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Der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke - ein Gedanke Nietzsches

Das Alter bzw. im Geschehen des Alterns verändert sich unsere Wahrnehmung bzw. die Schlüsse, die wir ziehen in der Auseinandersetzung mit unserer (Selbst-)Wahrnehmung. Besonders deutlich wird mir dies in der Realisierung eines Rollenwechsels, der mit der Auflösung generativ naheliegender Fürsorge einhergeht. Die Auflösung des Bios mit Blick auf die (Schwieger-)Eltern-Generation, der Tod als die unaufhebbare Grenzerfahrung, zwingt uns das (für mich) stets gegenwärtige memento mori (generativ) in eine neue Dimension zu rücken. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, das memento mori selbst - wenn ich behaupte, es sei früh schon präsent in mir gewesen - sei sozusagen in eine unverückbare generative Abfolge eingebunden - mors certa - hora incerta: Vielmehr gilt es Rainer Maria Rilkes lyrisch doch auf unvergleichliche Weise gefasstes memento mori zu bedenken: Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. In meiner seinerzeit - 1994 - ganz und gar von Normalität beherrschten Welt (ohne Kriege und existentielle Nöte) hat sich Rilkes Aphorismus tief in meine Erfahrungwelt eingegraben. Gleichwohl vollzog sich in den Jahrzehnten danach jene generative Abfolge, in der tradierte Rituale und Strukturen beherrschend blieben und mehr und mehr wurden, weil die Jungen, für die die Alten gesorgt hatten, nun für die Alten sorgten: Papa, Mama, Schwiegervater und Schwiegermutter

Ich betrachte es im Übrigen als unverhofftes Glück, dass sich die generative Abfolge noch einmal modifiziert, und dass wir Alten nun helfen und unterstützen dürfen dabei die ganz Jungen in eine nicht mehr ganz so heile Welt begleiten zu dürfen!

In  meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es Menschen, die mich (Jahrgang 1952) an Alter und Weisheit überflügeln. Zweie haben sich immer schon als Nietzsche-Kenner und Apologeten zu erkennen gegeben. Dem einen verdanke ich - vor Jahrzehnten - schon den Hinweis auf den Ewigen Wiederkunftsgedanken. Daher finden sich in der Folge sowohl die überlieferten und insofern authentischen Original-Zitate Friedrich Nietzsches. Sie bleiben hier unkommentiert stehen. Nur soviel meinerseits dazu, dass ich Anregungen meines Geistesverwandten, unter dessen fach- und sachkundiger Leitung ich fast fünfzehn Jahre meine Arbeit an der Uni versehen durfte, sehr ins Grübeln bringen: Zum einen gibt es für den Kerngedanken Nietzsches selbstredend keine empirisch belastbaren Erkenntnisse. Andererseits treibt uns die empirisch orientierte Naturwissenschaft (zumindest in der Gestalt der Physik) in ein Dilemma, dem wir recht hilflos gegenüberstehen. Weder für die Erklärung des Kosmos selbst noch für die ungelösten Fragen der Quantenphysik (Welle oder Teilchen) gibt es rational belastbare Erkenntnisse. Es bleiben sehr viel mehr Fragen offen als Antworten in Reichweite erscheinen. Also: Der Freund hat - und dies bemerke ich quer zu allen religiösen Phantasien - schlicht die Frage in den Ring gestellt, was denn die ewige Widerkunft des immer Gleichen für ein individuelles Leben bedeute und was es für kollektive Auswirkungen in sich trage?

Für mich selbst ist es mit (Rück-)Blick auf ein so vielfach gesegnetes Leben ein unerträglicher Gedanke, dieses Leben noch einmal leben zu müssen. In Kurz vor Schluss II (2022) findet sich die Feststellung (das Jahr 1997 markiert neben 1994, dem Todesjahr meines Brudes, jenen Wendepunkt, der sich aus meinen selbstverantworteten Irrungen und Wirrungen ergab, mit dem ich alles auf's Spiel setzte, was meinem Leben Sinn gab - eine Erkenntnis, die sich mit dem Abstand von 25 Jahren scheinbar mühelos einstellt. 2007 - ebensfalls in Kurz vor Schluss II dokumentiert - war mein Handeln um so vieles leichter und schwerer zugleich. Der Preis für einen überfälligen Kontenausgleich war heiß, das heißt überaus schmerzhaft und hatte insofern im besten Sinne reinigende Wirkung:

„Und man kann vorab behaupten, dass ich die unvermeidbare Frage Würdest du dein Leben noch einmal genau so leben? nur folgendermaßen beantworten kann: So wie sich ein lebensbedrohlich Erkrankter einer lebensbedrohlichen Rosskur unterzieht, um zu gesunden, war der Höllenritt 1997 absolut alternativlos. Wer die Welt wieder klar wahrnehmen möchte, muss den dichten Schleier einer wahnhaft verstellten Weltsicht lichten und letztlich auflösen (wohl kaum jemand vermag wohl Lehren aus den Fehlern anderer zu ziehen – hätte ich einen Wunsch frei, so wünschte ich mir, dass ein solcher Höllenritt meinen Kindern erspart bleiben möge).“

Der Gedanke, der Weltern Lauf würde aus einer Wiederholung des ewig Gleichen bestehen, ist angesichts dessen, was wir wissen und gegenwärtig erleben gewiss unerträglich. Inwieweit der Rückblick auf ein individuelles Leben - im hohen Alter - gleichermaßen Eindrücke vermittelt, so manches (auch Schreckliche) habe sich da schon wiederholt, mag ein Unterschied ums Ganze sein, wenn sich darin das Düstere als die beherrschende Schattierung erweist. 

Es mag daher nicht verwundern, wenn ich diesem Beitrag einen weiteren folgen lasse, der sich dagegen als ungemein trivial ausnehmen wird. Vor wenigen Tagen war es ein Gespräch mit einem Freund aus frühe(re)n Zeiten, das mich daran erinnerte, wie sehr und intensiv ein Leben im Alter zu schrumpfen vermag auf Wesentliches. Mein Blog verfügt inzwischen über eine komfortable Suchfunktion, mit der sich jeder - noch so eigentümlich oder abstrus erscheinende - Beitrag auffinden lässt. Auf diese Weise war der Freund auf einen Brief aufmerksam geworden, den ihm meine Schwiegermutter ein Jahr vor ihrem Tod geschrieben hatte. Und mir erlaubt der Gesamtkontext noch einmal darauf zu schauen, was uns - zumindest partiell - mit dem Wiederkunftsgedanken Friedrich Nietzsches versöhnen könnte.

 

Der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke - ein Gedanke Nietzsches (Wikipedia-Original)

Nietzsche selbst beschrieb in seiner Autobiographie Ecce homo, wie ihn dieser Gedanke in einem Augenblick der Inspiration überfiel:[1]

„Die Grundconception des Werks [Also sprach Zarathustra], der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, diese höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann –, gehört in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: ‚6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeit.‘ Ich ging an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke.“[2]

Diese Schilderung wird durch ein entsprechendes Fragment in Nietzsches Nachlass bestätigt,[3] das dort weitere Betrachtungen nach sich zieht, in denen bald die Figur Zarathustra auftaucht. Zum ersten Mal vorgestellt hat Nietzsche den Gedanken dann im Vierten Buch, Aphorismus 341, von Die fröhliche Wissenschaft und damit direkt vor dem Anfang von Also sprach Zarathustra. Dies ist die ausführlichste Beschreibung des Gedankens außerhalb des Nachlasses und enthält, abgesehen vom Namen, bereits alle Elemente der Lehre:

 „Das grösste Schwergewicht. – Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: ‚Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!‘ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: ‚du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!‘ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und Jedem ‚willst du diess noch einmal und noch unzählige Male?‘ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?“[4]

Bezeichnungen wie „der ungeheure Augenblick“ und „das größte Schwergewicht“ haben in der Literatur ebenso Anklang gefunden wie etwa „der große Mittag“, „Ring der Ringe“, „Rad des Seins“ und ähnliche Wendungen Nietzsches. Der von vielen Interpreten gebrauchte Begriff „ewige Wiederkehr“ (statt Wiederkunft) findet sich dagegen bei Nietzsche nur sehr selten und an abgelegenen Stellen. Darauf ist erst in neuester Zeit aufmerksam gemacht worden, ebenso wie darauf, dass der Begriff „Wiederkunft“ (Parusie) schon vor Nietzsche in der christlichen Theologie gebräuchlich war.[5] Freilich findet sich in Apg 3,21 EU gerade der von der Stoa für die Wiederkehr (im nicht christlichen Sinn, siehe unten) gebräuchliche Begriff apokatastasis.