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TOD - Eine Anleitung zum Widerstand?

Oder: "Man kann damit beginnen, sich ernst zu nehmen, bevor es zum Ernstfall kommt."

Selbstdenken - Eine Anleitung zum Widerstand von Harald Welzer (Fischer-Taschenbuch, 3. Aufl., Frankfurt 2014)

Harald Welzer schätze ich sehr - vor allem für seine Mitarbeit an "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben" (gemeinsam mit Sönke Neitzel, 2008 - siehe dazu auch "mein 'Gespräch' mit Franz Streit"). Aus "professionellen" Gründen (siehe Uni-Blog: Grenzsituationen) habe ich mir ein kleines Kapitel ausgesucht (Tod, S. 208-211), von dem ich noch nicht umfassend verstehe, warum es in diesem Kontext Berücksichtigung findet. Denn mit Blick auf den Tod ist jeder "Widerstand" sinnlos.

Beginnen wir mit dem Schlusssatz; das ist immer ein guter Einstieg: "Man kann beginnen, sich ernst zu nehmen, bevor es zum Ernstfall kommt." Der unausweichliche, unvermeidbare Ernstfall sind Tod und Sterben: "Zum Umfang dessen, dass Menschen nicht autark sind, gehört auch der bedauerliche, aber unabänderliche Umstand, dass sie sterben müssen." Dies - so Welzer - sei besonders unangenehm in einer "entzauberten Moderne", die keine Aussicht kenne auf ein Jenseits, wenn das irdische Leben zu Ende sei. Ob Harald Welzer selbst die Hybris der Moderne zu seiner eigenen macht, bleibt unklar. Die "Metaphysik" der Moderne sieht er jedenfalls begrenzt auf die relative Entgrenzung von Endlichkeit durch "Fortschritt", "Entwicklung" und "Wachstum. Mit einer Verdoppelung der Lebenserwartung in nur einem Jahrhundert sei dies auf beeindruckende Weise gelungen.

Seit fast zwanzig Jahren biete ich Studierenden eine gründliche Auseinandersetzung mit dem "Verlust des Todes in der modernen Gesellschaft" an (Herbert Gudjons, 1996) -> siehe dazu Uni-Blog (Grenzsituationen)

Auch Welzer stellt zunächst einmal fest, dass man den Tod - trotz allen Fortschritts - nicht abschaffen könne. Mehr noch geht er davon aus, "dass er in keiner Kultur so randständig und sozial inexistent ist wie in unserer [...] Der Tod ist gewissermaßen die ultimative Konsumverweigerung und die Widerlegung jeder Unendlichkeitsvorstellung; deshalb hat er in der expansiven Moderne keinen Ort."

Diese skandalöse Ausgangslage kann Anlass und Ansatzpunkt für "Widerstand" sein; und diese Ansatzpunkte bieten sich in vielfältiger Weise. Das heißt zunächst einmal, dass ich Harald Welzer folge, nicht den Tod "abschaffen" will, sondern den (vorherrschenden) Umgang mit Tod, Sterben und Trauer:

Müssen sich Menschen (erst) zu der Einsicht durchringen, dass die "Grundierung unserer alltäglichen Existenz" sich letztlich doch jenseits der "Benutzeroberfläche einer expansiven Kultur" offenbart, und dass sich der Blick mehr und mehr auf Gesundheit vor allem (und mit den Worten Welzers) vielleicht doch auf Zugehörigkeit und Geborgenheit, auf Fürsorge und Freundschaft konzentriert? Widerstand im Kontext der Gewissheit des Todes würde dann bedeuten, diese Grundierung freizulegen, "das Unerwartete zu tun, ohne dass negative äußere Umstände einen dazu zwingen. Anders gesagt:

Man kann damit beginnen, sich ernst zu nehmen, bevor es zum Ernstfall kommt."