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Eine Schublade mit Unterhosen auf Abwegen

Infolge unseres Umzugs kam es kürzlich bei uns zu einem kleinen Zwischenfall - gottseidank und Dank guter Nerven mit versöhnlichem Ausgang. Bei unserer kleinen Rochade, in deren Folge wir ein neues altes Haus gegen ein altes neues Haus tauschen, büchste eine edle Kirschholzschublade mit den Unterhosen meiner Frau aus. Während die Schublade mit den Büstenhaltern sich klaglos, ja sogar mit einer gewissen Vorfreude in ihr Schicksal ergab, war die Schublade mit den Unterhosen plötzlich unauffindbar. Verschiedene Umzugsbauftragte wurden kontaktiert mit der Frage, ob ihnen die flüchtige Schublade irgendwo untergekommen sei. Alle verneinten und erste Verdachtsmomente kamen auf, ob es sich  möglicherweise um eine Entführung handeln könnte. Dagegen sprachen allerdings mehrere überzeugende Einwände: Es gab keine Lösegeldforderung und vor allem: die Unterhosen waren sämtlich frisch gewaschen - mit Duftnoten von Vanille, Lavendel und Mimose. Der drohende Verlust von Unterhosen wog schwer. Über Jahre hatte man sich aneinander gewöhnt und schätzte wechselseitig die vertraute Umgebung.

Nach Stunden des Bangens erbarmten sich die Unterhosen und gaben ihren Fluchtversuch auf. Sie hatten es sich auf einem alten Sofa gemütlich gemacht unter Decken und Klamotten. Zu ihrer Rechtfertigung brachten sie vor, sie hätten einen Traum bzw. einen akuten Anfall von Reisefreiheit bzw. -lust gehabt. Sie hätten auch endlich einmal was von der Welt sehen wollen, eine neue Umgebung, andere Landschaften und Duftnoten. Letztlich habe sie auch ihre Besorgnis um ihren ökologischen Fußabdruck davon abgehalten, ihr Heil in fernen Gefilden zu suchen oder vielleicht abzuwandern zu Lascana, Passionata, Prima Donna oder Löber. Sie hätten sich besonnen und hätten das letztlich als Triumph empfunden. Zu keiner Zeit hätten sie ein zweifelhaftes Vergehen erwogen. Allen Versuchungen, sich im Internet irgendwelchen Schnüffelavancen zu öffnen unter der Verlockung "Bares gegen Rares " hätten sie widerstanden. Sie bekannten sogar im Vertrauen, dass die Angebote nur spärlich und ganz und gar unattraktiv gewesen seien.

Die Erleichterung ist allen Beteiligten ins Gesicht geschrieben. Die Umzugsbeauftragten konnten dem Verdacht entgehen sich durch unlauteres Vorgehen geldwerte oder sonstige zweifelhafte Vorteile zu verschaffen. Die vermeintlich Geschädigte war glücklich ihre vertrauten Weggefährtinnen wiedergefunden zu haben. Und die Weggefährtinnen selbst räumten reumütig ein, sie freuten sich darauf jetzt endlich einmal in einer Schublade über den Büstenhaltern zu rangieren. Das würde dieser arroganten hochnäsigen Spezies, die sich immer für etwas Besseres hielten, recht geschehen. Die hätten ja in den letzten Jahren auf stolzgeschwellter Brust ein wenig den Boden unter den Füßen verloren. Jetzt bestünde endlich die Chance, sie in Reih und Glied zurück zu beordern und der Trägerin in einer konzertierten Aktion zu einem guten Gesamteindruck zu verhelfen. Im alten Kleiderschrank am neuen Ort stimmten alle ein in dieses hohe Lied und versprachen, Claudia in Zukunft ohne Widerspruch und folgsam dienen zu wollen.

Und ich kann sagen: Claudia geht es nach diesen aufregenden Stunden mit Suchmeldungen und Bleibeverhandlungen wieder richtig gut. Liebe Unterhosen und Büstenhalter - ihr könnt euch ab und zu auch Dessous nennen -, Socken, T-Shirts, Röcke und Blusen, Kleider und Hosen und andere Accesscoires - unterlasst in Zukunft solche Fluchtversuche. Bedenkt, was Ihr an uns habt und haltet Euch fern von den Bremer Stadtmusikanten! Die dachten auch: Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal und überall. Da kann man sich täuschen. Manchmal ist es besser nach der Devise zu handeln: Schuster bleib bei deinen Leisten - oder: Ihr Unterhosen aller Farben und Formen, haltet dem vertrauten Allerwertesten die Treue - er dankt es Euch jeden Tag auf's Neue!