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Sabine Bode - noch einmal: Kriegskinder und Kriegsenkel (Teil I)

Im 2009 erstmals veröffentlichten Buch "Kriegsenkel" (Klett-Cotta - Stuttgart 2009) von Sabine Bode stoße ich auf folgende Sätze (und damit verbundene Fragen bzw. Hypothesen):

Moritz Pfeiffer - Jahrgang 1982 - wird mir im Folgenden exemplarisch dienen, um eine Form der Auseinandersetzung anzubieten, die mir bedeutsam erscheint. Mit Pfeiffer tritt ein Kriegsenkel auf den Plan und nutzt die Chance, im Sommer 2005 mit seinem Großvater sogenannte Erinnerungsinterviews zu führen (Moritz Pfeiffer: Mein Großvater im Krieg. Erinnerung und Fakten im Vergleich. Mit einem Geleitwort von Wolfram Wette, Donat Verlag, vierte Auflage, Bremen 2013). Er bemerkt dazu mit Blick auf den Familienkontext:

"Das achtzigseitige Erinnerungsinterview erwies sich als ein Erfolg im Familienkreis, als ich es zu Weihnachten als Geschenk präsentierte. Doch es war in meinen Augen noch unvollendet. An zahlreichen Stellen widersprach mein Großvater sich selbst oder seine Ausführungen stimmten nicht mit den mir inzwischen bekannten Forschungsergebnissen überein." Wenige Zeilen später macht Moritz Pfeiffer noch einmal deutlich, dass seine 2006 kurz hintereinander verstorbenen Großeltern innerhalb der weit verzweigten Familie "so etwas wie einen Mittelpunkt" darstellten: "zwei Menschen, die ihre beiden Töchter, die Schwiegersöhne un die zahlreichen Enkel und Urenkel liebevoll behandelten und geprägt haben (vgl. a.a.O., S. 23)."

Ganz zweifellos unterschätzt der junge - zur Zeit der Interviews 24jährige - Moritz Pfeiffer die Tatsache, dass er die Interviews selbst führt; auch wenn er an einer Stelle bekennt:

"In einigen Situationen bemerkte ich die emotionale Belastungt meines Großvaters und bot ihm durch eine eher harmlose Frage den Ausweg aus seinem Stress an, anstatt eine Antwort herauszufordern und eine Konfrontation heraufzubeschwören. Hier wird deutlich, wie sehr die familiäre Eingebundenheit bei aller vorgenommenen Professionalität und Objektivität das Gespräch beeinflusst (S. 26)."

Wertvoll sind Pfeiffers Bemühungen weniger unter dem Gesichtspunkt, Licht ins Dunkel der Geschichte seines Großvaters und seines Großonkels zu tragen - insbesondere am Beispiel seines Großonkels werden die engen Grenzen sichtbar, die auch einen professionell vorgehenden jungen Historiker mit Blick auf den familiären Kontext offenkundig hemmen.

Allein die Bemühungen in der Auseinandersetzung mit den Rahmennarrativen - was zum Beispiel die typischen Formen im Umgang mit der Vergangenheit anbelangt - weisen Pfeiffers Arbeit als richtungsweisend aus. Sich noch einmal zu vergegenwärtigen, dass es da eben erstens das Verschweigen, Leugnen und Vermeiden einer lückenlosen Aufklärung als Grundhaltung gebe. Ralph Giordano belegt diese Haltung mit dem Begriff der "Zweiten Schuld (1987). Bereits 1967 waren Margarete und Alexander Mitscherlich mit der "Unfähigkeit zu trauern" von einer unzureichenden Beschäftigung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit ausgegangen. Zweitens spricht Pfeiffer - wie auch bei Sabine Bode vielfach belegt - von einem Phänomen, das mit der Übertragung von Schuld und Traumata auf die nachfolgenden Generationen einhergehe. Und drittens lasse sich die von Harald Welzer (Opa war kein Nazi, Fischer-Verlag, Frankfurt 2002) erforschte Tendenz belegen, der zufolge die eigenen Eltern, bzw. Großeltern trotz ansonsten intensiver oder zumindest interessierter Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit aus dem historischen Kontext herausgelöst werden.

So macht sich also Moritz Pfeiffer mit seiner Vorgehensweise durchaus verdient: Sein Motiv resultiert aus der "großen Faszination", die die historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts auf ihn ausübten. Da ist einerseits die Erinnerungswelt gegenüber seinen Großeltern:

"Meine Großeltern lernte ich als offene Menschen kennen,die viel über ihre Erlebnisse im Dritten Reich und in ihrer Heimatstadt Wuppertal berichteten. So stellte es keineswegs ein Geheimnis dar, dass meine Großmutter Edith als ranghohe 'Führerin' beim 'Bund Deutscher Mädel' einen 'Ring' von immerhin 1000 Mädchen befehligte. Ebenso offen sprach man darüber, dass mein Großvater Han Hermann Berufsoffizier werden wollte und eine militärischer Karriere begann, die ihn als Fahnenjunker ins gerade okkupierte Polen und in den 'Feldzug' gegen Frankreich, als Leutnant in das 'Unternehmen Barbarossa', also den Überfall auf die Sowjetunion, und als Oberleutnant wieder in das besetzte Frankreich führte (S. 22)."

Andererseits möchte Moritz Pfeiffer einen "neuen Beitrag" leisten in der "Auseinandersetzung mit einer durchaus typischen deutschen Familie". Und in der Tat: Bricht man den uns vor Augen stehenden Wahnsinn einer komplexen wie bis in die Details gleichermaßen etablierten Terrorherrschaft des Naziregimes auf Familienkontexte herunter, kann man wohl mit Moritz Pfeiffer zu folgender Einsicht gelangen:

"Sie - diese Auseinandersetzung bestätigt einige Erkenntnisse früherer wissenschaftlicher Forschungsarbeiten zur Schuldfrage und zum Umgang mit der Vergangenheit. Darüber hinaus kommen Aspekte zur Sprache, die den einzelnen Familienmitgliedern so nicht bekannt gewesen sind und sie mit Quellen und Akten konfrontieren, die bis dahin niemand in der Familie gelesen, analysiert oder sich vor Augen geführt hat. Wie viel von den Strukturen, Mechanismen und Begebenheiten der NS-Geschichte zwischen 1933 und 1945 sich bereits einer durchschnittlichen Familienhistorie sich entnehmen lassen und in ihr erkennbar sind, hat nicht zuletzt mich selbst überrascht (S. 30)."

Morgen folgt Teil II - Was heißt Teil II? Ich füge hier einfach noch einmal die Kapitel drei bis sechs aus: Hannah Schmitz, Franz Streit, Bernhard Schlink und Michael Berg an: Das fügt sich deshalb, weil es mit demVersuch einer Aufarbeitung Wolfgang Klafkis beginnt. Er zeigt im folgenden, wie die späten 20er Jahrgänge Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus erlebt haben:

Drittes Kapitel

Wolfgang Klafki (Hrsg.): Verführung, Distanzierung, Ernüchterung - Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographisches aus erziehungswissenschaftlicher Sicht, Weinheim und Basel 1988 (Beltz-Verlag).

Ein knapper Exkurs in die Erziehungswissenschaft

Wolfgang Klafki wurde 1927 in Angerburg/Ostpreußen geboren und wuchs bis zu seinem 16. Lebensjahr dort auf. Er wird zu einem einjährigen Luftwaffenhelfereinsatz in Nordwestdeutschland verpflichtet und gerät nach Arbeits- und Wehrdienst und  nach einer schweren Verwundung in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Als Herausgeber der weiter oben angegebenen Publikation betont Klafki in der Einleitung zu diesem Sammelband,

dass er sich an einer "bestimmten Akzentuierung der Forschung über den Nationalsozialismus" orientiere, vor allem "unter der Perspektive, wie das nationalsozialistische Herrschaftssystem im Alltag der Menschen, die innerhalb dieses Systems lebten, wirkte, wie Personen unterschiedlicher Altersstufen, unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen, Schichten, Gruppen, sozialgeografischer Räume, politischer, kultureller und religös-weltanschaulicher Traditionen den Nationalsozialismus rezipiert, verarbeitet, sich mit ihm identifiziert, sich in ihm arrangiert haben, ihn mitgetragen, sich innerlich oder praktisch handelnd von ihm mehr oder minder konsequent distanziert oder ihn bekämpft haben." (a.a.O., 7)

Wolfgang Klafki gehört zu den prägenden und einflussreichsten Figuren der deutschen Schulpädagogik - der Allgemeinen Didaktik im engeren Sinne. Auch ich betrachte ihn für mich - im Hinblick auf meine disziplinäre Sozialisation - als prägende und richtungsweisende Figur. In dem hier vorliegenden Gesamtkontext,

soll uns Wolfgang Klafki am eigenen Fall wenigstens ein paar Hinweise geben, wie ein Überlebender sich auf seine Sozialistation besinnt, neu aufstellt und mit der Schuldfrage umgeht: Unter Kapitel III seiner Ausführungen "Politische Identitätsbildung: Zwischen Führerglauben und Distanzierung" (a.a.O., S. 143-170) bekennt Wolfgang Klafki:

Wolfgang Klafki betont bei alledem,

Im Rückblick auf seine biographische Rekonstruktion seiner politischen Identitätsbildung als Kind und Jugendlicher stellt sich Wolfgang Klafki vor allem die Frage, wie er "innerlich mit der Spannung zwischen den identifikatorischen und den im Laufe der Zeit immer zahlreicher werdenden Distanzierungs- und Zweifelsmomenten" fertiggeworden ist. Klafki führt aus, dass es vor allem die "Realerfahrungen und Beobachtungen" waren, die es ihm jedenfalls - "wie etlichen anderen Altersgenossen" erlaubte, sich nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes vom Nationalsozialismus abzukehren. Diese "Abkehr" vollzieht sich zwar auf dem Hintergrund schockierender Erfahrungen und Enthüllungen, denn:

Wolfgang Klafki berichtet unter anderem von einer konkreten Beobachtung im Umgang mit russischen Kriegsgefangenen: "Mich erschreckte die Brutalität des deutschen Wachmannes zutiefst, die Beobachtung beschäftigte mich in der Vorstellung tagelang." Sein nachfolgendes Eingeständnis macht deutlich, warum wir Goldhagens These von "Hitlers willigen Vollstreckern" substanziell und strukturell nicht wirklich ignorieren können:

Viertes Kapitel

"Ich habe... ich meine... Was hätten Sie denn gemacht?" (107) Der Richter bemüht das "zivilisatorische Minimum": "Es gibt Sachen, auf die man sich nicht einlassen darf und von denen man sich, wenn es einen nicht Leib und Leben kostet, absetzen muss." (ebd.) Michael bemerkt dazu:

"Die Antwort des Richters wirkte hilflos, kläglich. Alle empfanden es. Sie reagierten mit enttäuschtem Aufatmen und schauten verwundert auf Hanna, die den Wortwechsel gewissermaßen gewonnen hatte." (107f)

Michael bekennt, dass er nicht mehr weiß, wann er Hanna erstmals verleugnet hat. Aber er spürt früh, dass das Gefühl der Schuld "schlimmer als die körperliche Sehnsucht war". (80) Die mächtige, für ihn unauflösliche Verstrickung treibt ihn von den großen Vs hinein in die Pendelbewegung zwischen den beiden großen S - Schuld und Scham. Michael lädt Schuld auf sich, weil er - ohne jeden Befehlsnotstand - Hannas Scham über ihr Analphabetentum wie eine Monstranz vor sich her trägt und ihre Selbstbezichtigung mit dramatischen Folgen für den Prozessverlauf und das ihr auferlegte Strafmaß geschehen lässt. Er schämt sich, weil er - ex post factum - keinen Weg findet, einer aus seiner Sicht schuldhaften Verstrickung zu entgehen:

"Seltsam berührte mich die Diskrepanz zwischen dem, was Hanna beim Verlassen meiner Heimatstadt beschäftigt haben musste, und dem, was ich mir damals vorgestellt und ausgemalt hatte. Ich war sicher gewesen, sie vertrieben, weil verraten und verleugnet zu haben, und tatsächlich hatte sie sich einfach einer Bloßstellung bei der Straßenbahn entzogen. Allerdings änderte der Umstand, dass ich sie nicht vertrieben hatte, nichts daran, dass ich sie verraten hatte. Also blieb ich schuldig. Und wenn ich nicht schuldig war, weil der Verrat einer Verbrecherin nicht schuldig machen kann, war ich schuldig, weil ich eine Verbrecherin geliebt hatte." (129) Und "das schlimmste waren die Träume, in denen mich die harte, herrische, grausame Hanna sexuell erregte und von denen ich in Sehnsucht, Scham und Empörung aufwachte. Und in der Angst, wer ich eigentlich sei." (142)

Diese Frage treibt ihn auf eine gewisse Weise um. Er beginnt die unzumutbaren Anteile in sich abzuspalten: "Wer hatte mir die Spritze gegeben? ich mir selbst, weil ich es ohne Betäubung nicht ausgehalten hätte?" (97) Michael erfährt an sich selbst, was Götz Aly mit der emotionalen Vereisung einer ganzen Generation meint. Die Betäubung erlaubt ihm, Hanna zu erleben, als sei es ein anderer, der sie geliebt und begehrt hatte - "jemand, den ich gut kannte, der aber nicht ich war". Erst gut 60 Seiten später gestattet sich Michael Genesung über einen Fieberschub, mit dessen Krisis sich auch die anhaltende Betäubung auflöst.

Berhard Schlink schenkt Michael mit dieser Genesung eine Läuterung, die so sehr das Dilemma offenbart, in dem sich die Kriegskinder und die Nachgeborenen bewegen, ohne dass es auch nur wenigen zu Bewusstsein käme. Michael unterzieht sich in der folgenden Passage einer bemerkenswerten Selbstanalyse:

"Als ich das Studium beendet und das Referendariat begonnen hatte, kam der Sommer der Studentenbewegung. Ich interessierte mich für Geschichte und Soziologie und war als Referendar noch genug in der Universität, um alles mitzukriegen. Mitkriegen heißt nicht mitmachen - Hochschule und Hochschulreform waren mir letztlich ebenso gleichgültig wie Vietkong und Amerikaner. Was das dritte eigentliche Thema der Studentenbewegung anging, die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, spürte ich eine solche Distanz zu den anderen Studenten, dass ich nicht mit ihnen agitieren und demonstrieren konnte. Manchmal denke ich, dass die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht der Grund, sondern nur der Ausdruck des Generationenkonflikts war, der als treibende Kraft der Studentenbewegung zu spüren war. Die Erwartungen der Eltern, von denen sich jede Generation befreien muss, waren damit, dass diese Eltern im Dritten Reich oder spätestens nach dessen Ende versagt hatten, einfach erledigt. Wie sollten die, die die nationalsozialistischen Verbrechen begangen oder bei ihnen zugesehen oder von ihnen weggesehen oder die nach 1945 die Verbrecher unter sich toleriert oder sogar akzeptiert hatten, ihren Kindern etwas zu sagen haben. Aber andererseits war die nationalsozialistische Vergangenheit ein Thema auch für die Kinder, die ihren Eltern nichts vorwerfen konnten oder wollten. Für sie war die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht die Gestalt eines Generationenkonflikts, sondern das eigentliche Problem.

Was immer es mit Kollektivschuld moralisch oder juristisch auf sich haben oder nicht auf sich haben mag - für meine Studentengeneration war sie eine erlebte Realität. Sie galt nicht nur dem, was im Dritten Reich geschehen war. Dass jüdische Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert wurden, dass so viele alte Nazis bei den Gerichten, in der Verwaltung und an den Universitäten Karriere gemacht hatten, dass die Bundesrepublik den Staat Israel nicht anerkannte, dass Emigration und Widerstand weniger überliefert wurden als das Leben in der Anpassung - das alles erfüllte uns mit Scham, selbst wenn wir mit dem Finger auf die Schuldigen zeigen konnten. Der Fingerzeig auf die Schuldigen befreite nicht von der Scham. Aber er überwand das Leiden an ihr. Er setzte das passive Leiden an der Scham in Energie, Aktivität, Aggression um. Und die Auseinandersetzung mit schuldigen Eltern war besonders energiegeladen:

Ich konnte auf niemanden mit dem Finger zeigen. Auf meine Eltern schon darum nicht, weil ich ihnen nichts vorwerfen konnte. Der aufklärerische Eifer, in dem ich seinerzeit als Teilnehmer des KZ-Seminars meinen Vater zu Scham verurteilt hatte, war mir vergangen, peinlich geworden. Das aber, was andere aus meinem sozialen Umfeld getan hatten und womit sie schuldig geworden waren, war allemal weniger schlimm, als was Hanna getan hatte. Ich musste eigentlich auf Hanna zeigen. Aber der Fingerzeig auf Hanna wies auf mich zurück. Ich hatte sie geliebt. Ich hatte sie nicht nur geliebt, ich hatte sie gewählt. Ich habe versucht mir zu sagen, dass ich, als ich Hanna wählte, nichts von dem wusste, was sie getan hatte. Ich habe versucht mich damit in den Zustand der Unschuld zu reden, in dem Kinder ihre Eltern lieben. Aber die Liebe zu den Eltern ist die einzige Liebe, für die man nicht verantwortlich ist.

Und vielleicht ist man sogar für die Liebe zu den Eltern verantwortlich. Damals habe ich die anderen Studenten beneidet, die sich von ihren Eltern und damit von der ganzen Generation der Täter, Zu- und Wegseher, Tolerierer und Akzeptierer absetzten und dadurch wenn nicht ihre Scham, dann doch ihr Leiden an der Scham überwanden. Aber woher kam die auftrumpfende Selbstgerechtigkeit, die mir bei ihnen oft begegnete? Wie kann man Schuld und Scham empfinden und zugleich selbstgerecht auftrumpfen? War die Absetzung von den Eltern nur Rhetorik, Geräusch, Lärm, die übertönen sollten, dass mit der Liebe zu den Eltern die Verstrickung in deren Schuld unwiderruflich eingetreten war?

Das sind spätere Gedanken. Auch später waren sie kein Trost. Wie sollte es ein Trost sein, dass man mein Leiden an meiner Liebe zu Hanna in gewisser Weise das Schicksal meiner Generation, das deutsche Schicksal war, dem ich mich nur schleichter entziehen, das ich nur schlechter überspielen konnte als die anderen (160ff)."

Aber woher kam die auftrumpfende Selbstgerechtigkeit, die mir bei ihnen oft begegnete?

Fünftes Kapitel

Mit dieser Frage, die ich von Michael übernehme, werde ich mir selbst verdächtig. Sascha Feuchert und Lars Hofmann, die den "Vorleser" 2005 erstemals für den "Reclam-Lektüreschlüssel" didaktisch aufbereiten (ich beziehe mich auf die aktuelle Auflage, Stuttgart 2016) kommen im ersten Kapitel "Erstinformation zum Werk" zu dem Resümee, dass "die Erzählung letztendlich deutlich einem Ziel dient: "Der Entlastung des Ich-Erzählers von seiner eigenen Schuld, eine SS-Täterin geliebt zu haben (6)."

Allerdings - betonen Feuchert/Hofmann - seien damit jedoch die generellen Fragen der Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Schuld und Täterschaft verbunden, die allesamt auf der Ebene des Romans -  und natürlich weit darüber hinaus - beantwortet werden müssten. Ein weiterer Hinweis bezieht sich auf die Kontroverse, die den Dissens offenbart, der sich in diametral entgegengesetzten Bewertungen äußert: Einmal durch die "Interpreten der 'ersten Generation'", die den "Vorleser" überschwänglich feiern und zum anderen durch die "Interpreten der 'zweiten Generation'", die den Roman als "Holo-Kitsch" attackieren und mehr noch : beklagen: "Es wirft ein trauriges Schlaglicht auf unsere verkehrte Welt, dass diesen Schundroman ausgerechnet ein deutscher Richter ausgebrütet hat." (Jeremy Adler zitiert nach Feuchert/Hofmann, S. 69)

Versuchen wir es einmal unter Hinzunahme einer weiteren Kontroverse, die im Kontext der Geschichtswissenschaft durch die Betonung des "Referenzrahmens" durch Sönke Neitzel und Harald Welzer eingeleitet wird:

Das programmatisch-theoretische Einführungskapitel in „Soldaten" (Sönke Neitzel und Harald Welzer, Frankfurt 2011) ist überschrieben mit dem Titel: „Der Referenzrahmen des ‚Dritten Reiches'". Beide gehen davon aus, dass die Sozial- und Kulturgeschichte des ‚Dritten Reiches' gut dokumentiert ist. Hinsichtlich des sich entwickelnden Referenzrahmens des ‚Dritten Reiches' heben sie zwei besondere Aspekte hervor: „Der erste Aspekt ist die sich mit der ‚Judenfrage' sukzessiv etablierende Vorstellung, Menschen seien kategorial ungleich (a.a.O, S. 48)." Der zweite Aspekt resultiert nach Neitzel/Welzer aus dem nationalsozialistischen Alltag: „Die Forschung neigt dazu, die symbolischen Formen gesellschaftlicher Praxis – also etwa ‚Ideologien', ‚Weltanschauungen', ‚Programmatik' zu untersuchen und dabei zu übersehen, dass die sozialen Praktiken des Alltags eine weit stärkere formative Wirkung haben – unter anderem deswegen, weil sie nicht reflexiv zugänglich sind.

Diese formative Kraft des Faktischen bildet einen wesentlichen Aspekt des Referenzrahmens des ‚Dritten Reiches' (ebd., S. 49)." Solche Überlegungen fließen auch ein in mein "Gespräch mit Franz Streit" (Vater meiner Schwester und Angehöriger der 9. Panzerdivision).

Neitzel/Welzer übertragen diesen Erklärungsansatz gleichermaßen auf den "Krieg gegen die Sowjetunion und die Verbrechen an Kriegsgefangenen" (in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 6/2011). Die Autoren bezweifeln, "dass die Soldaten, die am frühen Morgen des 22. Juni 1941 ihre Anordnungen erhielten, begriffen, welch ein Krieg ihnen bevorstehen würde" (Blätter, S. 112). Jede Vergleichbarkeit mit den raschen Offensivkriegen in Polen, Frankreich oder auf dem Balkan erwies sich als trügerisch und unzureichend. Dass man es bis in die Hauptkampflinie mit einem "Vernichtungskrieg mit bislang beispielloser Härte" zu tun haben würde, war zweifellos den allermeisten Soldaten nicht klar; vor allem "dass im Rahmen dieses Krieges systematisch Personengruppen vernichtet werden würden, sah der 'Referenrahmen Krieg' bis dahin nämlich nicht vor" (ebd.).

Andererseits gehen Neitzel/Welzer davon aus, dass die Umwandlung einer 100 000 Mann starken Reichswehr ab 1933 zu der 1939 bereits 2,6 Millionen Männer zählenden Wehrmacht nicht nur auf einer materiellen Anstrengung beruhte. Vielmehr wurde die Aufrüstung begleitet "von der Ausbildung eines Referenzrahmens, in dem das Militärische in einer zeit- und nationaltypischen Signatur positiv konnotiert war" (ebd.). Zahllose Parteiorganisationen von der HJ über RADSA und SS sorgten nach Neitzel/Welzer dafür, die "Wehrhaftmachung" des deutschen Volkes voranzutreiben und militärische Werte im Referenzrahmenm der Deutschen zu verankern. Im Verlauf des gesamten Krieges führte dies immerhin dazu, dass 17 Millionen Männer (!) problemlos in die Wehrmacht integriert werden konnten. Neitzel/Welzer übernehmen darüber hinaus Argumentationsfiguren wie den von Norbert Elias geprägten Begriff des "Gestaltwandels", indem genuin militärische Werte, aber auch Grundeinstellungen zu Fragen der Ehre, der Ungleichheit von Menschen und der Satisfaktionsfähigkeit von Nation und Volk eine zunehmend größere Bedeutung zukam. Im klaren Gegensatz zu den Idealen der Aufklärung und des Humanismus - mit dem Postulat der Gleichheit aller Menschen - wurde eine "klare Ordnung des Befehlens und Gehorchens" mentalitätstypisch. Dem entsprechen ein ausgeprägter Sozialdarwinismus, ein rassisch begründeter Nationalismus ausmündend in die Idee eines radikalen Volkskrieges über Sein oder Nichtsein: Dulce et decorum est pro patria mori, das Ideal vom Heldentod wird das alles überstrahlende Motiv, in dem "Manneszucht und Mannestugenden" aufgehen und sich erfüllen.

Neitzel/Welzer zeigen, dass die positive Konnotation des Militärs und des Kampfes fast alle gesellschaftlichen Gruppen eint. Selbst das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" oder der "Rotfrontkämpferbund" waren dem Wehrgedanken nicht grundsätzlich abgeneigt (vgl. Blätter, S. 115). Der "Hass gegen den äußeren Feind" sowie der "Kampf gegen alles Undeutsche" bildete die Plattform für den übergroßen Teil der Gesellschaft. Es dauerte keine 10 Jahre bis die Ausbildung stabiler rassischer und völkischer Mentalitäten und Motive im Zuge des Überfalls auf die Sowjetunion zum größten Verbrechen der Wehrmacht führte:

"So war das größte Verbrechen der Wehrmacht der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen. Von den rund 5,3 bis 5,7 Millionen Rotarmisten in deutschem Gewahrsam sind 2,5 bis 3,3 Millionen umgekommen - das sind 45 bis 57 Prozent (Blätter, S. 116)."

Um diese exorbitanten Zahlen zu verstehen, muss man das Kalkül der Heeresleitung zur Kenntnis nehmen. Dieses Kalkül lässt keinen Zweifel an der Angemessenheit der von Neitzel/Welzer gewählten Sprachregelung des "größten Verbrechens der Wehrmacht". Dieses Kalkül bestand nämlich darin, "die Gefangenen ihrem Schicksal zu überlassen und keine Vorsorge für deren Ernährung zu treffen" (Blätter S.116f.). Bei jeder Gelegenheit - so Neitzel/Welzer - wurde den eigenen Soldaten vermittelt, gegen eine "feindliche Rasse" und "Kulturträger minderer Art" zu kämpfen. Dies sollte ein "gesundes Gefühl des Hasses" legitimieren, was jeglicher "Gefühlsduselei und Gnade" den Boden entziehen sollte.

Neitzel/Welzer (Blätter, S. 118) zitieren General Gotthart Heinrici (siehe auch die Rezension zur Veröffentlichung der Briefe und Tagebücher Heinricis durch Johannes Hürter), der bereits bereits Anfang 1941 an seine Familie schreibt:

"Teilweise wurde überhaupt kein Pardon mehr gegeben. Der Russe benahm sich viehisch gegen unsere Verwundeten. Nun schlugen und schossen unsere Leute alles tot, was in brauner Uniform umherlief. So steigern sich beide Parteien gegenseitig empor, mit der Folge, dass Hekatomben von Menschenopfern gebracht werden."

Entscheidend im gesamten Argumtentationszusammenhang von Neitzel/Welzer bleibt das Beharren auf der These, dass das Verhalten der Soldaten gegenüber den Rotarmisten in der eigenen Optik kein Verbrechen war, obwohl die völkerrechtliche Lage eindeutig dagegen spricht:

"Das, was man aus der heutigen Sicht als 'humanes' oder 'menschliches' Verhalten bewerten würde, spielte kommunikativ so gut wie keine Rolle [...] Wo das Töten allgemeine Praxis und soziales Gebot ist, ist prosoziales Verhalten gegenüber Juden, russischen Kriegsgefangenen und anderen als minderwertig apostrophierten Gruppen ein Normverstoß (Blätter, S. 120, Hervorhebung, Verf.)."

Möglicherweise überzeugt an dieser Stelle der Hinweis Neitzels/Welzers, dass es selbst in der Nachkriegszeit viele Jahre gedauert habe, bis solche Motive normativ höher bewertet wurden. Der Referenzrahmen des Dritten Reiches - so Neitzel/Welzer - sah so etwas wie Empathie gar nicht vor.

Neitzel/Welzer weisen darauf hin, dass das Verfahren der Referenzrahmenanalyse auf die Überlegung zurückgeht, dass man die Deutungen und Handlungen von Menschen nicht verstehen könne, wenn man nich rekonstruiere, was sie "gesehen" haben - innerhalb welcher Deutungsmuster, Vorstellungen, Beziehungen sie Situationen wahrgenommen und wie sie diese Wahrnehmungen interpretiert haben. Und man möchte hinzufügen, dass der Referenzrahmen, der jeweils durch geltendes Recht gesetzt ist, hier eine gewichtige, wenn nicht entscheidende Rolle spielt.

Knapper Exkurs zu rechtspolitischen Aspekten

In diesem spezifischen Sinne zeigen sich vergleichbare Überlegungen im Kontext einer "rechtspolitischen Konzeption", wie sie ganz offenkundig auch von Bernhard Schlink vertreten wird: Sie basiert auf Artikel 103 (2) GG und geht zunächst einmal davon aus, dass eine Tat nur bestraft werden könne, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Dieter Kampmeyer führt dazu in seinen Traumakonfigurationen (Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 2014) aus, dass die staatliche Verfolgung und Verurteilung von Taten, die im Dritten Reich ausgeführt und die nicht verfolgt und verurteilt wurden, wie zum Beispiel die "Ergreifung, Festsetzung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung", in Deutschland verfassungsrechtlich problematisch sei: "Die Täter konnten damals sicher sein, sich mit ihrem Verhalten nicht strafbar zu machen." (ebd., S. 75) Solange deutsche Gerichte mit konventionellen strafrechtlichen Kategorien arbeiteten, wurden die Täter allein schon dadurch erheblich entlastet, dass von der Geltung nationalsozialistischer Gesetzgebung ausgegangen wurde. Um Handlungen, die insofern im Geltungsbereich entsprechender Gesetzgebung legal waren, als Straftaten verfolgen zu können, wurde das oben erwähnte strafrechtliche Rückwirkungsverbot mit einer Forderung Gustav Radbruchs ("Radbruchsche Formel") kombiniert. Dazu führt Dieter Kampmeyer in einer Anmerkung folgendes aus:

"Gustav Radbruch, der von 1878 bis 1949 gelebt hat, war Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Heidelberg, Königsberg und Kiel später Reichstagsabgeordneter und Justizminister in der Weimarer Republik. 1933 wurde er als erster Professor aus seinem Amt in Kiel entlassen. Er zog sich ins Privatleben zurück und distanzierte sich in seinen Tagebüchern vom Nationalsozialismus. Nach dem Krieg setzten ihn die Alliierten wieder in eine Professur in Heidelberg ein. Radbruch definierte die Menschenrechte des GG als subjektives Naturrecht. Gemäß der 'Radbruchschen Formel' muss die mit einem Gesetz gegebene Rechtssicherheit der Gerechtigkeit weichen, wenn die damit gegebene Wirklichkeit in unerträglichem Maße zu dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden in Widerspruch steht. In diesem Falle soll an die Stelle des gesetzlichen Unrechts das Naturrecht als übergesetzliches Recht treten (ebd., S. 76)."

Bernhard Schlinks Argumentation hingegen betont, dass mit der Inventarisierung des Rückwirkungsverbots, was durch Artikel 103 (2) GG geltendes Recht sei,

"an einem entscheidenden Punkt Verlässlichkeit der Lebenswelt gewährleistet ist. Soweit es um das Betrafen eines Verhaltens geht, soll man sich auf das Recht so verlassen können, wie es zur Zeit des Verhaltens galt. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot heißt nicht, dass das Verhalten moralisch richtig war, und schließt weder spätere soziale oder ökonomische Sanktionen noch negative Folgen für Beruf und Karriere aus. Es heißt nur, dass an die vergangene Lebenswelt strafrechtlich nicht mehr gerührt werden darf [...] Die Frage der rückwirkenden Bestrafung wäre nicht von der Rechtsprechung, sondern vom Gesetzgeber zu beantworten gewesen - mit der politischen Diskussion und Publizität, die verfassungsändernde Gesetzgebung genießt (Bernhard Schlink, zitiert nach Kampmeyer, a.a.O., S. 78)."

Bernhard Schlink vertritt also durchaus die Auffassung, dass es bei so schwerwiegenden Rechtsverletzungen, wie sie hier zur Rede stehen, sein kann, dass einer Gesellschaft der Rechtfertigungsgrund fehlt, sie mit dem Hinweis auf das Rückwirkungsverbot gesellschaftlich zu integrieren. Für diese Fälle sei dann das Parlament legitimiert und aufgefordert, das Rückwirkungsverbot mit einer verfassungsändernden Mehrheit zwar nicht grundsätzlich aufzuheben, aber zu modifizieren. Bernhard Schlink dringe damit auf eine öffentliche, politische Auseinandersetzung und Entscheidung (siehe zu diesem Argumentationszusammenhang Kampmeyer, ebd.).

Sechstes Kapitel

Was fangen wir nun damit an?

Wir werden in der Regel sprachlos, wir verstummen, wo wir miteinander reden müssten. Willi Winkler wirft Bernhard Schlink in der Süddeutschen Zeitung vom 30./31.3./1.4.2002 vor:

"Zwar ist der Vorleser um größtmögliche Kunstlosigkeit bemüht, der Roman ist  aber gleichzeitig eine strenge Predigt gegen jede Form der Vergangenheitsbeschreibung, die nicht individuell am besten gleich ganz persönlich ist. Der Verzicht auf Stil hat im Verein mit der 'Titanic-haften' Liebesgeschichte einerseits den Welterfolg ermöglicht und andererseits den deutschen Propagandisten einer realistischen und vermeintlich amerikanischen Literatur den ersehnten Gegenstand der Selbstfeier geliefert. Allerdings will das Buch nebenbei ziemlich treudeutsch mit der Vergangenheit aufräumen, die sonst womöglich gar nicht vergehen würde."

Ich bin ein wenig jünger als Bernhard Schlink. Und ich habe alle Phasen der Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Vergangenheit erlebt - und auch mit ausgelebt. Allerdings und sozusagen "mit gebremstem Schaum". Auch ich hatte - vermeintlich - meinen Eltern nichts vorzuwerfen. Auch für mich und die nachfolgenden Generationen stellt sich die Frage, inwieweit Hilde, Franz und Hildes zweiter Mann, Theo, Schuld auf sich geladen haben, sowohl durch ihre Handlungen, als auch durch die für sie - im Vollzug und in der Wirkung - kaum durchschaubaren Verstrickungen, in die sie durch ihr Handeln einbezogen waren.

Hilde, die 1952 auch meine Mutter werden sollte, erliegt im August/September 1941 dem Charme und dem Werben eines 27jährigen österreichstämmigen Unteroffiziers - oder war es vielleicht doch umgekehrt (schaut in Hildes Geschichte) - und bringt am 5. Juni 1942 in einem Entbindungsheim der NSV (in Flammersfeld/WW) die gemeinsame Tochter, Ursula, zur Welt. Im August 1941 ist sie tatsächlich so alt, wie Hanna es im Missbrauch von Michael, von ihrem "Jungchen" annimmt. Und fast 80 Jahre später ist dies alles noch nicht zu Ende.

Nein, es ist weitergegangen!!! Der Enkel unserer Mutter, Ursulas, meiner und Wilfrieds Mutter - der Sohn Ursulas, Michael - ist der Resonanzkörper, der so vieles zum Klingen bringt:

Der andere Michael - Bernhard Schlinks Michael - musste "eigentlich" auf Hanna zeigen: "Aber der Fingerzeig auf Hanna wies auf mich zurück. Ich hatte sie geliebt. ich hatte sie nicht nur geliebt, ich hatte sie gewählt. Ich habe versucht, mir zu sagen, dass ich, als ich Hanna wählte, nichts von dem wusste, was sie getan hatte. Ich habe versucht mich in den Zustand der Unschuld zu reden, in dem Kinder ihre Eltern lieben. Aber die Liebe zu den Eltern ist die einzige Liebe, für die man nicht verantwortlich ist." (162)

Es mag einer Ironie des Schicksals gleichkommen, dass unsere Hilde möglicherweise niemals an diesen Punkt einer mörderischen Selbstreflexion gelangt ist. Und dass vor allem und vor jeder Erwägung hier die Feststellung zu treffen ist, dass Franz Streit nicht auf einer Augenhöhe mit Hanna Schmitz agiert. Diese These bedarf einer Begründung:

Ja, immer wieder stellt sich die Frage, was fangen wir nun damit an? Die von Sabine Bode vorgestellten Biografien erzählen - so schreibt sie selbst - überwiegend von Menschen, die in den 1960er Jahren geboren wurden und denen es erst relativ spät in ihrem Leben gelungen ist, sich von ihren Eltern abzunabeln, und von solchen, die noch heute darum kämpfen, sich nicht von Mutter oder Vater steuern zu lassen. Diese Kriegsenkel haben alle geistigen Voraussetzungen, um ein erfolgreiches Leben zu führen, doch bei der Mehrzahl vermittelt sich der Eindruck: Sie sind emotional blockiert, sie stehen privat oder beruflich auf der Bremse (S. 28)."