das illustrierte Feuerwerk
der formierten Gesellschaft:
Beauties und Katastrophen,
Abziehbilder medial markierten Raums.
Ein fernes, geheimnisvolles Rauschen liegt über Allem.
Dünn und vernehmlich,
bedrohlich,
aber (noch) gebannt
im Kreis der alten Männer:
Schwerer Moschus
aus Tabak, Manschester -
sinfonische Höhepunkte,
wenn Bohnen und Speck,
Schweinebraten und Kohl,
Wirsing und Gulasch
Geruchsnischen besetzen,
wie Flaschengeister jenem Kessel entsteigen,
der die Kleinode unserer Küche bewahrt;
und doch nichts als Irrlichter im olfaktorischen Inferno.
Von Zeit zu Zeit
- in der rush hour kollektiver Biorhythmen alle Stunde -
verlässt Du die Stube.
Dann ergreife ich Deine Hand
selig geborgen,
gerade genug,
um standzuhalten!
Denn wir treten ein in den Bannkreis der düsteren Hallen,
anschwellendes Rauschen,
noch wie fernes Trommelfeuer vor dem Sturm.
Welche Schätze lagern hinter metallenen Toren
an des Wächters Hand -
vor dem Allerheiligsten?