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Clemens J. Setz Bot - Gespräch ohne Autor (ein Geburtstagsgeschenk)

Ja, Birte und Martin haben auch bei einem alten Mann einen Nerv getroffen, der ihn offenkundig mit deutlich Jüngeren verbindet. Clemens J. Setz‘ Bot Gespräch ohne Autor (Suhrkamp – Berlin 2018) offenbart, dass da ein Autor bereits aufgegeben hatte und sich flüchten konnte in eine Idee, die selbst in einer (vermeintlich) aufgeklärten Welt noch Raum für Mystifikationen eröffnet – freilich nicht wirklich! Seitz erzählt – immerhin als Autor (und somit unfassbar authentisch), dass er scheiterte an einem Angebot seines Verlages mit der Lektorin Angelika Klammer (offenkundig auch ein Mensch aus Fleisch und Blut und Hirn) einen Gesprächsband zu machen:

„Angelika Klammer hatte schon zuvor mit verschiedenen Dichterinnen und Dichtern längere Interviews geführt. Sie flößte mir sofort großes Vertrauen ein. Aber nachdem wir uns dann getroffen hatten, erwies es sich, dass mit meinen transkribierten Antworten wenig anzufangen war. Stellen Sie sich vor, jemand redet einfach irgendwas, seitenlang. Genau so. Man muss das eben auch können, das mündliche Erzählen. So sehr ich mich auch bemühte, am Ende klang alles wie: >Na ja, ich versuche halt, wenn ich schreibe, das so zu machen, dass es auch irgendwie interessant ist für den Leser, weil, wenn es nicht interessant ist, dann ist es auch nicht wirklich interessant, denke ich, weil…< Und so weiter (S. 9f.)."

Immerhin räumt Clemens J. Setz im Fortgang seiner Ausführungen ein, dass es eine schwer zu verteidigende Eitelkeit bedeute, seine Notizbücher und Journale schon zu Lebzeiten zu publizieren. Im Endergebnis läuft es genau darauf hinaus. Ähnlich wie auch in meinem Fall, hat Setz seine Journale in „elendslangen Worddateien“ gesammelt. Heute ist es technisch ein Klacks, sich - bei den (wie in Setz Fall) vorliegenden Dateien – einen verstockten und unergiebigen Autoren als Gesprächspartner vom Halse zu halten und ihn K.I.-basiert zu ersetzen, indem man das Worddokument „zum Sprechen bringt“ und damit zum „lebenden Gesprächspartner“ macht:

„Damit keine menschliche Finderintelligenz die Ergebnisse verwässern konnte, wurden die Treffer durch eine simple Volltextsuche bestimmter zentraler Wörter innerhalb der formulierten Frage oder auch sinnverwandter Begriffe erzielt. In anderen Fällen wurde einfach nach dem Zufallsprinzip auf eine beliebige Seite gescrollt.“

Was herauskommt oszilliert zwischen faszinierenden, durchaus sinnträchtigen Textcollagen und schwerverdaulichem Kauderwelsch. Für einen jungen „Autoren“ mag dies seinen eigenen Reiz haben, da er sich möglicherweise auf unverhoffte und unerwartete Weise selbst begegnet. Ist man alt und stöbert in den tausenden von Seiten der eigenen Journale und Notizbücher sind diese Überraschungen gewissermaßen vorprogrammiert bzw. scheinen natürlich auch die Qualitäten eines Zufallsgenerators zu mobilisieren.

Natürlich entscheiden Verlag und letztlich die LeserInnen darüber, ob es sich lohnt Clemens J. Setz auf diese Weise zu begegnen. Martin und Birte haben es sicherlich gut gemeint und – wie man sieht – dem Autor, der sich zur Autorenschaft bekennt (dem das aber auch leicht fällt, weil ihm – dem Himmel sei Dank – das große Publikum fehlt) schon wieder ein Forum geboten, seine verschachtelten Selbst- und Fremdbeobachtungen im Spiegel sich selbst fragwürdiger Autoren wie Clemens J. Setz zu überdenken: Danke dafür!