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Zeitgeist und Kontenausgleich I (7)

Dann wiederum ist man gut beraten, jene Wendepunkte besonders zu würdigen, die uns Gelassenheit vermitteln und die Einsicht, dass es nun gut ist. Lange bevor ich hier erzählen kann, wie ich in Heidelberg nicht nur mein Herz, sondern auch meinen Verstand wiedergefunden habe, zwingt sich eine kleine Episode auf, die so viele Altlasten aus meinem Schuldenbuch getilgt hat:

Über drei Jahre habe ich in Heidelberg (IGST) an den Vorbereitungs- und Fortbildungskursen bei Gunthard Weber, Ulrich Clemens und Andrea Ebbeke-Nohlen teilgenommen und mir im Zuge dieser Jahre endlich einen Reim machen können auf mein destruktives, mörderisches Driften in der Vergangenheit. 2000 lag dies hinter mir, und ich fühlte mich einmal mehr bemüßigt auch die Papierhalden der letzten Jahrzehnte zu entschlacken. Im Zuge dieser Sondierungen stieß ich unter anderem auf Briefe, die Ende der siebziger Jahre im Zuge der Trennung zwischen E. und mir gewechselt worden sind. Es war schon die Rede davon, dass ich mich von März 1979 an in einer radikalen Haltung der Verweigerung bewegte, weil das Trennungsgeschehen, das ich vorantrieb, einerseits alternativlos erschien, andererseits in seinen einzelnen Handlungen, Versäumnissen und Geschehnissen aber auch all die Verstrickungen offenbart, die ein solches Trennungsgeschehen ebenso unausweichlich begleiten. Bei der Lektüre dieser Briefe verstärkte sich der Eindruck, dass all dies auch mehr als zwanzig Jahre nach den Ereignissen, kein versöhnliches Ende gefunden hatte. Zu dieser Zeit – im Jahre 2001 – wohnte E. bereits in Güls. Ich bereitete die Feier zu meinem fünfzigsten Geburtstag vor. Noch unter dem Eindruck dieser Briefe bewegte ich mich in den Gülser R-Kauf auf der Gulisastraße. An der Wursttheke kam unversehens E. neben mir zu stehen. Erstmals seit mehr als zwanzig Jahren begrüßte sie mich freundlich und mit einem lange nicht gesehenen Lächeln auf den Lippen. Von der Seite näherte sich ein Mann, den sie mir mit den Worten vorstellte: „Das ist K., mit dem lebe ich jetzt zusammen.“ Zu K. sagte sie: „Das ist Jupp, mit dem hab ich einmal zusammengelebt.“ Der Small-Talk, der sich anschloss war unbefangen und vermittelte erstmals eine gewisse Leichtigkeit. In diesen Minuten erfuhr ich körperlich, dass mir eine Last von der Seele genommen wurde. Im Nachgang habe ich den Kontakt zu E. aufrechterhalten. Im November 2001 lud ich sie zum Abendessen auf die Ankerterrasse in Güls ein. Sie nahm diese Einladung an. Ein weiterer Hintergrund ergab sich – wie schon angedeutet – aus den Vorbereitungen zu meiner Geburtstagsfete. Mit einem guten Jahr Vorlauf hatte ich mich entschlossen mir zu diesem Anlass eine eigene Festschrift zu erlauben. Es war ein erster Versuch, so etwas zu ziehen wie eine Lebensbilanz – mit vielen biografisch folgerichtigen Geschichten und Aufzeichnungen. Ein Kapitel widmete sich explizit der Studentenzeit – und hier in einem eigenen Unterkapitel der Bendorfer Wohngemeinschaft. Ich spürte deutlich die Verpflichtung E. dieses Kapitel als Entwurf vorzulegen und ihre Meinung dazu zu hören. Wenige Tage nach Lektüre der ersten Fassung teilte sie mir mit, dass ich unverzüglich mit rechtlichen Schritten zu rechnen hätte, wenn diese Fassung unzensiert in die Festschrift: „Komm in den totgesagten Park und schau – ich sehe was, was Du nicht siehst“ eingehen würde. Nach den gewünschten Änderungen gab E. ihr Placet und nahm meine Einladung zur Feier an. Vor allem die Einführung in die u.a. von Bert Hellinger entwickelte therapeutische Methode der Familienaufstellung unter der therapeutischen Begleitung von Gunthard Weber haben mir den angemessenen Weg zu einer Entschuldigung vermittelt, die (auch) nach zwanzig Jahren in ihrer Form und Ernsthaftigkeit den Boden für eine Versöhnung bereitet hat. Worauf es hierbei ankommt, hat Hellinger in einer schlichten Intervention deutlich gemacht, so dass Menschen in vergleichbaren Situationen und Konstellationen eine Perspektive erkennen können. Die wesentlichen Aussagen lassen sich etwa folgendermaßen zusammenfassen:

"Die Lösung (in festgefahrenen, unversöhnlichen Paarkonflikten – auch lange nachdem der gemeinsame Weg im Abgrund endete) ist, dass sich beide ihrer Trauer überlassen, dem ganz tiefen Schmerz, der Trauer darüber, dass es vorbei ist. Diese Trauer dauert nicht sehr lange, geht aber sehr tief und tut sehr weh. Dann sind sie auf einmal voneinander gelöst, und dann können sie nachher gut miteinander reden und alles, was noch zu regeln ist, vernünftig und mit gegenseitigem Respekt lösen. Bei einer Trennung ist die Wut sehr häufig Ersatz für den Schmerz der Trauer. Oft fehlt, wenn zwei nicht voneinander lassen können, das Nehmen. Dann muss der eine dem anderen sagen: Ich nehme, was du mir geschenkt hast. Es war eine Menge, und ich werde es in Ehren halten und mitnehmen. Was ich dir gegeben habe, habe ich dir gern gegeben, und du darfst es behalten. Für das, was zwischen uns schief gelaufen ist, übernehme ich meinen Teil der Verantwortung und lasse dir deinen, und jetzt lass ich dich in Frieden. Dann können beide auseinandergehen."

Nach mehr als zwanzig Jahren wurde hier gewissermaßen ein gordischer Knoten gelöst, der einen unbefangenen und vor allem unbelasteten Weg in eine befriedetee Zukunft nachhaltig belastet hat. Damit sind nicht alle Fehltritte zu entschuldigen, die in der Folge und innerhalb unseres lebensumspannenden Aufbruchs zu Beginn der achtziger Jahre geschehen sind. Der schwierige, krisenreiche Verlauf dieses lebenslangen Projekts gewinnt allerdings aus diesem Blickwinkel sowohl an Plausibilität als auch an Überzeugungskraft. Dass Claudia die Flinte nicht ins Korn geworfen hat, adelt sie. Wo Türen verriegelt schienen, öffneten wir ganze Scheunentore und bargen nicht nur eine Flinte, sondern ganze Feuerwerke aus dem Heu.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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