<<Zurück

 
 
 
 

Saba-Nur Cheema zur Shoa

"Die Erinnerung an den Holocaust ist keine Frage der Abstammung, der Nationalität oder der Hautfarbe" - meint Saba-Nur Cheema. Die 1987 geborene Saba-Nur Cheema ist Muslima und mit dem Juden Meron Mendel verheiratet, mit dem sie gemeinsam eine Kolumne „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt. In ihrem Beitrag für die ZEIT (5/22, S. 7) begründet sie, warum dass Interesse und das Verantwortungsgefühl für die Verbrechen der Nazis keine rein biodeutsche Angelegenheit ist. Überaus beeindruckend erscheint die Initialzündung für ihre Begründung:

"Als ich in der Grundschule war, nahm mich meine Mutter jeden Samstag mit in die Stadtbücherei. Zwar konnte sie selbst die Bücher auf Deutsch nur schlecht lesen, doch war es ihr wichtig, dass ich früh die hiesige Sprache, Kultur und Geschichte lerne.

So fiel mein Auge eines Tages auf ein Buchcover mit einem lächelnden jungen Mädchen, das ein wenig älter schien als ich. Ich war sehr bewegt, als meine Mutter die Geschichte von Anne Frank erzählte. Ohne es in Worte fassen zu müssen, dachten wir beide in diesem Moment an die Verfolgung und Flucht meiner Eltern aus Pakistan. Durch die Lektüre des Tagebuchs erfuhr ich zum ersten Mal von der Shoa."

Ihre Geschichtslehrerin ermuntert sie, sich gemeinsam mit einer muslimischen Freundin für das Amt eines Guides zu bewerben - im Rahmen einer Anne-Frank-Ausstellung (in Frankfurt). Sie bekennt dann etwas naiv anmutend: "Im Laufe der Zeit merkte ich jedoch, dass wir Muslime in einer Gedenkstätte eine Attraktion darstellten [...] Mit fünfzehn verstand ich nicht, warum die Shoa nicht auch mich betreffen sollte." Von hier aus beeindruckt der Zeitsprung in die Gegenwart - er umfasst im Falle Saba-Nurs zwanzig Jahre. Sie schreibt:

"Genau vor zwei Jahren, am 27. Januar, dem Tag der Befreiung, war ich zum ersten Mal in Auschwitz. Ich hatte mich innerlich schon auf die übliche Frage vorbereitet, wieso ich als Muslima teilnehme. Wie berührend es für mich war, dass das nicht passierte! Denn es waren viele wie ich vor Ort. Es standen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Religion und Sprache in der eisigen Kälte nebeneinander. Uns verband der gemeinsame Wunsch, dass sich, egal wo auf der Welt, Auschwitz nicht wiederholen darf."

Nie wieder!

Eine weitere Anregung Saba-Nur Cheemas, die überaus bedenkenswert erscheint, bezieht sich auf die von ihre beobachtete Haltung der Mehrheitsgesellschaft, "mit dem Finger auf andere zu zeigen:

"Denn was ich schon in meiner Schulzeit beobachten konnte,ist inzwischen empirisch belegt: Die absolute Mehrheit der 'Biodeutschen' glaubt nicht, dass ihre Vorfahren Täter oder Mitläufer waren. Wenn man so will, haben wir es in unserer Gesellschaft nur mit Nachfahren von Opfern des Nazi-Regimes, heldenhaften Widerstandskämpfern oder mit Migranten zu tun. Diese verzerrte Wahrnehmung zu bearbeiten scheint mir eine dringende gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu sein."

Ja, zweifellos bleibt es eine zentrale Aufgabe, das Bewusstsein für die tatsächliche Verstrickung der Deutschen wachzuhalten und weiterhin aufzuarbeiten und der daraus abgeleiteten Verantwortung gerecht zu werden. Wie bemerkt Saba-Nur Cheema dazu so treffend:

"Zwar trägt die Beundesrepublik als Nachfolgestaat des Nazi-Regimes eine besondere Verantwortung. Allerdings ist diese nicht biologisch vererbt, sondern teil des politischen Selbstveständnisses.

Zweifellos ist es von enormer Bedeutung, dass diese Mahnung hier von einer 1987 Geborenen ausgeprochen wird. Meine Jahrgänge - die unmittelbaren Nachkriegs-Geborenen - müssen daran anschließen. Unsere Lehrer:innen wiederum haben das viel zu selten und nur in Ausnahmen zugelassen, so wie Wolfgang Klafki (gemeinsam mit anderen) in der Sammlung von Aufsätzen zu dem Themenkomplex: Verführung, Distanzierung, Ernüchterung - Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus, Weinheim und Basel 1988 (Beltz-Verlag)

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.