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Armin Lass et!

Wer hätte das gedacht? Gestern fiel mir meine Dissertation aus dem Jahr 1984 in die Hände. Beim Querlesen dachte ich dann: Respekt, Du hast ja wirklich etwas gelernt! Oder, wie mein Ex-Schwager Ernst bemerken würde: Mir han dich net ömsons op de Scholl jeschick! Auf Seite 150 stieß ich auf Kriterien zur Analyse politischer Kommunikation. Entwickelt hatte sie  in den frühen 80er Jahren Ulrich Sarcinelli - im wesentlichen im Kontext des Bundestagswahlkampfes 1980.

Er differenziert Politikvermittlung auf drei Ebenen und untersucht ihre jeweilige Legitimationsfunktion. Diese von ihm vorgenommene Dreiteilung unterscheidet zwischen problemlösenden, sinnorientierenden und personalisierenden Legitimationsakten. Dem entsprechend versuchen politische Akteur:innen in Wahlkämpfen mit Imagekampagnen ihre Problemlösungskompetenz, ihre Werteorientierung und ihre persönlichen Qualitäten - in Sonderheit Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit - positiv hervorzuheben bei gleichzeitiger Negativcharakterisierung des politischen Gegners.

Diese Trias sogenannter artikulativer Legitimationssymbole soll uns Anhaltspunkte liefern für eine qualitative Bewertung kommunikativer Rechtfertigungsbemühungen von Politiker:innen. Belächelt haben wir als junge Heißsporne die Hinweise auf die fundamentale Bedeutung von innerparteilicher Geschlossenheit. Wenn man zu innovativen Problemlösungen kommen will - so unsere Auffassung - muss es zuweilen auch ordentlich krachen im eingefahrenen Parteibetrieb. Heino Kaack wies darauf hin, dass der Geschlossenheitsaspekt höchstbedeutsam sei und quer zu allen anderen Legitimationsebenen liege; auf deutsch: Problemlösungskompetenz, Wertebasierung und persönliche Überzeugungskraft, Aura funktionierten im Parteienwettbewerb nur unter der Maßgabe innerparteilicher Geschlossenheit.

In einer seit den 80er Jahren exponentiell angewachsenen Mediatisierung - vor allem befördert durch die sozialen Netzwerke - bleibt kein innerparteilicher Furz unbemerkt, vor allem dann, wenn er nachhaltige Zweifel an einer gediegenen innerparteilichen Geschlossenheit weckt. Meine SPD hat dies exemplarisch vorgeführt. Sie hat ihr Spitzenpersonal erbarmungslos verheizt - in immer kürzeren Zeittakten. Die Lernkurve, die dann in Vorbereitung der Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag wirksam wurde, zog radikale Konsequenzen aus der personellen Selbstzerfleischung der letzten Jahre - wie man sieht mit Erfolg. Hingegen inszenieren die Christdemokraten, die - obwohl von Rezo I und Rezo II tiefengeschockt - es eigentlich besser wissen müssten, über das Ende des Wahlkampfes hinaus erfolgreich ihr ambitioniertes Selbstzerstörungsprojekt. Sie vollziehen dies skrupellos und mit nie gekannter masochistischer Energie in aller Öffentlichkeit. Sie leisten diesem Projekt vor unser aller Augen Vorschub auf eine Weise, die nicht nur Zweifel nährt an ihrer Problemlösungskompetenz. Vielmehr beginnen die Zweifel bereits bei einem grassierenden Realitätsverlust, der allein schon Fragen aufwirft nach einer halbwegs angemessenen Problemwahrnehmung. Dies erscheint um so gravierender, je mehr die Unionsakteur:innen mit ihrer wechselseitigen persönlichen Demontage nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, ihre Berechenbarkeit und Verlässlichkeit infrage stellen, sondern gleichzeitig ihr christliches Weltbild, auf dem angeblich ihre Wertorientierung basiert, komplett zerstören. Rezo hat und hatte recht: Die Zerstörung der CDU/CSU ist eine formidable Eigenleistung!

Wie gleichermaßen dumm und schmerzfrei muss man eigentlich sein, wenn man sich - wie Armin Lass-et - als Bohrkopf auf die Spitze eines Tunnelbohrers schrauben lässt und sehenden Auges in sein persönliches Unglück bohrt, nicht ohne dabei erheblichen Schaden anzurichten für die politische Kultur eines Landes, das alles nötiger hätte als die öffentliche Selbstzerfleischung alter, weißer Männer. Der mediale Mainstream lässt im Sinne einer Deutungshoheit keinerlei Zweifel mehr daran, dass die Hauptakteure - hier muss man gar nicht gendern - (hier in egozentrischer bis egomanischer Blindheit) der eine (Markus Söder) den anderen (Armin Lass-et) nicht nur vor sich hertreibt, sondern wie die Katze die Maus bei lebendigem Leib und unter dem brutalen Verlust immer weiterer Vitalfunktionen in seine Einzelteile zerlegt; dies aber ohne wirklich zu bemerken, dass er bei dieser öffentlichen Hin- und Zurichtung nicht wieder gut zu machenden Schaden an der eigenen Reputierlichkeit erleidet - einmal ganz zu schweigen von dem verheerenden Erscheinungsbild der Union in einer Öffentlichkeit, die keine Grenzen kennt.

In meiner Dissertation aus dem Jahre 1984 (!) habe ich auf Seite 151 vermerkt:

"Es bliebe im Hinblick auf die Bewertungsgrundlage indes zu klären, inwieweit SARCINELLI mit seinen Prämissen zur Struktur politischer Vermittlungsprozesse einen Politikbegriff akzeptiert, der - wie Claus OFFE formuiert - 'das Nebeneinander von Inszenierung und Wirklichkeit nicht für ein transitorisches Spannungsverhältnis hält, sondern für eine fortdauernde Strukturbestimmung des Politischen, also für einen Grundtatbestand kollektiver Realitäts-Untüchtigkeit, deren Beobachtung das folgenlose Privileg einer kritischen sozialwissenschaftlichen Intelligenz ist'."

Sieht man einmal von der AfD ab, die - ähnlich wie die Union - ein hoffentlich ungleich wirksameres Selbstzerstörungsprojekt vorantreibt (und hier ist hoffentlich nicht nur der Wunsch der Vater des Gedankens) haben die anderen politischen Wettbewerber (zumindest SPD, Grüne und FDP) Schlüsse gezogen (die Linke ist ob ihrer innerparteilichen Zerrissenheit ja ähnlich wie die Union und leider weitaus erheblicher als die AfD abgestraft worden), die ihnen einen mehr oder weniger erfolgreichen Wahlkampf ermöglichten.

Die Union hat sich völlig verzockt. Sie war und ist ganz offenkundig der Auffassung, die Claus Offe im obigen Zitat vertritt. Sie hat wohl geglaubt - und glaubt immer noch, es bliebe einer Quantité negligeable (einer kritischen sozialwissenschaftlichen Intelligenz) vorbehalten, ihr offenkundig nachhaltiges Zerstörungsprojekt zu beobachten! Weit gefehlt! Der gnadenlose Absturz und die gewaltige Differenz von 1,7%-Punkten gegenüber einer abgeschriebenen SPD führt nun zu einer zweiten gänzlich unappetitlichen Konsequenz in der öffentlichen Inszenierung des eigenen Verfalls. Ich will mich auf Spiegelstriche beschränken - auf Stichworte zum Nachweis eines unfassbaren Realitätsverlusts in der Spitze der Union: