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Gelassenheit im Horizont des Feldwegs

(dies ist ein Kapitel aus der 2010 erschienen "Mohnfrau")

Der Feldweg

Porentief, Fraglos, Grenzgänger, Geborgen (demnächst auch nachzulesen in meiner Lyrographie) thematisieren eine Erfahrungswelt, in der als eine wesentliche Facette ein ausgeprägtes Naturerleben aufscheint. Dass es auf diese Weise sprachfähig und sprachmächtig wird, überrascht am meisten mich selbst. Ja, die Mitteilbarkeit eines eigenen Naturerlebens und Naturempfindens hat eng(st)e Grenzen. Wir können der Natur begegnen und wir können uns in der Natur begegnen, bei gemeinsamen Wanderungen. Im besten Falle erliegen wir der Illusion eines gemeinsamen Erlebens. Das Erleben aber wird zur Kommunikation, wenn wir versuchen, es in einem gemeinsamen Sprachraum zu ergründen: Wir schauen uns an, wir blicken in das erstaunte, gerührte, beglückte Gesicht eines anderen Menschen, wir verlieren uns in unserer eigenen Rührung und unser Angerührtsein löst eine Kette von beglückenden wechselseitigen Anschlüssen aus, die uns im besten Fall immer gegenwärtig bleiben als ein besonderes, ein umfängliches gemeinsames Erleben. Zur Welt kommen, zur Sprache kommen, zu uns selbst kommen durch die Anrührung der Natur begründet ein Stück unseres Welt- und Selbstbildes. Wem sollte ich denn einigermaßen verständlich vermitteln, dass das Gehen eines Feldweges immer wieder aufs Neue – es möge sich Hunderte von Male zugetragen haben und zutragen – auch das Andere bedeutet. Ich folge mir, ich gehe mit mir mit und gehe mir voraus.

 

Und die Anrührung?

Rudi Krawitz verdanke ich Martin Heideggers „Der Feldweg“ (in der Ausgabe von Vittorio Klostermann, Frankfurt 1953, mir in der sechsten Auflage aus 1978 vorliegend). Martin Heidegger endet mit der Einsicht: „Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.“ In Heideggers fast lyrischen Anmutungen wird überdeutlich, wie sich im Feldweg einerseits Facetten urwüchsiger Natur lichten. Im Feldweg manifestieren sich andererseits die uralten Wegmarken einer kulturell geprägten Landschaft. Und dennoch erahnen wir den Geschmack von Langsamkeit und Stete, mit denen der Baum wächst: „Die Eiche selber sprach, dass in solchem Wachstum allein gegründet wird, was dauert und fruchtet […] und immer noch sagt es die Eiche dem Feldweg, der seines Pfades sicher bei ihr vorbeikommt.“ Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen. Der Zuspruch macht heimisch in einer langen Herkunft.

Das für andere immer öde(r) erscheinende Erwandern desselben Weges erscheint Martin Heidegger gleichermaßen vertraut und fremd, weil „dieselben Äcker und Wiesenhänge den Feldweg zu jeder Jahreszeit mit einer stets anderen Nähe begleiten“. Aber dies vermag nur jenen sich erschließen, die „im Einfachen das Rätsel des Bleibenden und Großen“ erahnen: „Die Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt. Und weiß Gott keine heile Welt. Aber man mag Martin Heidegger zurufen, dass die Zahl derer, „die noch das Einfache als ihr erworbenes Eigentum kennen“, sich nicht – wie er meint – rasch verringert. Wir hören es heute überdeutlich, das Menetekel eines Sehers (der ja im Übrigen auch ein Blinder war) der hofft, dass die Wenigen überall die Bleibenden sein werden: „Sie vermögen einst aus der sanften Gewalt des Feldweges die Riesenkräfte der Atomenergie überdauern, die sich das menschliche Rechnen erkünstelt und zur Fessel des eignen Tuns gemacht hat.“ Ja, wir sehen von unserem Feldweg aus auch das Milliardengrab Mülheim-Kärlich, jenen Atommeiler, in dem sich die gigantische Vernichtung materieller und kreativer Ressourcen so exemplarisch und auch jämmerlich manifestiert. Umso mehr erweckt „der Zuspruch des Feldweges einen Sinn, der das Freie liebt und auch die Trübsal noch an der günstigen Stelle überspringt in eine letzte Heiterkeit“. Und wir wehren in der Tat dem Unfug des nur Arbeitens, der – wie Martin Heidegger meint – für sich betrieben allein das Nichtige fördere. Zugegebenermaßen besänftigen und zähmen wir die Trübsal nicht selten mit jenen Tropfen, deren Ursprung sich den Reben am Rande des Feldweges verdankt. Die osmotischen Wechselwirkungen, die hier ausgelöst und angestrebt werden, vermitteln und verbürgen eine Bodenständigkeit ohnegleichen – wenn auch zeitweise verbunden mit dem Verlust der Bodenhaftung: „Die Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt. Im Ungesprochenen ihrer Sprache ist, wie der alte Lese- und Lebensmeister Eckehardt sagt, Gott erst Gott.“

Wir mögen die göttliche Dimension vielleicht blasphemisch manches Mal auf ihre bacchantische Facette verkürzen – therapeutisches Wandern mit Trinkern im Sinne von Hans Kusenbach ; aber auch dies ganz gewiss nicht in der Manier jener Saufbanden und -gelage, die sich auf Planwagen durch die Gemarkungen ziehen und schieben lassen. Den Zuspruch des Feldweges – so Martin Heidegger – vermögen allerdings nur jene zu hören, die in seiner Luft geboren sind: „Sie sind Hörige ihrer Herkunft, aber nicht Knechte von Machenschaften. Der Mensch versucht vergeblich, durch sein Planen den Erdball in eine Ordnung zu bringen, wenn er nicht dem Zuspruch des Feldweges eingeordnet ist. Vor rund 60 Jahren drohte für Martin Heidegger die Gefahr, „dass die Heutigen schwerhörig für seine Sprache bleiben“. Ihnen falle nur noch der Lärm der Apparate ins Ohr. So werde der Mensch verstreut und weglos. Den Zerstreuten erscheine das Einfache einförmig. Das Einförmige mache überdrüssig. Die Verdrießlichen fänden nur noch das Einerlei. Das Einfache sei entflohen und seine stille Kraft versiege.

Vielleicht sind Rudi und ich inzwischen alt genug, den Zuspruch des Feldweges ganz deutlich zu vernehmen, wenn wir gemeinsam oder alleine unserer Wege ziehen: „Spricht die Seele? Spricht die Welt? Spricht Gott? Alles spricht den Verzicht in das Selbe. Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen. Der Zuspruch macht heimisch in einer langen Herkunft.“