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Die Wannsee-Konferenz

Ich beziehe mich sowohl auf den Film von Matti Geschonneck (Regie) und Magnus Vattrodt (Buch) als auch auf die Filmkritik von Peter Kümmel in der ZEIT vom 20. Januar 2022. Aus der dreibändigen Enzyklopädie des Holocaust (2. Auflage, München/Wien 1998) habe ich mir die Lesart der professionellen historischen Sachwalter (Hauptherausgeber: Israel Gutman - Herausgeber der deutschen Ausgabe: Eberhard Jäckel, Peter Longerich und Julius Schoeps) zugänglich gemacht. Zuvor aber habe ich aus der aktuellen Ausgabe der ZEIT auf Seite 47 das Interview Iris Radisch' mit Yasmina Reza anlässlich der Veröffentlichung ihres aktuellen Romans Serge gelesen:

"Zum ersten Mal widmet sich die weltberühmte Autorin mit jüdisch-ungarisch-iranisch-russischen Wurzeln einem großen politischen Thema: Die drei erwachsenen Geschwister einer Familie jüdischer Überlebender machen einen Ausflug nach Auschwitz. Es ist ein großartiger, tragikomischer Roman, der von der Unmöglichkeit des Erinnerns handelt."

Dazu ein paar provozierende, steile Thesen, die uns dazu zwingen der Frage nachzugehen, wie wir uns begreifen in der von Yasmina Reza vorgenommenen Kastration, der wir als Beobachter unterliegen: Sie sagt:

"Für mich besteht die wahre Erinnerung in der Gefühlserinnerung, der subjektiven Erinnerung, nicht in einer pädagogischen. Sondern in der Erinnerung dessen, was du erlebt hast. Und du warst nicht dabei, also kannst du dich nicht erinnern [...] Moralische Erwartungen, die einen langen, schmerzhafte Lernweg abkürzen sollen, bringen nichts."

Iris Radisch erinnert sodann an den von Martin Walser verursachten Eklat, der sich vor vielen Jahren über die "Auschwitzkeule" echauffiert habe, die seiner Ansicht nach das wahre Gedenken verhindere. Yasmina Reza bekennt, dass ihr der Begriff der "Auschwitzkeule" sehr gefalle. Beim Besuch der Lager denke man, wie furchtbar, wie schrecklich und stelle sich selbst ein gutes Zeugnis aus. Das sei ein Art und Weise, guten Gewissens die Geschichte zu glätten. Das Gedenken werde verhätschelt, Statuen würden errichtet, all das diene der Beruhigung:

"Und man denkt, wir wären zu solchen Gräueln nicht imstande. Oh doch. Höchstwahrscheinlich doch [...] Das sehe ich auch so (sagt sie mit Blick auf Imre Kertész Auffassung, Auschwitz sei jederzeit wieder möglich). Ich halte es für eine gefährliche Illusion zu meinen, das Gedenken würde bessere Menschen hervorbringen. Ich glaube nicht an die Besserung des Menschen [...] Das Leid uns etwas lehren könnte, ist ein sehr romantische Vorstellung. Wie sollte es das können? EIne christliche Idee. Ich glaube das absolut nicht. Leid führt zu nichts, es ist nichts als Leid, es trägt nichts in sich."

Das ist ungeheuer starker Tobak und angesichts der bald 80 Jahre, die seit Kriegsende vergangen sind, mag es viele Argumente für einen absoluten Geschichtspessimismus geben. Andererseits verweise ich einmal an dieser Stelle auf die Tatsache, dass Kerneuropa - mit Blick auf die Nationen, die zwei Weltkriege miteinander vom Zaun gebrochen und ausgefochten haben - seit eben fast diesen 80 Jahren zu einer niemals für möglich gehaltenen Form eines friedlichen Miteinander gefunden haben. Und mir reicht Yasmina Rezas lapidarer Hinweis nicht, dass - und hier ist Frankreichs neuer Rechtsaußen Éric Zemmour gemeint - es unvermeidlich gewesen sei, dass irgendwer da den ersten Stein werfe: "Die Folgen eines Zemmour sind schwer zu ermessen, aber möglicherweise sind sie nicht ausschließlich negativ. Nicht alle seine Unterstützer sind Idioten."

Yasmina Reza ist Französin und lebt in Paris. Kann man ihre letzte Bemerkung ernst nehmen? Gegen Zemmour sind mehrere Verfahren anhängig. Eines der abgeschlossenen Verfahren führte zu einem rechtskräftigen Urteil und zur Verhängung einer Geldstrafe von € 10.000,- Begründung u.a.:

"[...]indem er unter den Franzosen eine Trennung vollzog zwischen der Gesamtheit der Muslime und den alteingesessenen Franzosen [français de souche] und indem er sie, ebenso wie die in Frankreich lebenden muslimischen Immigranten, nicht nur als die kriminellen Täter der Attentate von 2015 bezeichnete, sondern sie zu Kolonisatoren gewordenen ehemaligen Kolonisierten erklärte, stellen diese Worte eine Aufforderung – ebenso implizit wie explizit – zur Diskriminierung und zum Hass gegenüber der muslimischen Gemeinschaft und ihrer Religion dar."

Vermutlich gibt es heute keine(n) ernst zu nehmenden Autor(in) mehr, die behauptet, seine/ihre Figuren seien der Ausdruck reiner Tugendhaftigkeit. Und es ist aller Ehren wert, wenn Yasmina Reza meint, den Menschen so zu begreifen, wie er nun einmal sei:

"Ich stelle mich in in meinen Büchern unablässig dieser tugendhaften Pose entgegen [der Mensch] ist voller Schwächen, so sind wir eben (ich selbst natürlich eingeschlossen), und zu Großem imstande. Jämmerlich, großherzig, oft lächerlich..."

Es ist die Nahtstelle, an der sich der Übergang zur Neuverfilmung der Wannsee-Konferenz geradezu aufzwingt. Die ersten Sätze, mit denen Peter Kümmel diese Neuverfilmung würdigt, verdeutlichen auf brutale Weise, wie sehr Yasmina Reza uns auf ihre Weise die Banalität des Bösen auf banale Weise ins Gedächtnis ruft!

Unter Verbrechern 

"Vor 80 Jahren beschlossen 15 Männer die 'Endlösung der Judenfrage'. Der großartige TV-Film 'Die Wannseekonferenz' lässt ahnen, wie es geschah von Peter Kümmel. Peter Kümmel eröffnet mit dem Unerträglichsten und nennt die Beteiligten:

"Das Unerträglichste an diesem Fernsehfilm ist, wie die Männer, um die es geht, miteinander sprechen: die Gelassenheit, mit der sie die Vernichtung von elf Millionen Menschen beschließen. Es wird nicht gebrüllt. Reinhard Heydrich, der Vorsitzende der Konferenz, ist ein leiser, versonnener, fast zärtlich in die Zukunft blickender Herr."

Reinhard Heydrich: gespielt von Philipp Hochmair
Adolf Eichmann: gespielt von Johannes Allmayer
Dr. Karl Eberhard Schöngarth: gespielt von Maximilian Brückner
Erich Neumann: gespielt von Matthias Bundschuh
Dr. Gerhard Klopfer: gespielt von Fabian Busch
Dr. Wilhelm Stuckart: gespielt von Godehard Giese
Heinrich Müller: gespielt von Jakob Diehl
Dr. Alfred Meyer: gespielt von Peter Jordan
Dr. Roland Freisler: gespielt von Arnd Klawitter
Dr. Rudolf Lange: gespielt von Frederic Linkemann
Friedrich Wilhelm Kritzinger: gespielt von Thomas Loibl
Dr. Josef Bühler: gespielt von Sascha Nathan
Otto Hofmann: gespielt von Markus
Martin Luther: gespielt von Simon Schwarz
Dr. Georg Leibbrandt: gespielt von Rafael Stachowiak
Ingeborg Werlemann: gespielt von Lilli Fichtner

Nun habe ich mir über Wikipedia die Biografien der Beteiligten angesehen. Sehr schnell wird klar, dass ich z.B. allein mit Klaus Theweleits These vom Nicht-Zu-Ende-Geborensein zu kurz greifen werde. Die zugrundeliegenden Biografien halten ja mehrheitlich - formal betrachtet - den Maßstäben stand, die man gemeinhin an Mitglieder einer gehobenen Mittelschicht anlegt(e): Alle verfügen über eine mehr oder weniger gediegene schulische Bildung - einzig Adolf Eichmann fällt hier aus dem Raster, da er weder über einen Schul- noch über einen Berufsabschluss verfügt. Acht der fünfzehn Teilnehmer sind an deutschen Universtitäten promoviert worden. Reinhard Heydrich selbst repräsentiert auf besondere Weise einen ausgeprägten bildungsbürgerlichen Hintergrund. Er pflegte seine musischen Neigungen und Talente offenbar bis zu seinem Tod (Zitat aus dem Wikipedia-Beitrag: "Abseits der Schule erlernte Heydrich als Kind zweier Musiker mehrere Instrumente. Vor allem beim Violinspiel zeigte er einiges Talent und beherrschte es bald auf einem nennenswerten Niveau. Seine Leidenschaft für dieses Instrument blieb auch im Erwachsenenalter ungebrochen.")

Für die Lesart, die uns Peter Kümmel anbietet und für die Banalitäts-Hypothese benötigen wir einen anderen bzw. einen ergänzenden Erklärungsansatz. Peter Kümmel führt an einer Stelle aus:

"Der neue Wannsee-Konferenz-Film ist leiser, schneidender, trockener (als die Verfilmung aus 1984). Er legt sich wie Löschpapier auf den saftigen Sadismus des alten Films. Hier wird nicht mehr bloß Vergangenheit heraufbeschworen. Die allesamt großartigen Schauspieler von 2022 wenden sich gleichsam zu uns um - was nun auch im Raum steht, ist nicht Rekonstruktion des Grauenvollen, sondern die Möglichkeit, es könnte sich wiederholen."

Es bieten sich zwei Sichtweisen bzw. Analyseansätze an, die vielleicht ansatzweise dazu verhelfen können das Ungeheurliche begreifbar zu machen. Schreibt doch Peter Kümmel in Fortführung seiner weiter oben geäußerten Möglichkeitsphantasie:

"Beschlossen wird am Wannsee das Allerschlimmste, aber man tut es mit dem zivilen Gestus enes Briefings, das von Konsequenzen, gar von Schuld nichts weiß: weil man jenen, die man zu ermorden beschließt, das Lebensrecht a priori abspricht - die gehören nicht dazu."

Diese Feststellung entspricht der Lesart Zygmunt Baumans, wenn er von einem kategorialen Mordgeschehen spricht: Die Juden im Machtbereich der Nationalsozialisten wurden in diesem Sinne kollektiv und pauschal der Kategorie des homo sacer (Giorgio Agamben) zugerechnet, zu Menschen also, deren Leben - wie Bauman zeigt - keinen Wert besitzen und deren Ermordung als moralisch bedeutungslos betrachtet wurde und daher straffrei blieb. Bauman argumentiert, dass hier der Staat für sich das Recht beanspruche, bestimmen zu können, wer in den Genuss gesetzlich verbriefter Rechte und ethischer Prinzipien gelange und wer davon auszuschließen sei. Im Sinne Carl Schmitts liegt genau darin ein Wesensmerkmal moderner Souveränität (siehe dazu Thomas Assheuser in der ZEIT 8/20, S. 54).

Der zweite hier relevante und weiterführende Analyseansatz ist von Harald Welzer und Sönke Neitzel vorgelegt worden - und zwar mit ihrer Theorie des Referenzrahmens: Das programmatisch-theoretische Einführungskapitel in „Soldaten" (Sönke Neitzel und Harald Welzer, Frankfurt 2011) ist überschrieben mit dem Titel: „Der Referenzrahmen des ‚Dritten Reiches'". Beide gehen davon aus, dass die Sozial- und Kulturgeschichte des ‚Dritten Reiches' gut dokumentiert ist. Hinsichtlich des sich entwickelnden Referenzrahmens des ‚Dritten Reiches' heben sie zwei besondere Aspekte hervor: „Der erste Aspekt ist die sich mit der ‚Judenfrage' sukzessiv etablierende Vorstellung, Menschen seien kategorial ungleich (a.a.O, S. 48)." Der zweite Aspekt resultiert nach Neitzel/Welzer aus dem nationalsozialistischen Alltag: „Die Forschung neigt dazu, die symbolischen Formen gesellschaftlicher Praxis – also etwa ‚Ideologien', ‚Weltanschauungen', ‚Programmatik' zu untersuchen und dabei zu übersehen, dass die sozialen Praktiken des Alltags eine weit stärkere formative Wirkung haben – unter anderem deswegen, weil sie nicht reflexiv zugänglich sind." Eine detaillierte Auseinandersetzung kann man unter dem obigen Link zur Theorie des Referenzrahmens nachvollziehen.

Hören wir uns einmal Peter Kümmels Intervention an, mit der uns zwingt - gemütlich im Fernsehsessel sitzend - uns folgende Frage zu beantworten:

"Der Film hat die Wirkung, das sein Zuschauer sich die Frage stellt: Sind Umstände denkbar, unter denen ich an dieser Konferenz teilgenommen hätte? In der Wannseekonferenz gibt es die feine Scheidelinie zwischen denen, die 'nur' Gesetze formulieren und Befehle unterschreiben, die also im Ausfertigungs- und Urkundengewerbe tätig sind und es recht gemütlich haben in ihren Büros (in die sie nach dieser Konferenz auch unverzüglich wieder zurückkehren werden) - und jenen, die schon die ganze Zeit tun, was die Büroinsassen nur anordnen. Jene, die Ausführenden schauen mit einer angewiderten Ungeduld auf die Anzugträger, die nicht persönlich 'im Judenblut waten'."

Es lässt uns aufhorchen, dass die Beantwortung dieser Frage wohl etwas mit denkbaren  Umständen zu tun haben könnte. Und gegenwärtig leben wir unter Umständen, die nur ein klares und eindeutiges Nein im Sinne eines Nie wieder zulassen! Warum??? Wer kann hier noch die Frage Warum stellen? Bevor ich aus meiner Sicht diese Frage beantworte, begründe ich zunächst einmal, warum ich Yasmina Reza widerspreche und im Sinne Erich Kästners sage: Ja, alle die Éric Zemmour  u n t e r s t ü t z e n  - oder auch nur Björn Höcke - sind  I D I O T E N. Pardon - natürlich nicht alle sind schlichte Idioten - Éric Zemmour, Björn Höcke, auch Alexander Gauland können die Schutzbehauptung, Idioten zu sein, nicht für sich in Anspruch nehmen. Sie gehören zu den Demagogen, die wider besseres Wissen, das Nie wieder ignorieren. Insofern hat man Zemmour vollkommen zu recht den Prozess gemacht und ihn der rassistischen Diskriminierung und des Aufrufs zum Hass für schuldig befunden!

Denn sie können keinen Referenzrahmen für sich reklamieren, der ihnen im sozialen Umfeld und über die unausweichlichen und damit prägenden Institutionen (oft genug die Familie, Vereine, Schule, Medien, Politik, Kultur, Betriebe und Unternehmen, Wehrmacht und RAD, Hitlerjugend und BdM, KdF, SA und SS - selbst die Kirchen und und und) Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat - eben permanent - nicht nur suggeriert, sondern einhämmert (auch einprügelt), dass die Menschen kategorial ungleich  s i n d (Indikativ), dass alle Deutschen traumatisiert sind von der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem darauf folgenden Dikatat von Versailles und dass Deutschland zu recht Revanche fordert. In den auf den Krieg folgenden Jahren war die Revision dieses Vertrages erklärtes Ziel der deutschen Außenpolitik: Weder die „Legitimität des Friedens“ noch die Tatsache, dass Deutschland den Krieg militärisch verloren hatte (→ Dolchstoßlegende), wurden akzeptiert.

Wie beantworten wir denn heute die Frage nach dem prägenden Referenzrahmen, dem wir ausgesetzt sind. Wie beantworte ich - Jahrgang 1952 - diese Frage? Ich beginne einmal mit aktuellen Beobachtungen in einer als aufgeklärt geltenden Gesellschaft, in der das öffentliche Schulwesen auf der Grundlage unseres Grundgesetzes insgesamt für ein dem entsprechendes Wertesystem steht. Das bedeutet im Sinne eines zivilisatorischen Minimums die radikale Zurückweisung einer kategorialen Unterscheidung von Menschen, was unter den Nazis die Legitimationsgrundlage für systematischen Massenmord abgab. Unser Referenzrahmen manifestiert sich in den Grundrechten, in den ersten zwanzig Artikeln unseres Grundgesetzes:

Das Grundgesetz in seinem aktuellen Wortlaut ist obigem Link zu entnehmen. Die wichtigsten der verbrieften Grundrechte habe ich angerissen. Es liegt mir im Verstand und am Herzen einen weiteren Artikel hier zu Gänze wiederzugeben, weil er im aktuellen Diskurs nachhaltig zur Kenntnis genommen werden sollte:

Artikel 19 regelt das Procedere und die Auflagen für die Einschränkung von Grundrechten, wie wir sie im Übrigen gegenwärtig im Zuge der covid-19-geschuldeten Maßnahmen erleben. Die Opposition zu diesen Maßnahmen erleben wir auf der Straße, aber auch vor den Gerichten unserer Republik, die sich als demokratischer Rechtsstaat versteht. Wir erleben die Wahrnehmung von Grundrechten - so zum Beispiel des Versammlungsrechts (geregelt in Artikel 8); und wir erleben vor allem den parlamentarischen und öffentlichen Diskurs um die Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der innerhalb der letzten beiden Jahre verhängten Einschränkungen von Grundrechten.

Im Zuge dieser Auseinandersetzungen fällt mir auf, dass es zu einem bedauerlichen Verfall einer soliden politischen Grundbildung kommt. Ich habe mich mein (Hochschul-)Lehrerleben lang einer soliden politischen Grundbildung verpflichtet gefühlt. Es beschämt mich, dass eine kleine Gruppe von rechtsextremen Idioten (lediglich ihren Wortführern räume ich das Prädikat Demagogen ein) in der Lage ist, immer wieder den Schulterschluss zu erreichen mit vorgeblich um die Einschränkung unserer Grundrechte besorgten Bürgern.

Nehmen wir nur einmal den unerträglichen Analogieschluss, den Bürger dieses Landes - und hier kann ich nur im wahrsten Sinne des Wortes von dummen, vollkommen geschichtsvergessenen Idioten sprechen - mit dem Tragen des Judensterns herstellen. Die Beschämung resultiert aus dem unertäglichen Missbrauch von Symbolen, deren Diskriminierungsaufgabe in der Ausgrenzung der letztlich dem Massenmord übereigneten ethnischen Gruppe der Juden bestand - in Abwandlung wurde sein Tragen im Übrigen von den Nazis zur Kennzeichnung von Kriminellen, Asozialen, Rassenschändern, Zigeunern, Homosexuellen und politischer Schutzhäftlinge verhängt (siehe: Enzyklopädie des Holocaust, (2. Auflage, München/Wien 1998, Seite 1713) - und siehe exemplarisch zum Missbrauch dieser Symbole den österreichischen Standard.

Wenn diese hirnlosen Staatsbürger (politische und geschichtliche Bildung: ungenügend) sich erdreisten, die ostentativen Symbole der Organisation des Massenmords auf ihre Kleidung zu heften, dann sollten sie sich bewusst sein, sich im Geltungsbereich eines demokratischen Rechststaats zu bewegen. Allerdings sollten sie sich - um das Bewusstsein genau für diesen Referenzrahmen zu schärfen - einmal den zu ihrem Verhalten passenden, alternativen Referenzrahmen in ihren beschränkten Wahrnehmungshorizont einverleiben - ja, ich meine das im Wortsinn:  e i n v e r l e i b e n !

Sie sollten sich abends in ihr Bett legen und sich vorstellen, wie die GeStaPo mitten in der Nacht in ihre Wohnung eindringt, sie aus ihren Betten und ihrer Wohnung treibt und zum Verhör in einen der einschlägigen Orte verbringt, sie dort zwingt ihre Kleidung abzulegen, sich einer Leibesvisitation zu unterziehen, Häftlingskleidung anzulegen (in diesem Fall dann nicht mit dem Judenstern, sondern mit dem  D U M M E N S T E R N  versehen). Ihnen würden nicht ihre Rechte verlesen, sie könnten keinen Anwalt anrufen. Sie würden bei Zuwiderhandlung auf Wasser und Brot in Einzelhaft genommen (Folter selbstredend inclusive). Ihr weiterer Weg würde sie in eines der KZs bzw. Vernichtungslager führen; so wie die Juden, die Ethnien der Roma und Sinti, die Homosexuellen oder die von den Nazis politisch Verfolgten würden sie (wenn sie Glück hätten) unter Vortäuschung falscher Tatsachen den Gaskammern zugeführt - vielleicht auch nur der Vernichtung durch Arbeit übereignet, gespielt würde ihnen die Todesfuge, und die ist nicht von Johann Sebastian Bach. Den Nazis ist dies wohl nicht in den avisierten 11 Millionen Menschen jüdischer Herkunft gelungen, aber in weitaus mehr als 6 Millionen - Männer, Frauen, Kinder jeden Alters! Was bringt Euch - um Himmels Willen - dazu hier eine Analogie zu sehen?

Jana aus Kassel, was ist los? Wer hat Dir ins Gehirn geschissen? Das kann doch nicht wahr sein! Welche Schule hast Du besucht? Wer waren Deine Lehrer? Wer sind Deine Eltern? In welchem Freundeskreis bewegst Du Dich? Weißt Du, wer Sophie Scholl war? Schau Dir Deinen Auftritt in Hannover zu Hause auf der Couch noch einmal in aller Gemütlichkeit an. Vielleicht kann man für Dich aber auch einmal einen Aufenthalt in der Todeszelle arrangieren - so zum Nachfühlen, vielleicht für alle, die glauben, unseren Rechtsstaat mit der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten vergleichen zu können. Und dann schaut Ihr bitte mal nach rechts, ja nach rechts, wer da neben Euch marschiert! Erich Kästner hat schon 1928 mit seinem Marschliedchen gewusst, was Ihr noch mühsam lernen müsst. Wenn Ihr das aber nicht wollt, dann bewerbt Euch doch einmal mit den rechten Spacken für ein Praktikum bei den Chinesen in einem der Umerziehungslager für die Uiguren oder vielleicht bei Herr Putin, dass er Euch einmal in einem seiner GULags hospitieren lässt. Klar, Du kleine Elfjährige aus Karlsruhe, Du bist noch zu jung - naja, mal eben vier Jahre jünger als Anne Frank, als sie in Bergen-Belsen ermordet wurde. Lass Dir von Deinen Eltern doch mal einen diskreten Wohntrakt innerhalb Eurer Wohnung abmauern, damit Du das Anne-Frank-Feeling etwas authentischer in Dich aufnehmen kannst. Bleib da einfach mal für ein paar Monate, lass Dich verpflegen und vielleicht findet sich noch ein paar Laienschauspieler, die Deinen Verrat inszenieren, Deine Deportation und Deine Leidenszeit im KZ. Verdammt, wer scheißt Euch ins Gehirn? Merkt Euch: Der Führer hat sich schon über Euch amüsiert - immer wenn er sich auf der Latrine erleichtert hat und dabei der Überzeugung war: "Ich, Euer Führer, sitze hier, die braunen Massen unter mir!" Ihr solltet Euch nicht ins Gesicht scheißen lassen! Den zu meiner Studentenzeit häufig auf den Toiletten zu lesenden Ausspruch des Führers hat jemand mal folgendermaßen kommentiert: "Mich hat er nicht beschissen, ich habe ihm die Eier abgebissen!" Zugegebenermaßen, alles sehr unappetitlich. Aber all dies ist Feinkost gegen die rechten und rechtsextremen Umtriebe der letzten Jahre und Monate.

Ich wiederhole mich noch einmal - auch gegen Yasmina Reza: Wir haben das Glück -  im Übrigen die rechten Hetzer: das  u n v e r d i e n t e  Glück, in einem Referenzrahmen zu leben, der durch das Grundgesetz definiert wird, durch Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und das Sozialsstaatsgebot. Woran rechte Hetzer und Demagogen anschließen hat tendenziell immer zu tun mit einem Referenzrahmen, wie er durch den Nazi-Terror-Staat abgesteckt und praktiziert worden ist: Dort wurden Menschen kategorial voneinander unterschieden, und denjenigen, die nicht dazu gehören durften, wurde das Lebensrecht abgesprochen. Aus dem: "Wir werden sie jagen!" wurde tagtägliche Verfolgung; schon ab 1933 war die Jagd eröffnet und weitete sich in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Massenmord aus: Ja, wehret den Anfängen - es hat lange schon wieder angefangen. Adornos Erziehung nach Auschwitz - das  N I E  W I E D E R ! gehört zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Wer dies nicht akzeptieren will, muss gehen.