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Carl Schmitt und Immanuel Kant:


Sie haben es also getan!


Hinweise zur Bedeutung Carl Schmitts und Immanuel Kants mit Blick auf die gegenwärtige politische Weltlage - unter Zuhilfenahme von Thomas Assheuer

Sie haben es also getan! Völkerrecht hin – Völkerrecht her! Vor mehr als 90 Jahren hat einer der prominentesten Juristen seiner Zeit die Blaupause geschrieben. Wenn wir die schlichte Logik der Vorgehensweise Putins, Netanyahus oder Trumps auf ebenso schlichte wie frappierende Weise verstehen wollen, dann sollte man Carl Schmitt noch einmal lesen: Der Begriff des Politischen, 7. Auflage, Berlin 2002 (auf diese Ausgabe beziehen sich alle folgenden Seitenangaben) – aber nicht ohne Immanuel Kant im Hinterkopf zu behalten:

Vorbemerkung mit Blick auf demokratisch sozialisierte und geerdete Verfechter eines an Immanuel Kant orientierten, vertragsbasierten Miteinanders der Völker. Ihnen ruft Carl Schmitt folgende Ausgangsthese zu:

Ob man es aber für verwerflich halte oder nicht – so Schmitt weiter – und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin finde, dass die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppierten, oder hoffe, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, und ob man es vielleicht für gut und richtig halte, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, dass es überhaupt keine Feinde mehr gebe - all das kann für Politiker (und Ideologen), die im Sinne Carl Schmitts vorgehen, nicht in Betracht kommen! (siehe Seite 28)

Vielmehr:

Nachdem das erste Viertel des 21. Jahrhunderts nahezu verstrichen ist, finden die Beschreibungen Carl Schmitts eine beklemmende Aktualität. Mit Blick auf die Legitimation der Vorgehensweise Israels gegen den Iran erscheint es schon verblüffend, wie die Verhinderung von Krieg durch Krieg im Sinne eines Präventivschlags nicht nur Gestalt annimmt, sondern das Handeln Israels (und mit dem heutigen Tag, dem 22. Juni 2025, auch der Vereinigten Staaten von Amerika) bestimmt. Carl Schmitt schreibt:

„Ist der Wille, den Krieg zu verhindern, so stark, daß er den Krieg selbst nicht mehr scheut, so ist er eben ein politisches Motiv geworden, d. h. er bejaht, wenn auch nur als extreme Eventualität, den Krieg und sogar den Sinn des Krieges. Gegenwärtig erscheint das eine besonders aussichtsreiche Art der Rechtfertigung von Kriegen  zu sein. Der Krieg spielt sich dann in der Form des jeweils >endgültig letzten Krieges der Menschheit< ab. Solche Kriege sind notwendigerweise besonders intensive und unmenschliche Kriege, weil sie, über das Politische hinausgehend, den Feind gleichzeitig in moralischen und anderen Kategorien herabsetzen und zum unmenschlichen Scheusal machen müssen, das nicht nur abgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden muß, also nicht mehr nur ein in seine Grenzen zurückzuweisender Feind ist. An der Möglichkeit solcher Kriege zeigt sich aber besonders deutlich, daß der Krieg als reale Möglichkeit heute noch vorhanden ist, worauf es für die Unterscheidung von Freund und Feind und für die Erkenntnis des Politischen allein ankommt.“ (S. 37)

Carl Schmitt betont in differenzierender Absicht, dass man das Wort Feind – ebenso wie das Wort Kampf – im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen habe:

Es bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den >rein geistigen< Kampf der Diskussion, nicht das symbolische >Ringen<, das schließlich jeder Mensch irgendwie immer vollführt, weil nun einmal das ganze menschliche Leben ein >Kampf< und jeder Mensch ein >Kämpfer< ist. Die Begriffe FreundFeind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist die seinsmäßige Negierung eines anderen Seins. Krieg ist nur die äußerste Realisierung der Feindschaft. Er braucht nichts Alltägliches, nichts Normales zu sein, auch nicht als etwas Ideales oder Wünschenswertes empfunden werden, wohl aber muß er als reale Möglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat.“ (Seite 33, Hervorhebung FJWR)

Wenn wir der Frage nachgehen, ob Carl Schmitt mit seiner Analyse nur wissenschaftlich ambitionierter, neutraler Beobachter ist, oder gleichermaßen politischer Akteur, der die seinsmäßige Wirklichkeit nicht nur beschreibt, sondern ihr Handlungsnotwendigkeiten abnötigt, hilft folgende Einlassung zur Freund-Feind-Unterscheidung:

„Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren. Das Politische liegt nicht im Kampf selbst, der wiederum seine technischen, psychologischen und militärischen Gesetze hat (wenn es zum Beispiel um bunkerbrechende Bomben geht), sondern, wie gesagt, in einem von dieser realen Möglichkeit bestimmten Verhalten, in der klaren Erkenntnis der eigenen, dadurch bestimmten Situation und in der Aufgabe, Freund und Feind richtig zu unterscheiden.“ (S. 37)

Carl Schmitt geht nun noch einen entscheidenden Schritt weiter, indem er alle völkerrechtlichen – überhaupt alle rechtlichen Bedenken suspendiert, so wie er den dann in der Herrschaft der Nazis beobachtbaren staatlichen Terror gegen jede neutrale, unabhängige Gerichtsbarkeit abgeschottet hat (Der Führer schützt das Recht):

„Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier nämlich nur durch das existenzielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben. Den extremen Konfliktfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.“ (S. 27)

Während Donald Trump zuletzt genau dies immer betont hat, dass nämlich die Kontrahenten – in diesem Fall Israel und der Iran – selbst entscheiden müssen, wie weit sie gehen, sind die Vereinigten Staaten von Amerika nun Partei geworden!

Wir benötigen noch eine Nachbemerkung hinsichtlich der Immunisierung gegenüber Interventionen, wie wir sie (löblicherweise) vom Generalsekretär der Vereinten Nationen gewohnt sind:

Nachbemerkung zum zeitlos ewigen Feind: Wir beobachten (auch gegenwärtig unleugbar), wie Appelle – seien es päpstliche oder die des UN-Generalsekretärs – vollkommen ohne Resonanz bleiben; zumindest bei jenen, die sich folgenden Hinweis Carl Schmitts zu Eigen machen:

„Wer mit einem absoluten Feind kämpft – sei dieser Klassen- oder Rassen- oder zeitlos ewiger Feind – interessiert sich ohnedies nicht für unsere Bemühungen um das Kriterium des Politischen; im Gegenteil, er sieht darin eine Gefährdung seiner unmittelbaren Kampfkraft, Schwächung durch Reflexion, Hamletisierung und eine verdächtige Relativierung […]. Umgekehrt machen die verharmlosenden Neutralisierungen den Feind zum bloßen Partner (eines Konflikts oder Spiels) und verdammen unsere Erkenntnis einer handgreiflichen Wirklichkeit als Kriegshetze, Machiavellismus, Manichäismus und – heutzutage unvermeidlich – Nihilismus.“ (S. 118)

Besonders fatal wirkt diese Immunisierung vor allem mit Blick auf den inneren Feind – Wladimir Putin ist hier der Schrittmacher (von Prigoschin bis Nawalny), angeleitet von den Mullahs im Iran. Donald Trump möchte im Sinne Carl Schmitts hier aufschließen, indem er zeigt, wer über den Ausnahmezustand befindet (siehe .

Carl Schmitt geht es offenkundig um die ontologische Fundamentalzementierung seiner Wesensunterscheidung von Freund und Feind mit drastischen Folgen für eine gesellschaftliche Ordnung und die Bemühungen um eine völkerrechtliche Ausrichtung im Konflikt- und Deeskalationsmanagment:

„Entfällt (nämlich) diese Unterscheidung, so entfällt das politische Leben überhaupt. Es steht einem politisch existierenden Volk keineswegs frei, durch beschwörende Proklamationen dieser schicksalhaften Unterscheidung zu entgehen. Erklärt ein Teil eines Volkes, keinen Feind mehr zu kennen, so stellt er sich nach Lage der Sache auf die Seite der Feinde und hilft ihnen, aber die Unterscheidung von Freund und Feind ist damit nicht aufgehoben.“ (S. 52)

Vielleicht hält die älteste Demokratie der Neuzeit hier Stand. Genau dies bleibt zu hoffen, um mit Immanuel Kant auf ein vertragsbasiertes Miteinander zu hoffen:

Was nun, Herr Kant?

fragte Thomas Assheuer schon 2015- ZEIT 49/15 (S. 49)

Wie konnte jemand so kühn denken? Was Immanuel Kant (1724-1804) wohl tatsächlich zum Giganten macht, bringt Thomas Assheuer mit der Feststellung auf den Punkt, dass Kant für eine kopernikanische Wende in der Erkenntnistheorie stehe:

"Er war davon überzeugt, dass Philosophen, die ausschließlich nach dem 'Ding an sich' suchen, keine Erkenntnis gewinnen. Statt immer nur die Gegenstände anzustarren, täten sie besser daran, sich mit dem Menschen zu beschäftigen, mit seinen Erkenntnisarten und seinem Wahrnehmungsapparat."

Thomas Assheuer meint, auf diese Weise habe Kant seine Zeitgenossen provoziert. Aber bis heute begegnen wir durchgängig einer Haltung, in der Menschen ihre Weltbilder distanzlos bewohnen; Weltbilder erster Ordnung, die das Ding an sich zur Prämisse haben, die auf absoluten Wahrheitsansprüchen und Letztbegründungen fußen. So bleibt auch Niklas Luhmann ein einsamer Rufer in der Wüste und die Luhmannsche Lektion ungehört. Der Imperativ triumphiert über den Konjunktiv, obwohl der Zufall regiert.

Weiter unten stellt Thomas Assheuer fest, dass Kant Aufklärer war - sapere aude -, aber kein Träumer: "Torheit, Eitelkeit, Herrschsucht gehörten zum Menschen dazu, dieser habe nun einmal einen 'Hang zum Bösen', später sprach Kant gar vom 'radikal Bösen'."

"Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden."

Wen verwundert es da, dass Kant als Grantler galt. Thomas Assheuer bezieht sich auf diese Einschätzung, indem er betont, dass Kant immer darauf hingewiesen habe, den Menschen präge eine tiefe "Unvertragsamkeit", eine "ungesellige Geselligkeit":

"Diese 'ungesellige Geselligkeit' bedeutete: Die Menschen können einander nicht leiden und mögen doch nicht voneinander lassen. Sie ziehen sich in die Vereinzelung zurück - und spüren zugleich ein Ungenügen an ihr."

Aber immerhin resultiert bei Kant aus dieser Lage der ungemeine Impuls, sich eine gemeinsame Rechtsordnung zu geben. Die dialektische Pointe bei Kant laute: "Es ist die soziale 'Unvertragsamkeit', die die Menschen dazu bringt, sich eine republikanische Verfassung zu geben."

Immanuel Kant im Originalton:

"Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen
nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann."