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Hildes Geschichte - Der Himmel mitten in der Hölle

Mittags gegen 13.00 Uhr des 18. März 1942 näherte sich Franz Flammersfeld. Er war gefasst und sehr gut vorbereitet. Mit Hildes Mutter hatte er vereinbart, wenigstens zwei Stunden mit Hilde allein sein zu können. Als die beiden aus dem Auto stiegen, erwartete sie Hilde schon vor dem Haus. Aufgelöst in Tränen fiel sie zuerst ihrer Mutter in die Arme, die sich ihrerseits der Tränen nicht zu erwehren vermochte. Franz hingegen strahlte. Er nahm seine Hilde in die Arme, und es gelang ihm, sein Hildchen ein wenig zu beruhigen. Die Mutter ermunterte Hilde und entließ die beiden nicht ohne die Ermahnung zeitig – spätestens in zwei Stunden – zurück zu sein. Sie wolle sich in Ruhe das Heim ansehen und noch das ein andere Gespräch führen.

Hilde, die vor Aufregung immer noch zitterte, registrierte verwundert die offene, wohlwollende Haltung der Mutter und überließ sich von nun an ganz der Führung Franzens. Flammersfeld war als Luftkurort auf Touristen eingestellt. Die Flammersfelder selbst hatten sich längst an das NSV-Heim gewöhnt. Und für sie gehörte es fortan zum alltäglichen Ortsbild, dass hochschwangere junge Frauen nicht selten in Begleitung uniformierter Männer zu sehen waren.

Franz, der bei der Einfahrt bereits den „Westerwälder Hof“ entdeckt hatte, schlug Hilde vor, dort etwas zu essen. Es sah nach Regen aus und es war kalt an diesem 18. März. Franz sorgte sich um Hilde und wollte sie keiner Anstrengung und auch keinem schlechten Wetter aussetzen. Sie gingen die 200 m bis zum Hotel und der angeschlossenen Gaststätte. In großen Schankraum fanden sie, weit weg von der Theke eine Nische, in der man – recht abgeschottet vom Rest der Gäste – sitzen konnte. An diesem Mittwoch-Mittag war allerdings am anderen Ende des Raumes erst ein Tisch besetzt.

Franz nahm, nachdem er Kaffee und das Mittagsmenü bestellt hatte, Hilde in den Arm und hielt sie lange fest, bis sie langsam aufhörte zu zittern. Er nahm ihr alle Unsicherheit. Länger als sechs Monate hatten sich beide nicht gesehen. Hilde hatte sofort das Gefühl, dass sich nichts verändert hatte, dass alle Erwartungen und alle Hoffnungen, die sie brieflich ausgetauscht hatten, sich nunmehr erfüllen sollten.

Franz war zehn Jahre älter als Hilde, seit mehr als drei Jahren an der Front. Er war verheiratet und hatte einen Sohn. Franz hatte sich dazu entschlossen, all dies an diesem Tag nicht anzusprechen, sondern es mit einem radikalen Tabu zu belegen. Hilde war fast im 7. Monat, ihre Niederkunft wurde für Anfang Juni erwartet. Auch er wollte dieses Kind. Er liebte Hilde. Was die nächsten Monate bringen würden, war völlig unklar. Aber er würde kein Jota abrücken von der Strategie, Hilde zu stützen und zu schützen, sie seiner Liebe zu versichern, ihr zu versprechen, dass er wiederkomme. Alles andere würde sich ergeben und fügen. Jetzt war er hier und alles war daran zu setzen, Hilde zu stärken. Innerhalb einer Stunde hatte dieser kalte, regnerische Märztag für Hilde ein Strahlen und eine Wärme bekommen, die sie weit ins Frühjahr und in den Sommer hinein begleiten würden. Franz versprach, im Juni zu kommen. Die Auffrischung der Division mit jungen Rekruten und neuen Panzern werde es ihm ermöglichen, sein Kind in die Arme zu schließen.

All dies vermittelte Franz Hilde mit einer solchen Überzeugungskraft und der Unwiderstehlichkeit seines Siegerlachens, dass die trübe Welt in ein helles, warmes Licht getaucht wurde. Hilde erblühte unter zarten, scheuen Küssen. Sie bedeuteten Glückseligkeit und Verheißung, während Franz der jungen, vollen und strahlenden Frau auch gerne mehr gegeben hätte. So berührte er nur zart, wohlwollend und lachend Hildes Brust, deren er sich so oft in den einsamen, kalten Nächten erinnerte. Sanft wog er sie in seinen Händen, und Hilde ließ es verschämt geschehen, indem sie sich nah an Franz drängte und ihn abwechselnd küsste und anstrahlte.

„Wenn es ein Mädchen wird, dann soll sie Ursula heißen!“, sagte Franz, indem er Hildes Gesicht in beide Hände nahm, ihr zart übers Haar strich – und wenn es ein Junge wird, dann überlegen wir; schreib mir bitte, sooft du kannst und willst.

In Rußland kommen wir hoffentlich in diesem Jahr an ein Ende. Urs ist ja auch ein schöner Name – dann in Erinnerung an den russischen Bären, dem wir nun das Fell über die Ohren ziehen werden.“ Hilde sagte nicht viel, vielmehr strahlte sie Franz an und war entsetzt, als er die Kellnerin zu sich rief, um zu zahlen. „Schau nicht wie ein trächtiges Kalb, wir sind schon länger als zwei Stunden hier, deine Mutter wird böse sein, wenn wir nicht in den nächsten 10 Minuten zurück sind.

Die Mutter hatte sich inzwischen das Haus zeigen lassen, eine heiße Brühe zu sich genommen und lange mit der Hebamme gesprochen. Sie war sich sicher, dass für das leibliche Wohl und die Niederkunft Hildes alles nur Erdenkliche getan würde. Sie würde mit einem Gefühl der Zufriedenheit und Beruhigung nach Hause fahren. Ihre Irritationen aufgrund der merkwürdigen Verquickung von Religion und Politik hingegen – wie schon in der von Hilde vermerkten Position des Deutschen Frauenwerks – ließen sich nicht wirklich ausräumen. Neben der Eingangstüre zum Wickelzimmer hing ein „Kindergebet“, dass sie nicht in ihr zutiefst christlich geprägtes Weltbild einzuordnen vermochte:

 

„Herr Gott, gib unserem Führer Kraft,

der Arbeit, Brot und Frieden schafft,

Gib unserem Volke reinen Willen,

Das, was er fordert, zu erfüllen.

Denn Du hast ihn ja selbst gesandt

Zur Rettung dem bedrückten Land.“

 

Eine Hoffnung und eine Zuversicht braucht der Mensch – zumal in schwierigen Zeiten. Franz hatte das Programm für die nächsten Monate geschrieben und alle fanden ihre Rolle.

Hilde fühlte ihre Kräfte verdoppelt, wenn nicht gar vervielfacht. Die Mutter wusste Hilde geschützt und gut aufgehoben, und auch ihren Josef würde sie auf den rechten Weg bringen.

Franz hingegen hatte gelernt in Parallelwelten zu leben. Kein Mensch an der Heimatfront konnte jemals begreifen und würde auch nie wirklich erfahren, was in Rußland geschah. Dass er eine Familie in Mistelbach/Österreich hatte, und dass er im Begriff war Vater zu werden – 1000 km weiter nordwestlich von dort, das war halt so. Und es war nicht so, weil er es dem Himmler und dem Heß zeigen wollte. Es war ja eben erst ein halbes Jahr bzw. 3 Monate her, dass die beiden den SS-Angehörigen einen Freibrief für außereheliche Zeugungen ausdrücklich ausgesprochen hatten. Wortwörtlich war da die Rede davon, dass nur der ruhig sterben könne, der wisse, seine Sippe und sein Volk finde in den Söhnen und Töchtern ihre Fortsetzung. Und dass er sterben könnte, war eher wahrscheinlich als die umgekehrte Annahme. Er würde zur gegebenen Zeit die unabwendbaren Entscheidungen treffen, im „Einklang mit der Vorsehung“ – er würde dann schon wissen, was zu tun wäre.Buch Jupp   Hildes Geschichte   final 2 page313 image208

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