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Das Öffentliche und das Private in Zeiten des Klimawandels

Einleitung: Nehmen wir einmal Alex Demirovic, ein deutscher Sozialwissenschaftler (er ist knapp ein Vierteljahr jünger als ich und gilt als Vertreter der kritischen Theorie). In seinem Aufsatz: Hegemonie und das Paradox von privat und öffentlich fasst er seine Argumentation unter Punkt neun folgendermaßen zusammen:

"Der Begriff der Öffentlichkeit ist ein Versuch, Konsens und demokratische Prozesse der Willensbildung verständlich zu machen. Die Hegemonietheorie verhält sich zum Begriff der Öffentlichkeit in gewisser Weise metatheoretisch.

Denn zum einen thematisiert auch sie die Prozesse der Konsensbildung; und Konsens wird in der Tat auch in der Form öffentlicher Diskussionen und Argumente ausgearbeitet. Darüber hinaus jedoch wird auch versucht, die Logik des Öffentlichen und der Unterscheidung von privat und öffentlich selbst noch im Rahmen der Zivilgesellschaft verständlich zu machen. Die Unterscheidung von öffentlich und privat stellt sich aus diesem Blickwinkel betrachtet als eine Regierungstechnologie dar, die als solche schon einen Konsens erzeugt, einen Konsens, der die Individuen und sozialen Gruppen dazu verhält, sich als Private oder Öffentliche von sich selbst zu unterscheiden. Sie müssen eintreten in einen Konflikt mit sich selbst, in dem sie kritisch sich zum Gegenstand einer Befragung machen, ob sie lediglich partikular oder auch allgemein sind. Ständig bewegen sich die Individuen in diesem Zweifel hin und her und sind immer gefangen. Äußern sie sich öffentlich, müssen sie Kritik antizipieren, dass ihr Interesse, ihre Sicht der Dinge nicht legitim, nicht allgemein ist. Doch nur privat existieren geht auch nicht. Sie unterstehen dem Selbstzwang, öffentlich sprechen zu sollen. Dies gilt als Zeichen von Autonomie, zu der überall erzogen, die überall eingefordert wird, während doch gerade die oben beschriebenen Mechanismen der Öffentlichkeit daran arbeiten, dass die Individuen nicht sprechen werden oder ihre öffentlichen Äußerungen wertlos und sinnlos werden. Werden sie zu öffentlichen Personen, nimmt dies für die Individuen alsbald zerstörerische Züge an. Die ständige öffentliche Aufmerksamkeit zerstört die Sphäre des Privaten und erzeugt ein solches Maß an Anerkennung, das jenseits dessen ist, was das Individuum noch in eine sinnvolle Beziehung zu seinem Tun bringen kann. Die Macht der Öffentlichkeit selbst wirkt zerstörerisch. So kommt es zu einer letzten Dialektik: das Private verurteilt die Menschen dazu, sich im Grenzfall in die sinnlose Kette der bloß biologischen Reproduktion der Gattung einzuordnen; das Öffentliche traumatisiert die Individuen, weil sie sich als solche schon für das Allgemeine halten und in ein narzisstisches Verhältnis zu sich selbst gesetzt werden. Anstatt also die emanzipatorische Phantasie auf die öffentliche Kommunikation zu begrenzen, wäre nach neuen Formen des die Individuen assoziierenden Sprechens zu suchen."

Solche Formen sind in den letzten Jahrzehnten fast inflationär entstanden. Auch Alex Demirovic unterhält einen Blog, über den er seine Positionen einer dazu interessierten Öffentlichkeit präsentiert/anbietet. Er sucht Öffentlichkeit und er begründet Öffentlichkeit in der Tradition einer kritischen Theorie, über die er vor allem kapitalismuskritische Beiträge veröffentlicht. Grundsätzlich meint er, das wir alle ständig eintreten in einen Konflikt mit uns selbst, in dem wir uns kritisch zum Gegenstand einer Befragung machen, ob wir lediglich partikular oder auch allgemein sind. Äußern wir uns öffentlich - so Demirovic -, so müssen wir mit Kritik rechnen; vielleicht mit der harschen Zurückweisung, das unser Interesse, unsere Sicht der Dinge nicht legitim, nicht allgemein (genug) ist. Doch nur privat existieren - so Demirovic - gehe auch nicht. Als Demokraten  unterstünden wir der Erwartung, öffentlich sprechen zu sollen. Dies gelte als Zeichen von Autonomie, zu der überall erzogen, die überall eingefordert werde, während doch gerade die oben beschriebenen Mechanismen der Öffentlichkeit daran arbeiteten, dass die Individuen nicht sprechen oder dass ihre öffentlichen Äußerungen wertlos und sinnlos seien.

Ein aktuelles Beispiel bietet sich in der Kontroverse um die Medienkritik Richard David Prechts und Harald Welzers an. Hier agieren zwei omnipräsente Medienakteure und drohen dabei die eigene Rolle deutlich zu verfehlen. Für eine neutrale – oder gar objektive – Kritik befinden sich die Akteure zu sehr im Zentrum jenes Apparats, den sie kritisch unter die Lupe nehmen.

Klar, das treibt mich um! Können wir uns als Private überhaupt noch von uns selbst als Öffentliche unterscheiden? Maximilian Probst und Stefan Schmitt zeigen uns am Beispiel der alles beherrschenden Auswirkungen der Klimaveränderungen, wie unser privates Handeln eine neue Öffentlichkeit begründet, die danach fragt, in welchem Maß und in welch strukturell immanenter Weise unser Handeln Klimaveränderungen im Sinne einer Klimakatastrophe begünstigt! Für mich persönlich stellt sich die Frage schon seit Jahren verschärft, insofern ich - um nur mal ein Beispiel zu nennen - in meiner Kritik der touristischen Launen und der dadurch ausgelösten massenhaften Bewegungen im Raum Kritik auf mich ziehe. Das seit Jahrzehnten zu beobachtende und expandierende Krebsgeschwür des Massentourismus bedeutet in der Tat eine vollkommen unangemessene, das heißt unzeitgemäße kinetische Verschwendung. Bewegung erzeugt Wärme. Heerscharen westlicher Touristen müssen unterdessen registrieren und ertragen, dass die verheerenden Auswirkungen ihres Vagabundierens in der Welt begehrlich von zu Wohlstand gekommenen Menschen aus dem asiatischen Raum verschärft werden und so die Klimaveränderungen buchstäblich befeuern.

Wann bitte beginnen wir umzudenken? Umdenken oder untergehen! Maximilian Probst hat seine Mahnungen mit deutlichem zeitlichen Vorlauf zur Flutkatastrophe in NRW und RLP formuliert. Die von mir hier erwähnten ZEIT-Redakteure sind dabei ja nur Mittler und machen ihren Job als verantwortungsbewusste Meinungsbildner in einer Öffentlichkeit, die zwar in weiten Teilen sensibilisiert ist, die aber - was ihr persönliches Verhalten angeht - vielfach den Schuss noch nicht gehört haben, der seit Jahrzehnten aus den gefährdeten Regionen der Welt zu uns herüberschallt. Nun helfen selbst Ohrschützer nicht mehr, um die Schüsse aus der Mitte unserer Gesellschaft zu überhören!

Es kommt mir wie ein heilloser Anachronismus vor, dass ich vor 25 Jahren (Seite 102) noch ein Bekenntnis ablegen konnte, mit dem ich mich als Nordmensch verstehe, der seine Lebensgeister vor allem auch aus den Schönheiten und Annehmlichkeiten einer gemäßigten Klimazone bezieht – mit dem markanten Wechsel der Jahreszeiten und gleichermaßen ausreichenden wie regelmäßigen Niederschlägen. Dieser ruhige Pulsschlag einer intakten Natur spiegelt den Rhythmus und die Tiefe unsere Atemzüge – immer in der Hoffnung, dass eine solche Homöostase ein wechselwirksames Verhältnis von Körper- und Naturerleben verbürgen möge.

Gewissheiten und Erlebensqualitäten dieser Art sind wohl unwiederbringlich verloren. Der von mir zitierte Stefan Schmitt spricht von einem merkwürdigen fossil-reaktionären Todeskult der Regie führt. Maximilian Probst und Stefan Schmitt wiederholen schon seit Jahren gebetsmühlenartig den Imperativ: Umdenken oder untergehen!

Maximilian Probst"Umdenken oder untergehen!"

Ja, Maximilian Probst ist einer, der vor Jahren (2017) schon mit dieser nüchternen Feststellung warnt. Das Ahrtal und das Erfttal und einige andere Regionen sind (inzwischen) untergegangen - der gesamte Mittelmeerraum haben all die Jahre schon gebrannt. Und auch Brandenburg und Meck-Pomm können inzwischen in dieses Lied einstimmen.

Für 2022 kann man jetzt schon im Rückblick feststellen: Italien erlebte die trockenste Phase seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Spanien, Portugal und Frankreich  b r a n n  t e n  wie selten zuvor! Und auch bei uns blieb der Regen aus.

2018  titelte die ZEIT (32/18) von einer "Zukunft im Schwitzkasten". Und derselbe Stefan Schmitt, der uns die drei Einsichten aus der Hitzewelle des vergangenen Sommers nahebringt, meinte schon 2018: "Der heiße Sommer führt uns die Folgen des Klimawandels vor Augen". Dass es im Sinne von Maximilian Probst ums Umdenken oder Untergehen“ geht, wird von Stefan Schmitt nüchtern, schlicht und faktisch unterlegt mit Blick auf einen Sommer, der seinerzeit – Ende April 2018 – mit Hitzewellen begann und weiten Teilen der Nordhalbkugel Extremwetter brachte – damals brannte im hohen Norden Schweden! Um die Alternativlosigkeit der Probstschen Dialektik zu untermauern führte Schmitt seinerzeit – mit dem Blick auf den Sommer 2018 – fünf Punkte mit dem einleitenden Satz zum Phänomen des Extremwetters auf:

  • "Was wir längst kennen, ist sein Kontext. Dieser Sommer hat sozusagen einen großen theoretischen Unterbau:
  • Wir wissen, dass die globale Mitteltemperatur seit Beginn der Industrialisierung schon um rund ein Grad angestiegen ist.
  • Wir wissen, dass die Erwärmung Hitzewellen häufiger und heftiger macht.
  • Wir wissen, dass der Zusammenhang bei Hitzewellen klarer ist als etwa bei Stürmen und Starkregen.
  • Wir wissen, dass die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell steigen wie im globalen Durchschnitt.
  • Wir wissen, dass von den zehn weltweit wärmsten Jahren seit Beginn der Messungen neun im 21. Jahrhundert liegen. Und die drei allerwärmsten waren 2015, 2016 und 2017...
  • Was wir in diesem Hitzesommer sehen? Wir sehen die Zukunft!"

Umdenken oder untegehen!

„Im Wetter mehr zu sehen als unschuldige Jahreszeiten und in Hitzewellen einen bedrohlichen Trend, das birgt die bittere Ahnung: Für die Jüngeren wird der vergangene Sommer zu den kühleren ihres Lebens gehören.“

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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