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Warum es manchmal gut sein kann, genauer hinzusehen!

Oder versuchen wir es einmal mit ein bisschen Pathos: Ernst Begemann, Du bist nicht vergessen - auch wenn Deine Bibliothek, wie Du, den Weg alles Zeitlichen gegangen ist (bis auf wenige markante Reste). Aber Du bewegst heute noch die Gemüter, und ich danke Dir für so (un)endliche viele stille Stunden der intellektuellen Anregung!

Ein Märchen aus Deutschland - unter diesem Titel nimmt ein Teil der Partitur Gestalt an, die die Begleitmusik bei meinem Abschied aus dem Institut für Pädagogik, Abteilung Schulpädagogik/Allgemeine Didaktik der Universtät Koblenz-Landau (Campus Koblenz) enthält - nach fast 25 Jahren der Zugehörigkeit.

An der zu Gehör kommenden Kakophonie schreiben die ehemaligen Leiter des Instituts maßgeblich mit. Im oben erwähnten Märchen aus Deutschland werden die Umstände geschildert, wie das Institut nolens volens  2015 zum bibliothekarischen Nachlass Ernst Begemanns kam, und was daraus geworden ist.

Was zu Teilen daraus geworden ist, kann man innerhalb des von mir gepflegten Blogs nachvollziehen. Das heißt, man kann nachvollziehen, wie sehr dieser Nachlass mich persönlich veranlasst hat, Anregungen aufzugreifen und zu verarbeiten, die einen (neuen) Blick ermöglichen zum Beispiel auf existentielle Grundphänomene, die uns nach einer These von Herbert Gudjons drohen verloren zu gehen - Vom Verlust des Todes in der modernen Gesellschaft!

Die Einleitung zu einem der ersten durch die nachgelassenen Bücher Ernst Begemanns inhaltlich angeregten Reflexionen findet sich nachstehend unter dem Titel: Wie heißt der Bürgermeister von Wesel? Schon hier war mir mehr als bewusst, dass hinter dem Weg dieses Nachlasses ins Archiv unseres Instituts auch ein mehr oder weniger markantes biografisches Drama steckte. Ich bin Ernst Begemann nur wenige Male persönlich begegnet als er in den späten neunziger Jahren einen Lehrauftrag innerhalb unseres Insituts wahrnahm. Dass aber ein kompletter bibliothekarischer Nachlass in den Katakomben der Uni landet, zeugt - wie unten angedeutet - zumindest davon, dass sich niemand gezielt mit diesem Nachlass auseinandersetzen wollte. Zu den Beständen, die ich - egoistisch und egomanisch - für mich gerettet habe, gehört auch John Kotres "Weise Handschuhe - Wie das Gedächtnis Lebensgeschichten schreibt". Natürlich habe ich auch diesen Titel mit dem Segen Rudi Krawitzens in meine eigene Bibliothek übernommen, wohl wissend (siehe die nachstehende Einleitung zum Beitrag: "Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?"), dass ich den mehr als 10000 eigenen Bücher ein weiteres hinzufüge und meinen eigenen Nachlass für meine Kinder ins Angenehm-Unangenehme erweitere.

Ein knapper Exkurs: Wie so häufig und dankenswerter Weise liegt im Falle John Kotres eine von Ernst Begemann durch handschriftliche Markierungen bearbeitete Rezension bei - hier von Iris Mainka, die in der ZEIT vom 6.9.96 unter dem Titel: So war es! War es so? John Kotres Buch rezensiert. Im Untertitel heißt es: "Unser Gedächtnis vermengt Wahres, Gehörtes, Erträumtes zu immer neuen Geschichten" Von Ernst Begemann fett angestrichen rückt die Frage in den Mittelpunkt: "Aber wann können wir uns auf unser Gedächtnis verlassen? Und Ernst Begemann unterstreicht in diesem Text sicherlich nicht von ungefähr die Idee, dass "unser Gedächtnis im Dienst des menschlichen Bedürfnisses arbeitet, dem Lebensweg einen erzählbaren Sinn zu geben." An dieser Stelle bewege ich mich gegenwärtig selbst überaus lebensdicht und anspruchsvoll, obwohl die 927 Seiten des jetzt von mir vorgelegten Buches "Kurz vor Schluss - Eine kleine Sozialkunde" nur ein äußeres Zeichen sein können für die Gestaltungsmacht mit Blick auf dieses menschliche Grundbedürfnis.

Aber es geschieht Entscheidendes mehr! Wenn meine Kinder - oder wer auch immer - interessiert sind/ist, was diese Bücher mit mir machen, und was ich mit ihnen mache, dann können sie dies nachvollziehen. Ich arbeite (auch) mit dem Nachlass von Ernst Begemann. Auch wenn P. R., dem ich mich einmal persönlich verbunden glaubte, dies in Feldherrenmanier gänzlich glaubt ignorieren zu können/müssen. Dies ist aber in der Regel der Preis, wenn ein Feldherr auf dem Schlachtfeld natürlich nur das Große und Ganze sieht und der einzelne Soldat ein Nichts ist. Das Große und Ganze kam mir persönlich vermittelt durch Ernst Begemanns Nachlass in der Gestalt von Dietmar Kamper entgegen. Nicht nur der Umgang mit dem Heiligen bekam auf diese Weise überaus anregende Impulse, sondern in der Gestalt von Dietmar Kampers Traumbuch - seinem nachgelassenen Sterbetagebuch - erfuhr meine ganz und gar persönliche Auseinandersetzung (und nebenbei einer der zentralen Schwerpunkte in meiner Lehre) eine ungemein facettenreiche Erweiterung!

Aber schauen wir zunächst einmal auf die mit Rupert Riedl verbundene Inititalzündung:

Freitag, 10 April 2015 11:15

Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?

Bertrand Russells Hühner oder: Das Vornehme der Wahrheit

Ich führe ja sporadisch Gespräche mit meinem alter ego Adrian. Vor Wochen hat er verzweifelt in das off dieses Blogs hineingerufen, ob da wohl jemand sei. Ich habe mich gemeldet und angedeutet, ich hätte "zu tun gehabt". Als vor einiger Zeit einer der akademischen Lehrer Rudi Krawitzens starb, hatte dieser verfügt, dass sein bibliothekarischer Nachlass in die Hände von Rudi übergehen solle. Rudi hat dieses Erbe angenommen und Mitte Januar standen 50 Umzugskartons mit dem entsprechenden Nachlass in unserem Archiv. Ich konnte einer ersten Sichtung nicht widerstehen und habe mich - wie zu erwarten - verloren. Bücher üben immer noch eine magische Anziehungskraft auf mich aus. In ausgedünnter Atmosphäre habe ich in unserem Archivraum -in den Katakomben des C-Gebäudes - mehrere Tage zugebracht und die Kartons ausgepackt. Dabei kommst Du Dir vor, als säßest Du am intellektuellen Totenbett des Nachlassers. Du nimmst Buch für Buch in die Hände; das ein oder andere betrachtest Du natürlich genauer. Als 25 Jahre Jüngerer tauchst Du ein in die Hinterlassenschaften eines ungemein breit interessierten Zeitgenossen, worin sich dann wiederum die geistige Hinterlassenschaft abendländischer Kultur offenbart, angereichert durch Anmerkungen und Rezensionen. Das hat mich irritiert und zugleich darauf gestoßen, dass ich Ordnung bringen sollte in eine eigene Welt, die sich irgendwann als Hinterlassenchaft meinen Kindern aufdrängen wird. Im vorliegenden Fall haben sich Kinder und Enkel gleichermaßen entlastet und ein eigenes Zeichen der Wertschätzung (von Hinterlassenschaften) gesetzt: Ist man nicht bereit oder in der Lage, seinen (wahl-)verwandtschaftlichen Beziehungen zu Lebzeiten eine lebendige und wertschätzende Aura zu verleihen, muss man sich nicht wundern, dass ein bibliophiles Erbe in den Katakomben eines anonymen Archivs landet.

Warum nun diese lange Vorrede? Neben den Geistesriesen abendländischer Kultur fiel ein Büchlein in meine Hände, das Rupert Riedl 1988 veröffentlicht hat. Das ist das Todesjahr meines Vaters (Jahrgang 1922). Rupert Riedl war 1988 so alt, wie ich heute bin, nämlich 63 Jahre. Er hat dem Buch den Titel "Der Wiederaufbau des Menschlichen - Wir brauchen Verträge zwischen Natur und Gesellschaft" gegeben.