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Was wäre, wenn...?

Was wäre wenn ich von meiner Schriftstellerei leben müsste, wenn ich durch die Lande tingeln und aus meinen Büchern lesen müsste? Am kommenden Donnerstag (25.2.2016) lese ich zum ersten Mal aus "Hildes Geschichte" - in Andernach:

August-Horch-Schule Andernach
Schillerring 5-7
56626 Andernach
 
um 19 Uhr geht es los. Eingeladen hat mich eine junge Frau, Petra Rotarius - und ich lese auch nicht alleine (siehe auch: Die Lesung). Es soll um Flucht gehen, Kriegstraumata über die Generationen hinweg. Rose Merfels ist mit von der Partie und ein AWO-Mitarbeiter. Die AWO soll auch von den Erlösen der Lesung Gewinn haben - für ihre Flüchtingsarbeit.
 
Ja, wie wäre es, wenn ich von meiner Schriftstellerei leben müsste? Würde es mir vielleicht so gehen wie Hanns-Josef Ortheil - in seinem persönlichen Dramolett in 10 Akten (entnommen dem Journal der Kunsthochschule für Medien Köln / N° 5 / 01 / 2016)?
 
  1. Im Aufbruch regt sich bei ihm schon starker Unwille. Anreise (fast) immer mit dem Zug - verbunden mit dem heftigen Drang, die Lesung zu verpassen: "Was würde eigentlich passieren, wenn ich gar nicht erst ankäme?"
  2. Die Anfahrt selbst wird zur erträglichen Qual: "Ich reise ohne wirklich zu reisen, ich befördere meinen Körper zu einer Lesung. Davor will und kann er nichts zu sich nehmen, er ist ein Hungerkörper. Alles ekelt ihn an...".
  3. Die Ankunft gewährt einen Blick in die Hölle: "Wie halten es die Menschen hier aus?"
  4. Der Weg zur Lesung gerät zu einer unerbittlichen Selbstbefragung: "Unmöglich, dass jemand zu Deiner Lesung kommt... Du würdest ja selbst nicht kommen."
  5. Den Ort der Lesung betreten, ohne gesehen zu werden: "Ich will weder gesehen noch irgend sonst bemerkt werden... Veranstalter mit Einfühlungsvermögen führen einen in einen kleinen, ruhigen Raum... und sagen: 'Zehn Minuten nach Ankündigung ihrer Lesung vor drei Monaten war schon alles ausverkauft."
  6. Die Vorbereitung bedeutet spätestens sich selbst zu begegnen: "Nie ist das Buch weniger in mir vorhanden als kurz vor einer Lesung. Dieses Buch ist mir vollkommen fremd. Ich habe es geschrieben als ich ein ganz anderer war... Leider verwechseln mich die Leser immerzu mit dem Erzähler meiner Bücher. Ich ist ein Doppelter, nein, ich ist ein mehrfacher."
  7. Der Auftritt gleicht dem Auftritt eines Untoten: "Meine Körpertemperatur ist so niedrig wie seit Wochen nicht mehr. Ich bestehe aus Eis, meine Hände halten das Buch gerade noch."
  8. Die Lesung gerät zur Wiedergeburt - nein, zu Geburt eines Titanen:"All diese Menschen sind gekommen, um Dir zuzuhören! Niemand sonst, nur Dir... ich selbst habe dieses wunderbare, atmende, klingende Buch geschrieben. Könnte ich mir selbst zuhören, wäre ich selbst berauscht. Bald stoße ich auf Sätze, die so gut, treffend und gelungen sind, dass ich sie gar nicht geschrieben haben kann."
  9. Das Ende der Lesung soll gar nicht kommen! "Sollte sie nicht Stunden dauern? Eine ganze Nacht lang? Und am Ende war alles: "Glänzend. Das war ganz glänzend - alles ist richtig, wahr und groß gewesen. Und die ersten Minuten nach dem Ende der Lesung sind voller Allmachtsphantasien. Gibt es noch bessere Texte? Es gibt keine besseren, jetzt nicht und morgen auch nicht." Aber immerhin: "Mit jeder Signatur werden diese Fantasien schwächer." Ein (auch ein zweites) Glas Weißwein hilft. "Es bezeichnet die Abspannung und den Beginn einer einzigen großen Erschöpfung: Gott sei Dank! es ist vorüber! Nie mehr werde ich lesen!"
  10. Nach der Lesung: Von Minute zu Minute wächst ein einziger Gedanken: "Ich möchte nach Hause -und zwar sofort... Ich bin kein Ich, ich bin ein mehrfacher, und unter diesen Mehreren ist keiner, der noch ein einziges Mal lesen wird."

Natürlich wird es mir nicht so gehen! Ich bin Profi, muss jeden Tag vor und mit Erwachsenen sprechen. Und am 25.2.2016 darf ich zum ersten Mal vor einem fremden Publikum vorlesen. Und die Allmachtsphantasien? Für die ist kein Platz in meiner kleinen Welt. Und ich brauche sie auch gar nicht! Hilde wird bei mir sein, mein Vater und mein Bruder, meine Schwester und ihr Vater. Wir haben uns auf die Socken gemacht und erzählen eine Geschichte: "Hildes Geschichte", die auch unsere Geschichte ist. Gespannt bin ich nur, wer mag denn wohl dahin kommen - und vor allem, mit welchen Erwartungen. Na ja, ist ja auch gleich, denn die Erwartungen kann ich gar nicht enttäuschen - und sollte es doch so kommen, dann waren es eben die falschen Erwartungen! Oder?

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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