Francesca Melandri: Plündern - Wer marodiert in rechten deutschen Köpfen?
Heute Morgen wussten sich die Pensionistas - ein Gruppe alt gewordener Republikaner aus dem Westen Deutschlands - nicht anders zu helfen, als dem aberwitzigen Schwachsinn der neuen us-amerikanischen Politik-Elite mit Sarkasmus und Ironie zu begegnen (dafür hatte Walter heute Morgen auf soveräne Weise die Rolle des agent provocateur übernommen). Meine letzten Beiträge verdanken sich einem infantilen westdeutschen Rechtsintellektuellen, der vom Kettensägen-Massaker in Deutschland träumt und der der biederen und wenig inspirierten AfD-Elite einmal zeigen will, aus welchen Kloaken die neue Rechte in Deutschland mit vollen Kellen schöpfen kann. Dazu kommt Francesca Melandris Publikation Kalte Füße. Sie setzt sich mit ihrem Vater auseinander; Offizier im Alpini-Armeekorps als Teil der italienischen 8. Armee, die am Rußland-Feldzug der deutschen Wehrmacht teilnahmen. Francesca Melandri (Jg. 1964) hilft uns noch einmal final auf die Sprünge bei dem aussichtslosen Versuch, irgendeine Legitimation für die russische Aggression gegenüber der Ukraine zu finden. Zu der Tatsache, wie sehr die Ukraine zwischen den Mühlsteinen des Stalin- bzw. des Nazi-Terrors pulverisiert worden ist, biete ich im folgenden Auszüge aus dem Kapitel Plündern an (Seite 89-96). Diese Passagen beantworten - lieber Herbert - auch noch einmal die Frage, wie man die Tatsache verstehen muss, dass heute russische Soldaten innerhalb der Ukraine Kriegsverbrechen begehen, und was es bedeuten könnte, wenn deutsche Soldaten sich an einem UNO-Mandat beteiligen würden, das dem Schutz der verbliebenen Ukraine dienen könnte!
"Als du und deine Alpini [...] 1942 nach Russland kamt, das ja eigentlich die Ukraine war, hatte sich die Lage schon beruhigt, die Fronten waren geklärt, die Stützpunkte errichtet, die Bevölkerung deportiert, die Widerständigen gehängt, die Massengräber zugeschüttet, die Isbas abgefackelt, ein Großteil der feindseligen Zivilisten schon ermordet oder inhaftiert oder in Widerstandsbewegungen abgetaucht. Und auch die Massaker an den Juden durch die mit den Nazis verbündeteten ukrainischen Nationalisten, wie der Progrom von Lwiw, das du Leopoldi nanntest, fast ein Jahr vor deiner Ankunft, waren weitgehend abgeschlossen [...] Als du zum ersten Mal die Sonnenblumenfelder von Isum in der Nähe von Charkiw gesehen hast, wusstest du nicht, was sich an diesem Ort beinahe genau zehn Jahre vorher zugetragen hatte. Außerhalb der Ukraine wussten das die wenigsten."
Zu unserer Schande müssen die meisten Deutschen unserer Generation - lieber Herbert (soweit reicht unsere historische Grundbildung nicht) - gestehen, dass das, was Francesca Melandri in der Folge schildert, schlicht nicht zu unserem Allgemeinwissen gehört. Es beleuchtet aber die Rolle des russischen Herrenvolkes auf eindrücklich-brutale Weise:
"In Gradenigos (1933 italienischer Konsul in Charkiw) Schreiben aus Charkiw im Jahr 1933 erkenne ich meine eigene Verblüffung, die mich heute angesichts des Schweigens vieler Kommentatoren über das ungeheuerliche Leid überkommt, das die Russen seit Beginn ihrer Invasion über die Ukraine gebracht haben. (Nachricht von heute, Tag 445 des Krieges: russischer Raketenangriff auf eine Psychiatrie und einer Tierklinik in Dinipro, ein halbes Dutzend Tote und unzählige Verletzte.) Ich erkenne dieselbe Ungläubigkeit angesichts eines Phänomens, das mir selbst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter rätselhaft bleibt: die Fähigkeit unter ideologischebn Überzeugungen sämtliche Regungen des gesunden Menschenverstandes zu ersticken. Wie blind und taub der Mensche gegenüber schlimmsten Gräueltaten sein kann, solange sie nur im Namen einer angeblich guten Sache begangen werden. Und deren Opfer er als unbedeutend abtut und aus dem Blickfeld drängt angesichts der großen Linien der Weltdeutung, denen seine alleinige Aufmerksamkeit gilt. Und dann fallen mir die Tage Anfang März 2022 ein, als die Killer des russischen FSB noch durch Kyjiw streiften und nach dem ukrainischen Präsidenten und seiner Familie suchten, um sie zu ermorden und durch eine Marionettenregierung zu ersetzen, und als in Butscha das geschah, was geschah und wovon wir erst einen Monat später erfuhren, und als sich an den Grenzen zu Polen und Rumänien lange Schlangen von Frauen und Kindern bildeten, die sich in Sicherheit bringen wollten, bevor die ganze Ukraine zu einem einzigen großen Butscha werden würde, was kein unwahrscheinliches Szenario war; und dann fällt mir wieder ein, mit welcher Verachtung ein berühmter italienischer Historiker erklärte, dass seiner Meinung nach die Verantwortung für den russischen Angriff bei der NATO liege, ja sogar bei der Ukraine selbst, zusammen mit den USA seien sie die wahren Verantwortlichen für den Konflikt; und dass ihn nur das große geopolitische Spiel interessiere, die Wechselwirkung zwischen Weltmächten und Hegemonien, und ganz gewiss nicht, so der berühmte Historiker weiter, die völlig unmaßgeblichen Erfahrungen von einzelnen Frauen, die mit ihren am Rockzipfel hängenden Kindern an der Grenze stünden - von >irgendwelchen Irynas<, wie er hinzufügte [...] Seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 bin ich erschüttert, wie oft heute die Menschen in ihrem Leid, ihrem Hunger, ihrer Angst und ihrem elementaren Gefühl für Gerechtigkeit auf bloße Spielfiguren im erhabenen Spiel der Ideologien reduziert werden [...] Nein, Papa, als du in die Länder der Schwarzen Erde kamst, wusstest du nichts vom Holodomor (bitte anklicken). Du hattest die Worte des Konsuls nicht gelesen: >Es kann keinen Zweifel daran geben, dass diese Hungersnot hauptsächlich auf eine künstlich herbeigeführte Knappheit zurückzuführen ist, mit deren Hilfe den Bauern eine Lektion erteilt werden soll.< Du wusstest genauso wenig wie >die Welt<, dass Stalin zehn Jahre zuvor angeordnet hatte, den starrköpfigen ukrainischen Bauern, die so wenig Begeisterung für die Kollektivierung zeigten, ihre ganzes Hab und Gut wegzunehmen: noch den letzten Sack Weizen, das letzte Schwein, die letzte Kuh und das letzte Huhn [...]
Für jene Ukrainer, die den Holodomor und die stalinistischen Säuberungen überlebt hatten, waren die Wehrmachtssoldaten also nicht die Ersten, die den Terror brachten. Hitler hielt die Ukrainer für >Untermenschen<, nur dazu nutze, als Sklaven zu sterben; doch zuvor hatten schon andere versucht, sie auszurotten, weil sie sie als chochol und Feinde der Revolution verachteten. Ihr Alpini hingegen wart weder Deutsche noch Funktionäre Stalins. Viele ukrainischer Bauern wollten für euch arbeiten, um sich vor den Razzien der Nationalsozialisten zu schützen, die in Lagern endeten, wo die Zwangsarbeit den sicheren Tod bedeutete [...] Was das Plündern angeht, wart ihr allerdings nicht besser als alle anderen."
Für Herbert: Eine kleine, schon bekannte Einlassung zu den Schlägertrupps, die sich über die Wolfskaul und den Gülser Plan dem Heyerberg nähern:
Bevor ich nun Franz und Jurij das Wort gebe (dies wiederum ist eine andere Geschichte, die auch in der Ukraine spielt), greife ich den weiter oben geäußerten Kerngedanken Francesca Melandris auf. Meine Mit-Pensionistas merkten in einer unserer Montagsrunden an, dass die vor 80 Jahren von Eugen Kogon vorlegte Analyse zu den Grundlagen staatlichen Terrors zu kompliziert und zu komplex sei. Der in Buchenwald befreite Eugen Kogon hätte das für das einfache Volk einfacher und schlichter formulieren müssen. In hohem Respekt vor Francesca Melandri gebe ich meine Übersetzung Eugen Kogons in Einfach-Sprech wieder (den Originaltext von Eugen Kogon kann man sich über den nachstehenden Link ("der komplette Beitrag hier") verfügbar machen:
Terror und Terrorismus in Schlichtdeutsch/Einfachsprech (der komplette Beitrag hier):
Du lebst in Freiland. Eines Tages klopft jemand an Deiner Haustüre. Du öffnest, und jemand schlägt Dich mit einem Knüppel unvermittelt zu Boden. Deine Nase ist gebrochen, und einige Deiner Zähne fehlen Dir. Als Du Dich mühsam erhebst, packt Dich der Schläger und wirft Dich aus Deinem Haus. Du versuchst ihn zur Rede zu stellen, weil Du wissen willst, was das alles soll. Der Schläger lässt Dich nicht zu Wort kommen, tritt Dir in den Arsch und brüllt nur noch: „Hau ab, ab heute gehört das alles mir – ich bin der Stärkere, und wir leben ab heute in Meinland!“
Auf der Straße triffst Du viele andere, denen es genau so ergangen ist. Sie erzählen, dass einige, die versucht haben sich zu wehren, sogar totgeschlagen worden sind. Auf Deinen Vorschlag, Euer Recht einzuklagen und vor Gericht zu ziehen, erfährst Du, dass der Schläger alle Richter selbst eingesetzt hat und die Polizei bzw. die PolizistInnen nur machen, was er ihnen befiehlt. Alle, die sich nicht daran halten, erklärt er zu seinen F e i n d e n. Die einen lässt er einsperren, andere wirft er aus dem Land - einige, von denen er meint, sie könnten ihm gefährlich werden, lässt er verurteilen und hinrichten. Seine Schlägertrupps sorgen für Ruhe und Ordnung.
Einige von euch können in das Nachbarland fliehen – nach Friedland. Dort sind die Menschen zwar alle verschieden, leben aber friedlich miteinander. Sie haben eine Regierung und ein Parlament. Über das Parlament bestimmen sie die Regeln ihres Zusammenlebens selbst. Die Regierenden haben ihre Ämter nur auf Zeit – sagen wir vier Jahre -, dann wird neu gewählt. Auf eine Armee von Knüppelträgern haben sie verzichtet, weil sie ja alle friedlich miteinander leben. Und wenn es Streit gibt, dann suchen sie nach Lösungen. Dafür haben sie Gerichte, wo manchmal auch Berater und Vermittler helfen. Wenn sich die Streitparteien nicht einigen können, fällen Richter ein Urteil, dass sich an den Regeln ihres Zusammenlebens orientiert. Alle müssen die gemeinsamen Regeln einhalten. Verletzt jemand die Regeln muss er sich vor Gericht verantworten. Vor dem Gericht sind alle gleich.
Eines Tages kommen Schlägertrupps mit Knüppeln nach Friedland und werfen auch dort die Menschen aus ihren Häusern und sagen: „Wir sind die Stärkeren, und deshalb machen wir, was wir wollen.“ Doch diesmal sperren sie alle, die ihren Anweisungen nicht folgen, in Lager, schlagen sie tot. Sie sagen: „Ihr seid nicht unsere F r e u n d e, ihr seid unsere F e i n d e, und wir wollen euch hier nicht mehr haben!“ Sie besetzten das überfallene Land, gliedern es Meinland ein und geben ihm einen neuen Namen: V e r e i n i g t e s B l u t l a n d
Einer aus meiner Pensionistas-Runde schrieb darauf hin: "...und welche Lösungen gibt es dem zu begegnen - außer Gegengewalt?"
Das einzige, was mir dazu einfällt - angesichts des Bösen (ja, ja - ich weiß... aber ganz nebenbei: haben wir Deutschen nicht gelernt: Gewaltverzicht und Anerkennung der Grenzen?!) lieder muss es heute auch klingen wie: A BSCH R E C K U N G - versuch es erst gar nicht und mache dein eigenes Land zu blühenden Landschaften - zumal, wenn dein Reichtum so unermesslich ist, wie in deinem fernöstlichen Riesenreich!