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Old Love - Unsere Kinder

und noch einige andere Gedichte zum "Mythos" Kindheit einerseits und "Intimität" andererseits - und wie kommt das ganze hier auf die Startseite?

{Claudia wird 58??? In meinem Vernetzungs- und Verlinkungswahn ergab sich die Verlockung, das Demenztagebuch mit Old Love zu verknüpfen - mit Rückwärtsrolle (der nachstehende Link Old Love führt ins Demenztagebuch, und zwar in das vom 10.9.-23.9.2007 und ganz am Ende geht es um Old Love). Und natürlich hoffen wir alle, in diesem Jahr mit Claudia einen runden Geburtstag zu feiern. Apropos feiern: was heißt hier einen - viele!!! Neben Claudia nullen der Berti, der Hans-Peter (Wackeler) und und und. Ja und schließlich läßt sich Demenz nur mit Old Love gestalten. Die Liebe ist eine Himmelsmacht und macht den Himmel greifbar, im Demenztagebuch und in OLD LOVE!!!}

Heute ist ein besonderer Tag – Claudia wird 58 Jahre alt. Von allen Gedichten passt heute und morgen und übermorgen am besten Old Love. Dieses Gedicht ist sicherlich schon 15 Jahre alt. Und danach habe ich alles, was in diesem Gedicht an romantischer, erotischer und liebevoller Erfüllung steckt, anders und geläutert zum Ausdruck gebracht – in: Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht… Hier überwiegt die Dankbarkeit, denn ich habe gelernt, dass der Mensch ist, weil er sich verdankt. Und dieser Dank wird übergroß, wenn ich an unsere Kinder denke. Sie sind aus uns – aus Claudia und mir - hervorgegangen und gehen heute ihre eigenen Wege. Laura und Thomas sind aus Malta zurück, und Anne ist gestern Abend aus Irland zurückgekehrt, wo sie Ted besucht hat. Deshalb steht hier noch einmal Unsere Kinder, ein Gedicht, das nach meiner Heidelberger Zeit schon sehr deutlich zum Ausdruck bringt, was mit den wirklich großen Dingen gemeint ist. Wir feiern heute Abend, und das größte Geschenk ist, dass wir gemeinsam feiern können; als Familie und mit Freunden!

 

 Old Love

Es kommt mir mächtig in den Sinn,

ich riech es – bin verrückt.

Und weiß nicht wer ich bin,

bin ruhelos verzückt.

So tief kriecht es hinein

in mich – so sehr es mich beglückt,

es sickert in mein Sein,

und doch bleibt es entrückt.

Ist es der Duft der Frauen,

der lockend mich umfängt?

Ein Fenster öffnet sich zu schauen,

was meine Sinne so bedrängt.

Es lässt am Tage mich nun träumen

und lenkt den Blick zurück.

Aus alten, ewig jungen Träumen

Wächst du und schimmert Glück.

 

 

Unsere Kinder

 

Unsere Kinder

waren schön von Anfang an.

An der Nabelschnur

schon (aus)gewogen,

ohne Makel

- kleine Druckstelle auf der Stirn die eine,

- die andere ein rötlich Mal im Nacken.

Welch ein großes,

welch ein grenzenloses Glück.

Und wie ängstlich und behutsam

das erste zaghafte Berühren.

Ungläubig,

dass sie aus eignem Atem leben nun.

Das Glück, den Unterschied erklären?

Wohl kaum -

und doch,

man kann ihn schon erahnen:

Vertrauen und Vertrautheit wachsen

Zug um Zug

mit jeder Windel, die bekackt

Entzücken weckt

und Zuversicht,

dass Leben lebt und sich vollzieht.

Und dann beginnt das Spiel der Liebe;

ein Spiel des Herzens und der Sinne,

das gleichermaßen uns betört.

Und so, wie eine dürre Steppe

blühen kann und sprießen,

wenn sie der Regengott erhört,

so kräht und strampelt ihr ins Leben.

Und wie die wilden Bächlein fließen

treibt’s euch voran – kein Wasser fließt zurück!

Dies ist der Kreislauf,

der alle tief entzückt

und wechselseitig uns beglückt.

So viel, so oft seid ihr geherzt,

wird eure Haut umschmeichelt,

dass unser aller Seelen stark und fest

in dieses Leben gehen,

in diesem Leben stehen,

als sei’s ein Fest.

Viel später sehen wir und hoffen,

dass dies ein guter Boden sei,

der lange nährt,

bis Leben sich erschöpft.

Doch bis dahin soll der Weg ein Weg sein.

Mein Blick erwischt noch mal den Punkt,

an dem ihr losgegangen seid.

Es sind die Plattitüden,

die heut mich noch erbaun:

Wohl mehr als 10 mal tausend

Windeln habt ihr grün und gelb und braun beschissen,

und jede war mir wohl ein Fest,

(obwohl die Hälfte hat die

Mama übernommen,

deren Nase feiner ist und nicht so grob!)

Das könnt ihr nicht verstehn?

Nun, ich hab als Baby schon bekommen

Und meinen Eltern was gegeben.

Und was sie von mir bekommen,

hab ich von euch genommen.

Wer Nehmer ist und Geber?

Zwischen Kind und Eltern schwer zu sagen

Und wenn es rund wird, ist’s auch schnuppe!

Mit Niklas könnt man sagen: Kot hin, Kot her,

im Code der Liebe sind beide stets Gewinner!

Und merkt euch eins – in euren Herzen aufgehoben:

Die erste Liebe ist zu Hause –

bedingungslos und ohne Schranken!

Der Eros treibt euch dann hinaus

und lässt euch wanken

((Die Eltern (er)trugen meinen ersten Liebeswahn

Und auch ein Stück von meinem Kummer.))

Ich hoffe – wir sind für euch da,

wenn ihr im Rausch kein Ufer seht,

dass ihr im Sturm der ersten Liebe

nicht alleine steht!

Und später

sucht ihr einen Ort.

Vielleicht gebt ihr dem Mann (?) des Herzens

dann das Wort.

Und macht dann eure Welt

mit allem Mut und allen Fehlern,

denn Lernen könnt allein ihr nur und selbst

erfindet ihr das Rad dann neu

und häutet euch von Mal zu Mal.

Solange bis ihr groß und stark seid

und eignen Kindern putzt und streichelt dann den Po

(und auch die Seele)

und gebt das Leben weiter.

Dann kehrt vielleicht zurück

ein Stück des selbstverständlichen Verstehens,

wo heut sich Gräben auftun und auch Wut.

Die Liebe bleibt und langsam wächst ein Mut,

der uns die großen Dinge lehrt zu sehen.

 

Lyrik, wie ich sie verstehe und wie sie aus mir entsteht, entspringt nicht nur in und aus der Formgebung "finaler Affekte" (so würde Gottfried Benn dies wohl sehen), sondern sie sind letztlich immer auch das Resultat einer Konfrontation von Affekten (Innenwelt) mit "äußeren Bedrängnissen" (Außenwelt), ein ständiges Oszillieren zwischen Selbst- unf Fremdpol. "Intimsysteme" und Familiendynamiken sind der Schauplatz, auf dem sich sowohl individuelle Entwicklungsverläufe (im besten Fall gelungene Indidviduation im Sinne Helm Stierlins) als auch gesellschaftlicher Wandel (im Durchschlagen auf individuelle Lebenslagen) - häufig genug konfliktreich - ereignen. Das kann man nachstehend recht gut verfolgen, wenn ich Auszüge aus der "Lyrografie" meines 2003 erschienenen Bändchens "Das Leben - Ein Klang" in kommentierter und erweiterter Form wiedergebe; die Kommentierung der Kommentierung gewissermaßen (die neben "Old Love" erwähnten Gedichte "Draw a Distinction" und "Paarlauf" füge ich hier ein):

 

 

Draw a distinction!

 

Unterschiede,

Die einen Unterschied machen,

Beleben das Leben.

Dies dacht ich grad eben

Fast nüchtern und unaufgeregt

Pfleg ich Arschloch und Zähne.

Die Kellnerin hat gut aufgelegt:

Und wie ich so wähne

Regt sich ein wenig die Trauer.

Bescheiden – aber immer ein Abschied –

Sitzt der Frosch vor der Mauer,

Beginnt müde sein Lied.

Er weiß: Heute erhört ihn niemand.

Da bleibt er lieber gleich stille

Und blickt in ein Land

Voll Lust, doch mit nüchterner Brille.

Unterschiede,

Die einen Unterschied machen,

Beleben das Leben.

Dies dacht ich grad eben,

Was will man da machen.

Es vollzieht sich das Leben

Und manchmal die Ehe.

Mal Wohl und mal Wehe.

Draw a distinction – na eben!

 

 

Paarlauf

 

Schau, das Paar und seine Kreise –

Wie es sprüht und lebt

Und auf synchrone Weise

Über allen Niederungen schwebt.

 

Siehst du ihre Augen strahlen

Und ihr Lachen in der Sonne blitzen,

Ihre Körper fliegen, malen

- Während ihre Spuren ritzen -

 

Feine Linien in das Eis.

Ihre Herzen jubilieren, springen,

Ihre Seelen schimmern rein und weiß,

Engel hört man Halleluja singen.

 

Ach, so leben wir doch alle

Für ein Jahr, auch mal für zwei

Tappen blindlings in die Falle

Und aus Eigenart wird Einerlei.

 

 

Und so kann es denn sein, dass die Krise der Beziehung tatsächlich notwendige Lösungspotentiale in sich trägt, die man ohne Krise ("Chance") weder sehen kann noch sich zumuten mag. Mit Draw a Distinction, Old Love, und Paarlauf nimmt eine Grundhaltung Gestalt an, die immer einhergeht mit einer sanften Selbstironie. Kein Mensch ist jederzeit und immer zuständig für die Erfüllung der Wünsche und Sehnsüchte seines Partners. Vor Jahren hat Susanne Gaschke – wie im übrigen viele, viele Paar- und FamilientherapeutInnen – in der ZEIT (1/99) darauf aufmerksam gemacht, dass in der maßlosen Erwartung an die einzige Liebe der Keim für ihr Scheitern immer schon enthalten ist. Die Hoffnungslosigkeit der modernen Liebe – so Susanne Gaschke – liege in der Erwartung, dass ein Mensch dem jeweils anderen ganz allein die Welt sein könne. Das funktioniere um so weniger, je schwächer die sozialen, intellektuellen und charakterlichen Übereinstimmungen zwischen den Liebenden ausfallen. Mittlerweile haben längst Überlegungen, wie die von Arnold Retzer ("Lob der Vernunftehe") zu einer Haltung geführt, die in der Form einer "resignative Reife" nahe legt, über sogenannte "Idiosynkrasien" (Abneigungen bzw. Irritationen) hinwegzusehen.

Welche Zukunft hat dann noch die Liebe? fragt Susanne Gaschke und wagt eine kühne, provozierende Antwort: „Die einzige Chance, dem Terror der veröffentlichten Liebe und dem Diktat der Intimität zu entgehen, besteht offenbar darin, ein kühles, rationales Verhältnis zu ihr zu entwickeln. Das klingt paradox, aber nur für den, der auf einem dramatisch-romantischen Liebeskonzept beharrt.“ Und dann? „Bei einer Avantgarde werden sich womöglich schon bald die arrangierten Ehen wieder durchsetzen, die auf gleichen Interessen und gleicher sozialer Stellung gegründet sind. Eine Horrorvision? Aber wer könnte beweisen, dass auf diese Art nicht stabilere Beziehungen entstünden, als wir sie gegenwärtig gewohnt sind?... Wie auch immer sie organisiert oder zustande gekommen sein mögen – auch die Familien der Zukunft werden drei traditionelle Probleme bewältigen müssen: Es sind dies die verlässliche Regelung der Kindererziehung, die Fürsorge für alte Eltern und die bis heute ungelöste Frage, wie mit der Eintönigkeit exklusiver Bindungen einerseits und der Eifersucht andererseits umzugehen sei.“

Hat der Mensch – fragt Susanne Gaschke mit Norbert Elias – vielleicht viele „ungesättigte Valenzen“, sexuelle und andere, die er in anderen Menschen zu verankern sucht? Wie, wenn er sein Leben so einrichtete, dass er sie verankern könnte, ohne andere zu verletzen? „Dazu bedürfte es allerdings sowohl einer neuen Ehrlichkeit als auch einer neuen Unehrlichkeit – einer Renaissance der Doppelmoral.“ Wobei Susanne Gaschke den Bogen einer kulturellen Identität weit spannt: „Vor dem Unausweichlichen dürfte niemand ausweichen: Die liebevolle Fürsorge für Kinder und für alte Eltern, mit anderen Worten, dürfte nicht allein von der Lust oder Unlust der Jungen und Starken abhängen. Gleichzeitig wäre es verboten, dass Partner einander ihr Privatleben aufdrängten, um sich moralisch zu entlasten; und ebenso verboten wäre, natürlich, das Kreuzverhör.“ Durch entsprechende (Höllen-)Feuer sind wir unterdessen hindurchgegangen. Meine vorläufig letzte Bastion manifestiert sich in den sieben Briefen: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht...". Darin paart sich gewiss eine "resignative Reife" mit Einsichten in das Peter Sloterdijk gedankte "Erototop" mit seinen ihm eigenen und wohl kaum vermeidbaren Dynamiken.

Im Gedicht - "Unsere Kinder" - manifestiert sich das Schisma, das unvermeidbar ist und das die Menschen in zwei große Gruppen scheidet: Diejenigen, die Kinder haben und diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – kinderlos bleiben. Der Unterschied bleibt daseinsbestimmend in einer fundmentalen Weise. Diese Art der Liebe und Verbundenheit und diese Art der Gefährdung im Scheitern unvermeidbarer Erziehung ist eben erlebbar nur in der Gestaltung und mehr noch im eigendynamischen Vollzug der einzigartigen Eltern-Kind-Beziehung. Man kann diese Beziehung glorifizieren und mystifizieren – dafür gibt es allen Grund -, denn die Gefühlsintensität, die mit der Geburt, mit dem Heranwachsen, mit der unendlichen Bedürftigkeit und mit der galaktischen Liebesfähigkeit von Kindern verbunden sind, ist mit keiner anderen Beziehungsqualität vergleichbar. Aber im Keim dieser Einzigartigkeit (wer macht sich schon klar, dass er aus seinen Eltern buchstäblich hervorgeht, dass sich das Leben in dieser Generativität schlechthin verkörpert und manifestiert?) liegt auch die unvermeidbare Dramatik einer Ablösung, die von reifen Menschen manchmal en passant vollzogen wird, die für die anderen im besten Fall den Reifeprozess selbst bedeutet. Wen die Eltern nach bestem Wissen und Gewissen begleitet haben und ziehen lassen, der wird auch seinen eigenen Kindern ein hilfreicher Begleiter auf dem Weg der Individuation sein – auch im Scheitern. Von all den hunderten von Staatsprüfungen, die ich mit gestalten durfte und musste, haben mich einige wenige zutiefst berührt, wenn junge Menschen mit einer erstaunlichen Reife und Abgeklärtheit Janusz Korczaks „magna charta libertatis“ zum Gegenstand des Prüfungsgesprächs machten: Das Recht des Kinds auf den heutigen Tag. Das Recht des Kindes so zu sein, wie es ist. Das Recht des Kindes auf den eigenen Tod. Gegenwartsvernichtung (Peter Fuchs), Over-Protection und Verwahrlosung sind die Insignien einer beschleunigten und entseelten Welt, die sich im Kampf der Kinder um Anerkennung manifestieren. Das wir uns nicht falsch verstehen! Aus Kindern werden Erwachsene. In Respekt, Achtsamkeit, Wertschätzung, Anerkennung und Resonanz spiegeln sich die Urbedürfnisse und Haltungen wider, die unser aller seelische Gesundheit verbürgen (könnten).

Ein weiteres Gedicht ("Beugungen in der Seelenstube" - siehe nachstehend) setzt sich mit einem Perfektionsstreben und einer Selbstverleugnung auseinander, die alles Menschliche am Menschen trivialisieren will. Gemeinsam mit den letzten Strophen des Abschiedsgedichts für Willi und Jopa (siehe: Das Leben - Ein Klang, S. 24-28)) thematisiert es ein Phänomen, das mich – spätestens seit ich eigene Kinder erziehe – immer wieder beschäftigt. Meine eigene Kindheit kannte die von Peter Fuchs auf sehr feinsinnige und schockierende Weise beschriebene Gegenwartsvernichtung allenfalls in milden Vorahnungen (vgl. Peter Fuchs, Kinder der Zukunft. Ein Beispiel für die Kunst der Gegenwartsvernichtung, in: Frankfurter Rundschau vom 3.3.2003). Peter Fuchs beschreibt ein „prekäres Besitzverhältnis“, das von vielen Erwachsenen wie selbstverständlich verinnerlicht wird: „In unseren Kindern besäßen wir unsere Zukunft, obwohl sich Zukunft nicht besitzen lässt.“ Peter Fuchs zeigt, wie aus dieser Annahme in der Folge ein Zeitarrangement resultiert, „nämlich der perfekte Ausdruck (und damit ein perfektes Symptom) für die Temporalisierung der Gesellschaft, die sich in terms der Zukunftslastigkeit und der Gegenwartsminimierung formulieren lässt, in die absurde Begriffe wie Fortschritt und Wachstum unauflöslich eingeknetet sind. Hier hat sich eine okkulte Teleologie erhalten, die Vorstellung, dass wir auf Ziele zugehen (zurasen), und dass hinter allen Zielen weitere Ziele stecken im Sinne eines Immer-Mehr und Immer-Besser, ein ewiger Komparativ, der seinen Superlativ nicht erreichen kann, weil er Stillstand bedeuten würde.“ Indiesem Presswerk sieht Peter Fuchs auch die soziale Konstruktion des Kindes: „Schon seine Existenz im Mutterleib wird okkupiert durch Überlegungen, wie es gefördert, auf Zukunft hin getrimmt werden könnte.“ Gedeihlichkeitsbedingungen treiben die Erzieher um und mehr noch: „Das Kind spielt nicht, um zu spielen, es ist nicht einfach ein homo ludens, es spielt vielmehr, um zu lernen. Und je früher es richtig lernt, desto besser für die Zukunft: Englisch im Kindergarten, der Kindergarten als Vorbereitung der Schule, Prüfungen an Kindergärten für die Aufnahme in bestimmte Schulen (noch Japan, aber warum nicht bald hier?), Vorverlegung der Einschulungszeit, Zusatzausbildungen wie Tanz, Gymnastik, Musikinstrumente, Medikamente für nicht so leicht zukunftsanpassbare Kinder, Beratungen ohne Ende, Pisa-Studien, die erweisen, dass die Zukunftsfähigkeit der Kinder noch nicht genug im Blick auf deren Zukunft (also unsere Zukunft) trainiert wurde, Verzweiflungen der Eltern, dass ihre Kinder gegenüber dieser Zukunft versagen könnten – und bei alledem: eine unfassbare Gegenwartsvergessenheit, die noch den Zoobesuch zur Gelegenheit macht, die Fauna anderer Länder den Kindern beizubringen oder die Eltern dazu veranlasst, um jede mögliche Schulstunde ihres Kindes so zu kämpfen, als hinge davon das Leben ab (aber wessen Leben und was für ein Leben), obwohl die Kinder Hekatomben von Schulstunden haben. Das setzt sich fort weit bis ins Jugendalter, ja bis ins Studium hinein, das dreht und wendet sich und hat kein Ziel. Die Eltern leben für die Kinder (nicht für sich selbst), die Kinder leben für die Eltern (nicht für sich selbst). Eben diese Zirkularität, die eine Form der Leere, der Nichtigkeit begründet, wird verdeckt durch die soziale Mythologie des Kindes, einer Mythologisierung, die, wie man ja auch sagen könnte, einer grandiosen Instrumentalisierung der Kinder den Weg bereitet, die (wie ihre Eltern) in eine Zeitfalle geraten, in die Falle einer verheerenden Zeitberaubung. Die Kinderobsession vieler Menschen mag ein Ausdruck sein, dass sie selbst nicht sehen, dass sie an derselben Fliegenrute kleben. Sie feiern die Kinder als das, was sie nicht sind: Zukunft. Und verspielen dabei deren (und ihre eigene) Möglichkeit zu lebensdichter Gegenwart.“

 

 

Beugungen in der Seelenstube

 

Ich genüge nicht

Du genügst nicht

Er/Sie/Es genügt nicht

Wir genügen nicht

Ihr genügt nicht

Sie genügen nicht

 

Genug genügt nie genügt Genug

„Genug“ ist ein Attribut mit atemporaler Halbwertzeit:

Es weist immer schon über sich hinaus,

weil die Welt sonst zum Stillstand käme

und sich genügen müsste.

Dies aber ist möglicherweise

nur fernöstlichen Blickwinkeln genug,

jenseits der Moderne.

und jenseits unserer Genügsamkeit;

die immer Hunger hat nach mehr,

weil das Ungenügen den Takt vorgibt

als Widerpart, als komlementäre Fratze

 

des PERFEKTEN!

 

Ich bin perfekt

Du bist perfekt

Er/Sie/Es ist perfekt

Wir sind perfekt

Ihr seid perfekt

Sie sind perfekt

 

Seid perfekt!

 

Mein Gott, sind wir fertig!?